“Besondere Zeiten bedürfen besonderer Maßnahmen.” Dieser in der Pandemie oft zitierte Satz gilt auch für die psychische Gesundheit: Die Ängste und Einschränkungen der Corona-Zeit können wir nur mit guter Resilienz meistern – und um diese Widerstandskraft zu fördern, hat Ayurveda eine Menge zu bieten: Medhya Rasayana
Aus Sicht der traditionellen Ayurveda-Medizin ist die Kombination aus sanftem Hatha-Yoga, Pranayama und Medhya Rasayanas die beste Art, die psychische Gesundheit zu stärken. Die positive Wirkung einer regelmäßigen Yogapraxis mit Atemübungen auf ein stressbedingt überstrapaziertes Nerven- und Herz- Kreislaufsystem kannst du unmittelbar beim Tun erleben. Doch was sind Medhya Rasayanas?
Darunter versteht Ayurveda stärkende Maßnahmen für das mentale Gleichgewicht. Dazu zählen spezielle Nahrungsmittel und Heilkräuter, aber auch Methoden der ayurvedischen Psychotherapie. Typische pflanzliche Heilmittel sind beispielsweise Kürbis, dunkle Trauben und Datteln als Teil des täglichen Speiseplans sowie Amalaki, Brahmi, Mandukarpani oder Guduchi zur Nahrungsergänzung.
Ayurvedische Heilpflanzen
- Amalaki, (Phyllanthus emblica) ist der Allrounder gegen Stress. Die als “Mutter der Medizin” bezeichnete Amla-Frucht wird in der traditionellen Ayurveda-Heilkunde für ihre schützende, stärkende, regenerative und präventive Wirkung gegen alle stressbedingten Erkrankungen geschätzt.
- Guduchi (Tinospora cordifolia) ist eine besonders ausgleichende Rasayana-Pflanze für alle Pitta-Typen. Die Kletterpflanze mit herzförmigen Blättern ist bekannt für ihre ausgleichende Wirkung auf das Verdauungssystem, alle Doshas und die Psyche. Speziell Menschen, die auf Druck mit Verhaltensauffälligkeiten oder Ticks reagieren, wird Guduchi empfohlen.
- Brahmi, das Nabelkraut (Bacopa monnieri), gilt unter den Medhya Rasayanas als beste Pflanze, um höhere mentale Fähigkeiten zu wecken. Deshalb wurde es auch nach Gott Brahma benannt. Neben dieser spirituellen Bedeutung ist Brahmi sehr wirkungsvoll, um das Gedächtnis zu verbessern, die Nerven zu beruhigen und die Konzentration zu steigern.
- Ashwagandha, die Schlafbeere (Witania Somnifera) ist, wie der deutsche Name schon andeutet, ein sehr gutes Akutmittel gegen Erschöpfung und Leistungsschwäche mit schlaffördernder Wirkung. Das aus der Wurzel gewonnene Pulver wird im Ayurveda für seine nervenberuhigende, kräftigende und immunstärkend Wirkung geschätzt.
- Yashti, die Süßholzwurzel (Glycyrrhiza glabra), nährt das Gehirn und hilft mit seiner beruhigenden Wirkung gegen Aufgeregtheit, Stress und Einschlafstörungen. Besonders
wohltuend ist Süßholz für die Stimme, deshalb wird es auch bei Erkältungserkrankungen zusammen mit Ingwer und etwas Zitrone als Tee verabreicht.
Sie alle wirken innerhalb der ganzheitlichen Ayurveda-Therapie nervenstärkend, konzentrations- und leistungssteigernd. Deshalb sind sie bei stressbedingten Beschwerden fester Bestandteil eines Behandlungsplans.
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Resilienz ist Typsache
Die Kernfrage, wenn es um psychische Gesundheit und Resilienz geht, lautet im Ayurveda: Wie stark ist dein Geist? Wir kennen das alle: Verfügen wir über eine stabile Psyche mit guter Resilienz, sind wir auch in stressigen Zeiten in der Lage, einen kühlen Kopf zu bewahren und mit positiver Kraft und Optimismus allen Hindernissen zu trotzen. Sind unsere mentalen Kräfte jedoch erschöpft, so fühlen wir uns bereits bei kleinen Problemen überfordert und gestresst. Um die Stärke des Geistes, das sogenannte Sattva Bala, des Einzelnen zu bemessen, untersucht die ayurvedische Psychologie die persönliche Konstitution und die typgemäße Reaktionsweise im Umgang mit Krisensituationen. Denn je nachdem, ob das individuelle Persönlichkeitsprofil mehr von Vata, Pitta oder Kapha geprägt ist, kann man mehr oder weniger gut mit dauerhaftem Frust, Sorgen oder Überforderung umgehen.
Vata-Typen: sensibles Nervenkostüm
In stressigen Zeiten am meisten auf sich aufpassen müssen Vata-Typen. Sie sind von Natur aus mit ihrem zarten Körperbau und einem sensiblen Nervenkostüm nicht besonders belastungsfähig und neigen dazu, sich von Sorgen, Ängsten und Zweifeln übermannen zu lassen. Schlafstörungen, Konzentrationsmangel und neurologische Beschwerden, wie Tinnitus, Kopf- oder Rückenschmerzen sind da schnell mal die Folge. Zum Ausgleich setzt Ayurveda auf entspannende Ölmassagen, Meditation und einen geregelten Tagesablauf mit warmen Mahlzeiten und nervenstärkenden Kräutern. Aus der großen Palette der Medhya Rasayanas eigenen sich Brahmi, Mandukarpani und Ashwagandha ganz besonders gut zur körperlichen und mentalen Stärkung zum Vata-Ausgleich.
Kapha-Typen: ständiger Druck beeinflusst Wohlbefinden
Am wenigsten ansehen kann man stressbedingte Überforderungen Kapha-Typen. Sie wirken mit ihrem kräftigen Körperbau und einer phlegmatischen Art wie der Fels in der Brandung. Dennoch ist die mentale Stärke auch bei einer Kapha-Person nicht unerschöpflich. Steht sie ständig unter Druck – besonders wenn Beziehungsprobleme, Streit oder plötzliche Veränderungen wie eine Kündigung das seelische Wohlbefinden beeinträchtigen – so steckt sie häufig den Kopf in den Sand und flüchtet sich in Erstarrung und Antriebslosigkeit. Wichtigste Maßnahmen für die Resilienz zum Kapha-Ausgleich sind dann dynamische Yoga-Übungen, scharfe Gewürze und anregende Medhya Rasayanas, wie Trikatu und Amalaki.
Pitta-Typen: gefährliche Stressspirale
Gefährlich ist die Stressspirale auch für Pitta-Typen. Diese nehmen die widrigen Herausforderungen des Alltags zwar erst einmal sportlich und versuchen Probleme mit Kampfbereitschaft und eiserner Disziplin zu besiegen. Doch mentale Reizbarkeit, innere Anspannung, Bluthochdruck, Migräne und Entzündungen des Verdauungstraktes zeigen deutlich an, wenn Pitta die Grenzen der mentalen Belastungsfähigkeit überschritten hat. Nun heißt es, Druck rausnehmen und die psychische Gesundheit mit Pitta-ausgleichenden Medhya Rasayanas zu stärken. Kurkuma, Guduchi, Trauben, Granatäpfel sowie Ausdauersport und kühlende Pranayama-Übungen können die innere Gelassenheit und psychische Balance wieder herstellen. Auch Übersäuerung und Bluthochdruck kann man auf diese Weise lindern.
Resilienz in der Praxis
Die ayurvedischen Resilienz-Therapie verfolgt einen ganzheitlichen Behandlungsansatz der auf drei Schritten basiert. Wir beginnen immer mit den bereits beschriebenen Medhya Rasayanas, um die körperlichen und psychischen Reserven neu aufzuladen. Darauf folgen psychotherapeutische Interventionen mit Blick auf die krankheitsverursachenden Faktoren. Und anschließend richtet sich der Blick mit nachhaltigen Maßnahmen zur Selbstfürsorge und Eigenverantwortung in die Zukunft.
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Schritt 1: Den Körper stärken
Mentale Stärke und Resilienz braucht aus ayurvedischer Sicht an erster Stelle unterstützende Maßnahmen für die körperliche Stabilität. Ölmassagen, Yoga und Atemübungen entspannen das Nervensystem und fördern die psychische Kraft. Ergänzende Empfehlungen für eine vegetarische Ernährung mit frisch zubereiten und in Achtsamkeit eingenommen Mahlzeiten sind Grundlage einer ayurvedischen Psycho-Diät. Als Medhya Rasayanas für den täglichen Speiseplan empfiehlt Ayurveda den regelmäßigen Verzehr von Datteln, Rosinen, Trauben, Walnüssen, Granatapfel, Kürbis, Basilikum, Rosmarin, Safran, Ajwain (Königskümmel), Süßholz sowie Milch und Ghee (Butterschmalz).
Schritt 2: Psyche und Seele heilen
Erkennen, was uns krank macht – das ist das Motto des zweiten Therapieschrittes. Dazu setzt Ayurveda auf eine typgerechte Gesprächstherapie, die zur Selbstreflektion anregt und krankheitsverursachende Verhaltensmuster und Glaubenssätze transformieren hilft. Wichtigstes Ziel der psychologischen Ayurveda-Therapie für eine bessere Resilienz ist die Beseitigung von mentalen Hindernissen, die einer Verhaltensänderung im Weg stehen.
Schritt 3: Heilsame Rituale für den Alltag
Entscheidend für eine nachhaltige Resilienz auch in stressigen Zeiten ist die eigene Handlungskompetenz. Deswegen dreht sich im 3. Schritt alles um ein Verhalten, durch das sich Gesundheit, Glück, Erfolg, Lebensfreude, Liebe und Erfüllung auf Dauer gewinnen lassen. Dazu werden energiestärkende Rituale in den Alltag eingebaut, die den körperlichen Bedürfnissen des eigenen Konstitutionstyps entsprechen und die Belastungsfaktoren der aktuellen Lebenssituation berücksichtigen. So verankert man eine liebevolle Selbstfürsorge fest im täglichen Leben. Gelingt es uns, diese ayurvedischen Grundsätze für die psychische Gesundheit umzusetzen, so haben wir nicht nur besondere Maßnahmen für besonderen Zeiten kennengelernt, sondern eigentlich etwas viel Wichtigeres: einen Leitfaden für ein gesundes, glückliches und langes Leben mit Ayurveda und Yoga.
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Autorin Kerstin Rosenberg ist eine international bekannte Ayurveda-Spezialistin, Seminarleiterin und Buchautorin. Gemeinsam mit ihrem Mann leitet sie die renommierte Europäische Akademie für Ayurveda mit angeschlossenem Ayurveda-Kompetenz- und -Kurzentrum in Birstein. Unter blog-ayurveda.de findest du regelmäßig ihre neuen Beiträge rund um Ayurveda, Gesundheit und Genuss.