Yoga und Partnerschaft

Ist es wirklich egal, wen man heiratet, solange man sich selbst liebt? Die richtigen Ratgeber können einen zur falschen Zeit ganz schön unter Druck setzten. Yoga kann den Stress sogar noch erhöhen. Aber es kann auch unser Verständnis für uns selbst und andere beflügeln.

Ist er/sie noch der/die Richtige?
Wie viele Menschen in ihrem Bekanntenkreis haben begonnen an ihrem Partner Fehler zu finden, nachdem sie angefangen haben, Yoga zu üben? Wie viele haben sich schließlich getrennt, oder überlegen gerade, das zu tun? Ist Yoga ein Beziehungskiller? Gehen Yoga und Partnerschaft überhaupt zusammen? Theoretisch müsste das Leben zu zweit leichter sein, wenn wenigstens einer entspannt ist. Manchmal scheinen Beziehungen aber schwieriger zu werden, wenn man mit Yoga beginnt.

Ein geflügeltes Credo in der spirituellen Szene lautet: Wenn man sich selbst liebt, ist es egal, mit wem man zusammen ist. Das hört sich erst mal gut an. Manchmal beginnt man aber dann, sich selbst unter Druck zu setzen. Man versucht um jeden Preis alles anzunehmen, was man beim anderen als störend empfindet. „Er/sie ist ja nur ein Spiegel von mir selbst“, sagt man sich dann. Das ist auch eine schöne und noble Idee. Leider versagt diese Theorie im Alltag oft. Denn anstatt uns wirklich mit den in uns aufsteigenden Gefühlen auseinanderzusetzen, begnügen wir uns mit der geistigen Haltung, alles wäre gut wie es ist. Insgeheim fangen wir aber trotzdem an, ein heimliches Konto zu führen. Darin zählen wir auf, was wir beim anderen alles heldenhaft „akzeptieren“. Und irgendwann – wenn die emotionalen Abbuchungen zu groß geworden sind – kündigen wir fristlos, um endlich den wirklichen „Seelenpartner“ zu finden. Oder wir ziehen uns ganz aus dem Beziehungs-Business zurück.

Zurück in die Hölle?
Den traditionellen Schriften nach sieht es sowieso gar nicht gut aus. Die Hatha Yoga Pradipika warnt bereits im ersten Kapitel vor den sechs Ursachen, die die guten Wirkungen des Yoga zerstören. Und sie ist da sehr allgemein: „Gesellschaft von Leuten“ ist eine davon. Der Raum in dem der Yogi übt soll „an einem einsamen Platz sein“. Die Bhagavad Gita sagt zunächst auch nichts anderes:

„Der Yogi soll beständig sich mühen in der Einsamkeit – allein, bezähmend Sinn und Selbst…“ (Bhagavad Gita, 6.10)

Yoga ist also etwas, das man allein erfährt. Warum wird dieser Artikel dann überhaupt gelesen? Wer sehnt sich – trotz Yoga und Mantra-Singen – nach einem Partner? Reichen die Erfahrungen auf der Yogamatte oder dem Meditationskissen doch nicht aus?

Auf der Suche nach der ewigen Party
Warum hat uns Yoga angezogen? Die Idee dahinter ist nicht gerade klein: die Verbindung vom individuellen mit dem kosmischen Selbst. Klar, dass das gerade in unserer Überflussgesellschaft des 21. Jahrhundert interessanter ist denn je. Yoga ist heute für viele das, was Rock’n’Roll in den fünfziger Jahren war: ein großes Versprechen von Freiheit. Und das Gefühl der sechziger Jahre wird gleich mit eingepackt, die Idee der ozeanischen Verschmelzung mit allem: „We are one!“ Denn Yoga betont ja auch die Einheit allen Seins. Hier fängt aber das Missverständnis an, das für viele Beziehungen zur Falle wird. Denn Unabhängigkeit und Verschmelzung gehen nicht gut miteinander.

Verbindung statt Fusion
Es lohnt sich also genau hinzuschauen, und bei der Silbe „yug“ – Verbindung – zu bleiben, die das Wort Yoga ausmacht. Genauso wie große Hoffnungen auf „Erleuchtung“ – die uns irgendwann in der Zukunft erlösen soll – uns unter Stress setzen und vom gegenwärtigen Moment wegleiten, sind übermäßige Erwartungen an den Partner das Ende jeder hoffnungsvollen Blüte. Es ist aber durchaus möglich, allein zu sein UND zusammen. Dann, wenn wir uns weder für andere aufgeben, noch vor ihnen davonlaufen, weil sie unsere Praxis oder unser yogisches Leben gefährden (das wir sowieso nur alleine gestalten können). Das ist dann wirkliche, erwachsene Verbindung.

Empfindsam oder empfindlich?
Wer seine Achtsamkeit schult, wird feinfühliger für seine Bedürfnisse. Patanjali erklärt sehr genau, wie man mit der Lenkung seiner Energien und Sinne die Wahrheit über seine Natur erfährt. Manchmal übertreibt man aber auch mit der Praxis der Hellfühligkeit. Je nach Meditationstechnik stärkt man eher das Luft- oder Erdelement. Im ersteren Fall ist die Chance auf außersinnliche Erfahrungen groß. Leider steigt damit auch die Wahrscheinlichkeit, empfindlicher für Störungen zu werden, und Handlungen oder Bemerkungen der Umwelt als Angriff zu sehen. Auch die ständige meditative Nabelschau mit Fragen wie: „Tut mir das noch gut, mit ihm/ihr zusammen zu sein?“ oder „Ist er/sie mein Seelenpartner?“ ist langfristig der Tod einer lebendigen Beziehung. Es hilft also, eine „Gebrauchsanleitung“ für die Sinne zu haben, wenn man im Gefühlssturm steht.

Den Energiezentren zuhören
Das System der Chakren, der Energiezentren im physischen und feinstofflichen Körper, ist ganz praktisch im Alltag der Liebe spürbar. Wenn man Yoga als Entwicklungsweg sieht, dann tut man gut daran, sich nicht gleich auf die Spitze der Pyramide zu stürzen, sondern zunächst gut für sich selbst zu sorgen. Auf welchem Fundament ruhen wir? Darauf bauen schließlich auch unsere Beziehungen auf. Versuchen Sie, bereits beim Lesen die angesprochenen Bereiche ihres Körpers mit der Achtsamkeit zu berühren.

Sicherheit
Muladhara Chakra – das Wurzel-Zentrum
(unteres Ende der Wirbelsäule, Steißbein)

Ein stabiles Wurzelchakra zu haben bedeutet, sich gut um seine Erdung zu kümmern. Wie viel Zeit nehmen wir uns, unseren Körper zu pflegen und zu nähren? Wenn es in unseren Beziehungen chaotisch ist, lohnt es sich zu schauen, wie wir mit uns selbst umgehen. Kümmern wir uns um regelmäßige Mahlzeiten und einen gesunden Schlaf? Unser Umgang mit unserem eigenen Körper ist Spiegel und Grundlage für alle weiteren Begegnungen mit unserer Umwelt.

Gefühle
Swadhisthana Chakra – das Sakral-Zentrum
(Schambein, Kreuzbein)

Von hier aus begeben wir uns in das Spiel und in den Fluss des Lebens. Mit dem Moment fließen zu können wie das Wasser, ist eine Fähigkeit, die wir lernen können. Dies kann jedoch erst beginnen, wenn wir eine stabile Basis haben. Wenn wir uns sicher und geborgen fühlen, haben wir auch die Möglichkeit, unsere Gefühle wahrzunehmen und anderen zu zeigen. Das manifestiert sich in spielerischer Lebensfreude – und kulminiert in gutem Sex. Ein gesunder Beckenraum ist Ausdruck eines genährten Sakral-Chakras.

Selbstwert
Manipura Chakra – das Nabel-Zentrum
(Bauch, Lendenwirbelsäule)

Vom Bauch aus können wir unsere Energie strahlen lassen, wie eine Sonne. Nachdem wir unseren Anteil an der Schöpfung berührt und angenommen haben, lernen wir mit der Konzentration auf unseren Bauch, uns selbst zu schätzen. Wir präsentieren uns und sind in der Lage, zu führen und zu transformieren, mit der Elementarenergie des Feuers. Ein gesunder Selbstwert erlaubt uns auch, gesunde Grenzen zu setzen und die Grenzen anderer zu respektieren.

Liebe
Anahata Chakra – das Herz-Zentrum
(Herz, Brustwirbelsäule)

Die Kraft unseres Atems sitzt in der Brust. Sie wird gestärkt durch einen gesunden Selbstwert aus dem Bauch. Erst dann sind wir in der Lage, bedingungslos zu lieben, ohne bedürftig zu sein. In emotional schwierigen Momenten hilft uns das Element der Luft, wenn wir tief ein- und ausatmen. Das aktiviert unseren Herzraum. Unsere bereits in den Yoga-Sutras beschriebene Liebesfähigkeit hilft uns dann, Situationen so anzunehmen, wie sie gerade sind. Wichtig ist, dass wir es uns nicht nur vorstellen, sondern wirklich in der Brust fühlen.

Kommunikation
Vishuddha Chakra – das Kehl-Zentrum
(Kehle, Halswirbelsäule)

Das Element des Raumes trägt den Klang, mit dem wir mit unserem Partner in Kontakt sind. Wenn wir die Fähigkeit zur Hingabe erlernt haben, sind wir in der Lage, respektvoll und wertschätzend zu kommunizieren. Auf diese Weise laden wir auch unser Gegenüber ein, sich selbst als gesund und ganz wahrzunehmen. Indem wir darauf verzichten anzuklagen und stattdessen unseren Partnern zeigen, dass wir sie für voll nehmen, vergrößern wir auch den Raum, in dem spirituelle Entwicklung möglich wird.

Intuition
Ajna Chakra – das Stirn-Zentrum
(Stirn, Hinterkopf)

Das Ajna Chakra steht für die reine Wahrnehmung, frei von Einfärbung durch vergangene Eindrücke. Wenn unser Verstand klar ist, kann sich unser intuitives Wissen frei entfalten. Konzentrieren wir uns auf den Punkt zwischen den Augenbrauen, dann stehen wir in Kontakt zu unseren inneren Welten. Das hilft auch unserem Umgang mit dem Partner oder der Partnerin. Wir halten keine alten Geschichten fest, sondern werden visionär – auch was unsere Beziehung und ihre Möglichkeiten angeht.

Spiritualität
Sahasrara Chakra – Das Kronen-Zentrum
(Scheitel, Schädeldecke)

Über dem Scheitel sitzt unsere Verbindung zum Zustand der Einheit. Wenn wir hier ankommen, haben die Ratgeber recht: Es ist egal, wer mit uns auf dem Weg ist. Aber es gibt keine Erleuchtung ohne Herz. Und kein Herz ohne Wurzeln. Es gibt möglicherweise keine Abkürzung zu Gott, als den Weg über das Mensch-Sein und das Miteinander. Wie soll man Gott erkennen, wenn man ihn nicht im Partner oder der Partnerin sehen kann?

Das Patentrezept für gute Beziehungen
Im besten Fall sorgt man also zunächst tatsächlich gut für seine eigenen Wurzeln. Dann ist Raum, Gefühle wahrzunehmen und auszuleben, sich in der Welt zu zeigen und durchzusetzen. Wenn man präsent geworden ist, kann man Liebe schenken anstatt sie zu fordern, und durch die eigene liebevolle Kommunikation auch andere Menschen bereichern. Wenn wir uns auf diese Weise um die Außenwelt gekümmert haben, wird schließlich der Weg nach innen offen.

Meditation in Kurzform
Gibt es zur Zeit Auseinandersetzungen in der Partnerschaft? Wenn wir uns angegriffen oder unsicher fühlen, atmen wir erst bewusst zum unteren Ende der Wirbelsäule. Das bringt erst einmal Stabilität. Überwältigende Gefühle werden durch Atmung in den Beckenraum harmonisiert. Möchten wir uns selbst behaupten, konzentrieren wir uns auf den Bauch. Dann erst wird der Weg zum Herz frei. Wenn wir hier präsent sind, gibt es auch eine neue Qualität in der Kommunikation – und wir verstehen, was unser Partner uns auf seine eigene, vielleicht „poetische“ Weise sagen wollte. Der Physiker Werner Heisenberg sagte dazu einmal sehr schön: „Verstehen bedeutet, sich daran zu gewöhnen.“

Üben mit dem Atem
Das Ganze kann in einem Atemzug geschehen. Die sieben Chakras sitzen entlang unserer Wirbelsäule; dem Steißbein, dem Kreuzbein, der Lendenwirbelsäule, der Brustwirbelsäule, der Halswirbelsäule, dem Hinterkopf und der Schädeldecke. Schon während sie diese Worte lesen, hat sie das Wahrnehmen der einzelnen Körperteile auf eine kurze Reise vom unteren Ende der Wirbelsäule zum Scheitel geführt. Dasselbe funktioniert auch auf der Vorderseite des Körpers. Vom Scheitel zur Stirn, zum Hals, zum Herzen, zum Bauch, zu den Geschlechtsorganen und wieder zum unteren Ende der Wirbelsäule. Kombinieren Sie das Wandern der Konzentration auf die Chakras mit dem Atem – und sie spüren ohne jede esoterische Grundausbildung oder übersinnliche Fähigkeiten, wie sie sich selber stabiler und liebevoller fühlen können.

Sitzen Sie stabil und bequem. Atmen Sie tief durch den Beckenboden ein, atmen Sie durch das Herz aus. Indem Sie durch den Beckenboden einatmen, aktivieren Sie das untere Ende ihrer Wirbelsäule und vergrößern automatisch ein inneres Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit für den Moment des Atmens. Der Atem wandert entlang Ihres Sakralzentrums nach oben, ihre Gefühle berührend und positive Emotionen nährend. Aufsteigend zum Solarplexus berühren und stärken Sie mit dem Atem ihren Selbstwert. Mit der Ausatmung durch das Herz stärken Sie Ihre Bewusstheit für Ihre eigene Kraft, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind.

Gemeinsam auf dem Weg
In Momenten, in denen wir alleine sind, lernen wir mit Yoga unseren Körper und unsere Gefühle kennen. Dann haben wir eine gute Landkarte für den Beziehungsdschungel. Denn: Dass unser Partner uns glücklich macht, können wir vergessen. Wir selbst können das aber immer wieder tun, und brauchen dazu tatsächlich nicht viel mehr als unseren Atem. Danach ist Zeit und Raum für Beziehung. Und das kann man nicht alleine lernen. Deshalb leben wir als Menschen zusammen. Partnerschaft ist in jeder Hinsicht ein Abenteuer, aber es macht so viel Spaß, immer wieder dorthinein zu investieren. Nirgendwo anders wachsen wir – wenn wir gelernt haben, zuerst bei uns selbst zu bleiben – wirklich so intensiv und langfristig. Viel Spaß bei der Zeit allein und zu zweit!

Von Ralf Sturm

http://nivata.de/ralf-sturm/


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MUDRAS – GESTEN DER GÖTTER

Mudras, die kraftvollen Handgesten aus dem alten Indien, stehen als Symbol für bestimmte Eigenschaften oder Gottheiten und können auch in der heutigen Zeit ein bedeutender Aspekt unserer Yogapraxis sein. Anjali Sriram beherrscht die Kunst der Fingerhaltungen bis ins kleinste Detail – als Tänzerin lernte sie über Jahre hinweg, sich anmutig mit Händen und Körper auszudrücken. Anjali trat auf den Bühnen Indiens, Europas und den USA auf. Seit über 30 Jahren praktiziert sie Yoga und kennt die Zusammenhänge zwischen der indischen Philosophie, Yoga, indischem Tanz und Mudras wie kaum eine andere hierzulande.

YOGA JOURNAL: Anjali, weshalb verwendet man im indischen Tanz Mudras?
Anjali Sriram: Mudras sind Fingerhaltungen, die vor 2000 Jahren in der Natyasastra festgehalten wurden. Das ist eine Art Tanzlehrschrift, die etwa zur gleichen Zeit wie Patanjalis Yoga-Sutren entstand. Dort wird genau beschrieben, wie Mudras ausgeführt werden und wofür man sie benutzt: Es ist wie Vini Yoga für die Hände, eine Art Gebrauchsanweisung. Das Interessante ist, zu wissen, wie ich ein Mudra gebrauche, so dass daraus ein bestimmtes Symbol wird. Ich kann zum Beispiel mit dem Hand-Mudra „Alapadma“ den Mond darstellen. Oder ich kann das „Lotus“-Mudra verwenden, um „Liebe“ auszudrücken. Dabei handelt es sich um eine Symbolik, die für etwas ganz Bestimmtes steht – eine verschlüsselte Aussage. Mudras stehen immer als Symbol für bestimmte Werte. In Indien waren Mudras schon immer deshalb so wichtig, weil man durch die verschiedenen Mudras Götter erkennt. Wir wissen beispielsweise, wer Shiva, Brahma, Vishnu oder Durga ist, indem wir uns die Hände ansehen. Genauer gesagt, drücken die Mudras das aus, was die Götter darstellen: bestimmte Energien und Kräfte. Durga zum Beispiel steht für Stärke, Feuer, Zerstörung und Reinigung. Und diese einzelnen Eigenschaften werden in Mudras ausgedrückt.

Kann man, wenn man in der Meditation ein Mudra über einen längeren Zeitraum hält, bestimmte Eigenschaften kultivieren?
Genau. Wenn man das Mudra der Kreation hält, möchte man in den Zustand der Kreativität gelangen. Wenn man das Mudra des Empfangens hält, möchte man etwas empfangen, eine geistige Kraft. Beim „Anjali“-Mudra [Die Handflächen werden vor dem Herzen aneinander gelegt, Anm. d. Red.] möchte man beide Körperhälften zusammenbringen, konzentriert sein und sich darbringen. Führt man die Hände weiter nach oben vor die Stirn, symbolisiert man damit, dass man an den Guru denkt, und wenn man sie ganz weit nach oben bringt, an die Ewigkeit. Werden diese Mudras in der Meditation gehalten, möchte man sich mit den Kräften der Mudras verbinden.

In deinem Workshop hast du von der Verbindung der körperlichen mit der mentalen Ebene gesprochen. Wie kommt man über die physische auf die geistige Ebene?
Unser Körper besteht aus verschiedenen Elementen, die besonders stark in unterschiedlichen Bereichen vertreten sind. Unser Kopf mit dem Denken ist unser geistiges Zentrum – das verbinde ich meistens mit dem Element der Luft. Die Brust verbinde ich mit dem Herzen, mit der Energie und mit dem Feuer. Meinen Bauch verbinde ich mit Wasser, sowie mit dem Ausscheiden, Erhalten, Festhalten und der Beweglichkeit. Wenn ich Erdung besitze, bin ich gleichzeitig sehr flexibel – meine Füße verbinde ich mit der Erde, dem Wachstum und dem Aufsteigen. Die Hände bedeuten für mich Kommunikation. Sie sind die Intelligenz meines Wesens. Ich kann mich mit ihnen ausdrücken, greife mit ihnen nach dem Glück, berühre, nehme Kontakt auf und kommuniziere. In Anbetracht dieser Vielfalt können wir die Mudras nicht einfach nur mit den Händen üben, sondern mit Füßen, Bauch, Kopf und Herz unterstützen. Wir müssen alle Elemente und den Leib vereinen – also auch Körper und Geist – um ganzheitlich zu verstehen. Es gibt dazu einen sehr klugen Spruch: „Wohin meine Hand geht, dahin gehen meine Augen. Wohin meine Augen gehen, dahin gehen meine Gedanken. Wohin meine Gedanken gehen, da entsteht Ausdruck. Wo Ausdruck ist, entsteht Rasa.“ [In der indischen Philosophie geht es um Rasa, die Essenz. Gott schöpft, um zu kreieren, aus Rasa; Anm. d. Verf.]

Worauf muss ich achten, wenn ich Mudras ausführe?
Das Mudra ist ganzheitlich, wird also von unserem ganzen Körper getragen. Es ist wichtig, wie die Füße stehen oder wie die Sitzhaltung ist. Die Schultern sollten entspannt sein, wenn wir die Arme weit machen und den Brustkorb öffnen. Ein Mudra, das mit verkrampften Schultern gehalten wird, hat keine Wirkung. (Anjali Sriram arbeitet während des Interviews besonders viel mit Gestik. Jede Handbewegung scheint perfekt auf die jeweilige Aussage abgestimmt.) Jeder Mensch kommuniziert irgendwie mit Gestik, allerdings ist uns oft gar nicht bewusst, was wir eigentlich mit unseren Händen aussagen. Das ist das Interessante, wenn wir mit Mudras arbeiten: dass uns bewusst ist, was wir eigentlich ausdrücken wollen.

Du hast gesagt, dass man beim Ausführen der Mudras zuerst alle Gedanken sammelt und dann leer wird. Wie funktioniert das?
Wichtig ist „Saman“: von sich selbst abzusehen. Nehmen wir ein Beispiel: Ich sehe geradeaus. Ich sehe geradeaus und sehe dich – nicht mich. Ich bin fasziniert von dir, konzentriere mich voll auf dich. Aber viele Leute konzentrieren sich nur darauf, wie sie in diesem Moment auf andere wirken. Ich tue das nicht: In dem Moment, in dem ich dich sehe, interessierst nur du mich. Dies gilt es zu kultivieren: dass wir von uns selbst absehen können und das, was gegenüber ist, aufnehmen. Durch dieses Aufnehmen des anderen bekommen wir Ausdruck. Ich kann beispielsweise zu einem Schmetterling werden, indem ich ihn vor mir sehe. Dabei denke ich nicht: „Ich bin jetzt diese Frau, die Schnupfen hat.“ Ich sehe den Schmetterling und vergesse mich. Durch dieses „Von-sich-Absehen“ kommt man in den Zustand des Bhava [künstlerischer Ausdruck für einen inneren Zustand; Anm. d. Red.]. Parallelen findet man im Yoga beispielsweise in den Zuständen Maitri und Karuna. [Maitri oder Metta (Liebe, Freundlichkeit, Güte) und karuna (Mitgefühl) sind zwei der vier Brahmaviharas, Geisteshaltungen, aus der buddhistischen Ethik; Anm. d. Red.]. Ein Tänzer braucht ein Grund-Bhava. Das heißt: Ich bin immer freundlich. In den Shastras steht geschrieben: „Eine Tänzerin hat ein immer freundlich lächelndes Gesicht.“ Und sie sieht von sich selbst ab.

Wie lenke ich meine Gedanken, damit ein Mudra entsteht?
Zuerst möchte ich die Technik erklären: Wenn ich eine Blüte halte, aber woanders hinsehe, entsteht da bestimmt keine Blüte in meinen Händen. Auge und Hand müssen miteinander in Verbindung stehen. Ich sehe genau hin. Nun kommt die Kontrolle der Gedanken hinzu: Ich möchte das, was ich wirklich denke, ausdrücken. Ich muss fast schon die Blüte riechen und mir ihre Farbe vorstellen können. Und dann kommt der Ausdruck. Ich kann eine Göttin darstellen und mich in sie hineinversetzen, wie fein, edel und mitfühlend sie ist – dann kommt dieser Zustand über mich. Wie ich in dem Moment aussehe, ob ich vielleicht geschminkt bin, ist völlig uninteressant. Das Gefühl der Göttin senkt sich über mich. Das ist Bhava. Tatsache ist, dass ich die technische Voraussetzung benötige, um die Gedanken in etwas hineinzuversenken. Das fehlt beim Üben von Asanas manchmal: Man praktiziert eine Asana und weiß nicht, was man denken soll. Da fehlt eine gewisse Kommunikation. Ich muss konstant an „ausatmen“, „loslassen“, „Leere“ oder „von mir absehen“ denken. Manchmal fehlt die Anleitung, was der Übende jetzt genau denken soll. Denn wenn ich, während ich im Baum stehe und gut balanciere, denke: „Wow, ich kann ja gut stehen“, ist das Ego schon wieder da. Dann ist Yoga vorbei. Erst, wenn ich mit der Asana verschmelze und die Übung fließen lasse, kommt Bhava über mich. Ich muss mein Bein nicht bis zum Himmel strecken können. Ich gehe mit meinem Bein nur so weit in die Höhe, bis ich ein Ende fühle. Von dort aus schicke ich meine Gedanken zum Himmel.

„Mudras sind der Schlüssel zur indischen Philosophie“, heißt es in deiner Kursbeschreibung. Am Ende des Workshops hast du uns gezeigt, dass man tatsächlich ganze Mantras über Mudras ausdrücken kann. Ist das damit gemeint?
Wenn ich vom Schlüssel zur indischen Philosophie spreche, meine ich, dass die Mudras die Kräfte der Götter ausdrücken. Jeder Gott hat eine Philosophie, eine Bedeutung, einen Grund, weshalb er existiert. Saraswati steht zum Beispiel für Lernen, Weisheit, Reinheit und Frieden. Mit Mudras kann ich Saraswati formen und über die Mudras die hinduistische Lehre verstehen. Als die Shastras im Jahr null entstanden sind, waren die Mudras schon eine hochentwickelte Kunst, die man dann in ihnen niedergeschrieben hat. Wir blicken also in ganz alte, archaische, rituelle Zeiten zurück, in denen man mit Mudras gebetet hat. Die Mudras sind ein Symbol für einen Geisteszustand und für das Opfern. Die Priester in Indien opfern den Göttern mit Hilfe von Mudras und kennen die Mudras ebenso wie die Tänzer. Die Mudras sind auch deshalb ein Schlüssel zur indischen Philosophie, weil sie ein Kommunikationsweg zu geistigen Kräften sind.

Heute wird in einigen Büchern beschrieben, dass es bestimmte Mudras gibt, mit denen man zum Beispiel Kopfschmerzen lindern kann.
Es liegt mir fern, Menschen zu kritisieren, die ich gar nicht kenne, oder Schriften, die ich nicht gelesen habe. Aber man muss immer davon ausgehen, dass vieles, was da draußen existiert, stark vereinfacht wurde. Es wurde vereinfacht, um es populär zu machen. Viele lesen das Geschriebene einfach mechanisch und glauben, dass es wirkt. Klar, wenn ich glaube, dass es wirkt, und mich das glücklich macht, hat der Glaube seinen Zweck erfüllt. Der Glaube ist ja unglaublich. Ich glaube nicht, dass es unheilbringend ist, wenn man daran glaubt. Dennoch: Die Dinge werden vereinfacht und damit verlieren sie viel von ihrem Inhalt.

Von Verena Hertlein und Laura Hirch

Das Magazin // Juli + August 2012

Ein Weg, kein Dogma

Indra Devi, die im Westen in Vergessenheit geratene Grand Dame des Yoga, die neben B.K.S. Iyengar und Sri Pattabhi Jois Meisterschülerin von Sri T. Krishnamacharya war und später die erste Yogalehrerin in Indien, sagte 1959: „Ein Yogi hat keinen Tempel, kein Ritual und keine Dogmen.“  Kein Dogma aus seinem Yoga zu machen, heißt auch, sich immer wieder von außen inspirieren zu lassen, das Neue zu beobachten, sich Herausforderungen der Wirklichkeit zu stellen und sich  grundsätzlich auch die Fehlbarkeit des eigenen (Yoga-)Standpunkts vorstellen zu können. In der Philosophie gibt es dafür das schöne Wort „Fallibilität“: Es muss möglich sein, dass einmal Erkannte zu revidieren, zu überdenken, sich zu korrigieren und zu entwickeln. Selbst für die stärksten Überzeugungen gibt es keine abschließende Garantie, alle Erfahrungen müssen geprüft werden. Angesichts dutzender neuer Stile im Yoga und hunderter verschiedener Schulen gewinnt diese Aussage starke Integrationskraft. Indra Devi fährt in einfachen Worten fort: „Yoga ist eine Methode, die damit beginnt, den Körper des Menschen zu vervollkommnen, und damit endet, seinen Geist zu entfalten.“ Das darf heute vielleicht als gemeinsame Überzeugung aller Yoga-Übenden gelten. Die Yoga-Sutren beginnen mit dem Satz: „Hier ist der Yoga, wie ich ihn in der natürlichen Welt beobachtet habe.“ Patanjali meint damit den Austausch mit der gemeinsamen geteilten Welt. Sein Yoga zielt auf einen neugierigen, offenen Lernprozess und nicht auf unkorrigierbares Wissen. In diesem Sinne können die heutigen Yogis viel zu einer besseren Welt beitragen, indem sie sich nicht im eigenen kleinen Tempel einschließen. Indra Devi ist von Indien nach Shanghai gegangen, hat in Moskau gelehrt, war als Lehrerin jahrelang in Hollywood und wurde schließlich für Jahrzehnte in Argentinien ansässig. Sie ist 1899 in Russland geboren worden und ist erst 2002 in Buenos Aires gestorben. Mit einem Dogma hätte sie das alles nicht geschafft.

Om Shanti,
Michi Kern und die YOGA JOURNAL-Redaktion

TITELTHEMEN
– Stilserie: Sivananda Yoga
– 10 Asanas für Kraft im Alltag
– Der Dalai Lama in Europa: “Mein Nachfolger könnte eine Frau sein”
– Yoga in den Alpen: Üben mit Aussicht
– Happy Meal: Rezepte für die heiklen Kleinen
– Interviews: David Swenson, Marc Holzman, Anjali Sriram
– Yoga City Trip: Salzburg

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Wir können mehr, als wir je dachten – Elena Brower

Elena Brower

Sie ist das, was man in den USA einen “tough cookie” nennt: Elena Brower, Anusara-Yogalehrerin aus New York. Ihre Klassen sind eine Herausforderung, denn Brower möchte ihre Schüler aus der mentalen Couchzone herausholen. Über ihren eigenen Veränderungsprozess, ausgelöst durch Yoga, spricht sie mit erfrischender Offenheit. Dabei vermittelt sie das Gefühl: Ich weiß, wie es sich anfühlt, sich selbst im Weg zu stehen. YOGA JOURNAL-Autorin Diana Krebs traf die international bekannte Lehrerin in Paris zum Interview.

Elena Brower ist ein wenig müde. Sie unterrichtet hier an der Seine einen Wochenendworkshop. Zwischen den Mittagsklassen bleibt nicht viel Zeit zum Essen, also müssen Feigen und gesunde Cracker reichen, die sie gerne anbietet. Die Klassen finden in der American Church statt, einer im gotischen Stil errichteten Kirche. Es ist das erste sonnige Wochenende in Paris seit langem, die Sonne scheint durch die Verstrebungen und auf die Steinbank im Vorhof, auf der wir sitzen. Fehlt nur noch ein Mensch im Mönchsgewand, denke ich.

YOGA JOURNAL: Wie war dein Leben, bevor du mit Yoga angefangen hast?

Elena Brower: 1992 beendete ich die Uni und fing direkt im Anschluss als  Textildesignerin bei einer großen Firma in New York an. Vier Jahre später arbeitete ich ein Jahr lang für eine Modedesignerin, dann kam ein Jobangebot in Italien. Dort ging es mir gut, aber ich war nicht erfüllt. Es war an einem Sonntag, als ich in meiner kleinen Küche in Turin saß. Man hörte das Stimmengewirr der Familien, es war um die Mittagszeit. Ganz plötzlich war mir klar, dass ich weg musste. Ich wusste, dass ich unterrichten wollte. Mir war allerdings noch nicht klar, wie und was, vielleicht Kinder.

Ich ging also zurück nach New York, machte eine einjährige Ausbildung zur Kunstlehrerin und unterrichtete in verschiedenen Schulen und Kindergärten. Zu dieser Zeit nahm ich Yogaunterricht bei Cindy Lee. In einem klassischen Fitnessstudio. Ich habe mich sofort in die Art ihres Unterrichts verliebt. Sie war so witzig und albern. Bei ihr absolvierte ich mein erstes Lehrertraining. Von da an habe ich Yoga unterrichtet, das war 1997.

YJ: Als du dich mehr und mehr mit Yoga befasst hast, war es teilweise ein emotional schmerzvoller Prozess für dich? Yoga lässt einen doch die Kluft zwischen Anspruch und Realität erkennen?

In diesem Augenblick erweist es sich, dass Elena Brower nichts gibt, ohne einzufordern. Statt brav zu antworten, fragt sie zurück und kommt direkt zur Sache.

Kam das bei dir erst mit Anusara Yoga, oder hast du bei dir diese Kluft schon zuvor wahrgenommen?

YJ: Das kann ich jetzt nicht so genau sagen, aber Yoga hat sie definitiv offengelegt.

Weil du auf deiner Matte bist und realisiert, dass du dir selber dabei im Wege stehst, dieses strahlende, wunderbare Wesen zu sein, welches du bereits bist?

YJ: So ungefähr. Yoga ist eben nicht nur angenehm, sondern deckt auch die schmerzlichen Seiten des bisherigen Daseins auf. War es für dich anfangs manchmal ein schwieriger Prozess oder ausschließlich befreiend? Oder beides?

Für mich war es definitiv überhaupt nicht befreiend, als ich mit Yoga begann. Ich muss beispielsweise noch immer daran arbeiten, die Person, die ich auf der Yogamatte bin, mit der, die ich außerhalb des Yogastudios bin, zu vereinen. Langsam, aber stetig entwickelt es sich zur Beständigkeit, dass ich das, was ich auf Yogamatte erfahre, auch draußen in der Welt leben kann. Ich habe heute Morgen darüber gesprochen, wie wir das erreichen können: Kultiviere Dankbarkeit.

YJ: Sich dankbar öffnen meinst du?

Die Dankbarkeit, die du auf der Matte spürst, ist die Dankbarkeit, die du jenseits der Matte spüren willst. Beispielsweise unser Gespräch hier: Ich weiß, dass es nicht  einfach ist, aber ich werde mich hier und jetzt in Dankbarkeit üben.

YJ: Was mich an deinem Unterrichtsstil überrascht, ist deine oft beinahe schmerzhafte Offenheit, wie du über deinen eigenen Entwicklungsprozess sprichst. Hattest du die Befürchtung, dass diese Ehrlichkeit manche Menschen abschrecken würde?

Es gibt wirklich Menschen, die ich verloren habe. Aber die Leute, die wiederkommen, wollen die Dinge, über die ich spreche, in ihr eigenes Leben integrieren. Angst hat man dann, wenn man noch nicht bereit ist. Das ist ok. Denn seien wir ehrlich: Das, was ich sage, ist nicht leicht zu ertragen. Natürlich ist das nicht in jeder Klasse der Fall, aber wenn ich solche Fragen stelle wie “Wie läuft deine Ehe?” und “Habt ihr Sex?”, dann erschreckt das viele Leute. Denn die eigentliche Frage lautet: Erzählst du wirklich die Wahrheit über dein Leben? Die Konsequenz ist, dass die Hälfte der Leute nicht wieder kommt. Wenn ich in meinen Klassen oder in meinem Blog über die wirklich schwierigen Dinge im Leben spreche, gehen mir definitiv ein paar Leute verloren. Diejenigen, die bleiben, setzen sich in einer Art und Weise für ihr Wohlergehen ein, die mich mit Stolz erfüllt.

YJ: Deine Art und Weise, Menschen in deinem Unterricht zu motivieren, spricht mich besonders als Frau an.

Der Grund dafür ist wahrscheinlich deine persönliche Erfahrung, dass du an irgendeiner Stelle deine Weiblichkeit noch nicht leben kannst.

Und wieder wird es persönlich. Ich muss das Aufnahmegerät ausschalten. Denn es folgt ein längeres Gespräch über Paarprobleme und eine ganz persönliche Empfehlung Browers, damit umzugehen. Ganze fünf Minuten dauert diese lieb gemeinte Standpauke. Eine Woche später kann ich feststellen: keine schlechte Idee eigentlich.

YJ: Ist es deine Erfahrung, dass Frauen und Männer verschiedene Formen von “empowerment”, also Selbstermächtigung, benötigen?

Natürlich ist das völlig unterschiedlich. Aber es gibt auch Bereiche, die sich überschneiden. Es geht ja letztendlich darum, den Menschen zu helfen, sich selbst zu helfen. Frauen haben häufig eine bestimmte Erwartungshaltung, wie sie behandelt werden wollen. Gleichzeitig behandeln sie oft ihr Umfeld selbst nicht so. Das führt zu großen Enttäuschungen. In Partnerschaften beschweren sich dann viele Frauen: Warum ist er nicht netter zu mir? Er ist so gemein, er will mich noch nicht einmal berühren? Warum nur? Die Antwort ist einfach: Weil du nicht lächelst. Du bist wunderschön, nur: Du lächelst nicht. Warum also sollte überhaupt irgendjemand in deiner Nähe sein wollen? Lächle, fühle deine innere Schönheit und die Welt wird ganz anders auf dich reagieren. Im Grunde ist es sehr einfach, Frauen zu stärken.

Lies hier mehr zu dem Thema: Männliche und weibliche Selbstliebe.

https://yogaworld.de/maennliche-selbstliebe-satsang-kolumne/

YJ: In deiner Klasse gestern sagtest du: Wir benutzen unsere Zweifel als Ausrede, nicht zu handeln. Wie kann uns Yoga dabei helfen, diese Zweifel zu überwinden und zu handeln?

Der Grund für dieses Nicht-Handeln ist, dass wir uns schlecht fühlen. “Es geht mir nicht gut”, “Ich weiß nicht, ob ich das tun kann, also lasse ich es lieber bleiben”. Yoga zeigt uns die Möglichkeiten, die uns begreifen lassen, dass wir viel mehr leisten können, als wir jemals für möglich gehalten haben. Wenn man eine Asana in ihre einzelne Teile zerlegt und dann atmet, so entdeckt man eine Kompetenz, von der man gar nicht wusste, dass man sie besitzt. Das ist ein unglaubliches Gefühl. Die physische Praxis hilft uns dabei, das Gefühl zu entwickeln: Du kannst alles tun.

Wenn wir eine Asana üben, schaffen wir es, für drei ganze Atemzüge präsent zu sein? Und nicht nach dem zweiten Atemzug gedanklich abzuschweifen? Das ist der Prozess, der die Zweifel auflöst. Im Coaching gibt es ebenfalls diese vielen kleinen Parameter, die uns dabei helfen zu erkennen: Oh nein, ich habe schon wieder Zweifel! Dagegen muss ich vorgehen. Zum Beispiel könnte man einfach bei jedem Zweifel einen Euro auf die Straße werfen. Für jeden Zweifel einen Euro! Ich gehe also die Zweifel von zwei Seiten aus an: von der Yoga- und der Coaching-Seite. Letztere ist sehr pragmatisch und handlungsorientiert. Ich bin nicht an der Vergangenheit interessiert, sondern daran, dass wir uns als heilende Einheit nach vorne bewegen, um uns selbst und diesen Planeten zu heilen.

Wanderlust in The City, June 2011 Photo- Michael Malandra

YJ: Wenn du davon sprichst, den Planeten zu heilen, kommt mir eine Sache in den Sinn, die für mich nicht zu dieser Einstellung passt. Du warst Global Yoga Ambassador für adidas. Adidas steht jedoch – wie viele andere großen Sportausrüster auch – immer wieder in der Kritik, sich nicht genügend für die sozialen Rechte der Arbeiter in den Produktionsländern einzusetzen. Wie gehst du mit diesen Vorwürfen um?

Ich war 2010 tatsächlich ein Jahr lang Global Yoga Ambassador für adidas. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass meine Reisen und mein Unterricht in dieser Funktion gut waren, sowohl für meine Schüler als auch für mich. Doch es war Zeit, weiter zu gehen. Ich bin gegen jegliche unfairen Arbeitspraktiken in jedem Unternehmen.

YJ: Nach außen zu gehen, ist jedoch weiterhin ein großes Thema bei Dir. Beispielsweise hast du mehrere Events organisiert, in denen sich Yogis in Museen zum gemeinsamen Praktizieren getroffen haben. Unter anderem im Museum of Modern Art in New York. In einem Raum mit einer Pipilotti Rist-Installation. Wie kam es dazu?

Die Pipilotti Rist-Ausstellung war der erste Event dieser Art, die zweite Yogaklasse war im Garten des Museum of Modern Art und der dritte Event war eine Yogaklasse unter Gabriel Orozcos 10 Meter langem Walskelett im Museum of Modern Art. Das Skelett hing über unseren Köpfen und darunter praktizierten wir Yoga.

Als sie das erzählt, springt sie begeistert auf und streckt ihre Arme hoch in die Luft, so als wolle sie die Magie dieses Events direkt hier in unsere gotische Kapelle übertragen. Das Walskelett ist heute in der neu gebauten Bibliothek in Mexico City untergebracht.

Das Thema dieser Yogaklassen war jedoch ein anderes als etwa das in unserer heutigen Klasse. Es ging nicht um Dankbarkeit, sondern darum, dass unsere Praxis uns einen Rahmen oder ein Gerüst gibt, unter dem wir genau das erschaffen können, was wir wollen. Vielen ist im Unterricht nicht klar,  dass diese Möglichkeit gegeben ist. Sie besuchen eine Yogaklasse und der Lehrer sagt: Ok, wenn ihr das tut, dann fühlt ihr euch so oder so. Einige denken dann: So habe ich mich aber gar nicht gefühlt. Unsere Praxis ist dazu da, um das zu erschaffen, was gerade für uns wichtig ist. Wir sind nicht gezwungen, dass zu tun, was andere uns sagen. Ich kann nur Vorschläge auf Basis meiner Erfahrung geben. So, wie es für mich funktioniert.

YJ: Spiegelt die Kunst sozusagen die Yoga-Praxis?

Genau. Im Grunde ist Ansuara Yoga – so sieht es auch John Friend – Kunst. Aber eben auch eine Wissenschaft: Die Technik bezüglich der Anatomie ist eine echte Wissenschaft. Und wenn man diese Wissenschaft präzisiert, wird Kunst daraus. In der Gegenwart großer Kunst Yoga zu praktizieren und gleichzeitig mit dem eigenen Körper Kunst zu produzieren, ist schon eine besondere Erfahrung.

Paris Sep 2011

YJ: Du scheinst eine Vorliebe für ungewöhnliche Unterrichtsorte zu haben. Anfang Oktober hast du vor dem Platz am Eiffelturm 2.000 Yogis angeleitet. Anlass war Mahatma Gandhis Geburtstag. Wie kam es zu diesem Event?

Ich habe schon viele Jahre lang davon geträumt, unter dem Eiffelturm Yoga zu machen. Viele Menschen, die hier in Paris leben, haben mich bei der Verwirklichung dieses Traums unterstützt. Ich hatte schon einmal zwischen 10.000 und 12.000 Menschen im Central Park in New York unterrichtet, das hat auch meine Möglichkeiten hier in Paris erhöht. Es dauerte ein ganzes Jahr, um die Gemeinde von Paris von dem Vorhaben zu überzeugen. Wir wollten ja bis zu 2.000 Menschen mobilisieren, die auf dem Champ de Mars vor dem Eiffelturm Yoga machen.

Meine Mission ist, so viele Menschen wie möglich zusammenzubringen, die miteinander praktizieren. Die Welt braucht mehr von diesen kollektiven Momenten der reinen Absicht und Heilung. Und danach gehen diese Menschen nach Hause und verbreiten automatisch eine gute Stimmung in ihren Familien. Sie hören ihren Partnern und Kindern besser zu, haben mehr Geduld und sind freundlicher. Das ist alles, was wir brauchen. Wir benötigen solche Erinnerungshilfen immer und immer wieder.

Interview mit Elena Brower von Diana Krebs

Elena Brower ist zertifizierte Anusara-Yogalehrerin und Gründerin von Virayoga New York. Auf der Onlineplattform yogaglow.com gehört sie zum festen Bestandteil der Lehrer. Sie schreibt regelmäßig Beiträge für die Huffington Post, hat einen Blog und betrie den wöchentlich Vlog “Mindful Smack”.

Das Magazin // Mai + Juni 2012

Shavasana

„Die meisten Menschen sind jemand anderes. Ihre Gedanken sind die Meinungen anderer, ihr Leben ist Nachahmung, ihre Leidenschaften sind Zitate“, sagt Oscar Wilde. (Um gleich zu Anfang jemand anderen zu zitieren und dessen Gedanken zur eigenen Meinung zu machen.) Im Yoga dagegen werden wir für Momente authentisch. Beim Atmen kann uns niemand vertreten. Beim Umfallen aus dem Kopfstand auch nicht. Die Entspannung am Ende gehört uns selbst – oder es ist eben keine Entspannung. Das alles kann sehr befreiend sein. Aus dem gleichen Grund wollen die Tibeter das Sterben üben. Im Moment unserer Todes sind wir auf uns allein gestellt, wir können uns nicht mehr vertreten lassen oder ausweichen. Die Buddhisten üben deswegen ein bewusstes und vor allem angstfreies Sterben. Im Yoga eröffnet Shavasana, die „Totenstellung“, zumindest eine Perspektive auf einen körperlosen Zustand. Obwohl wir „tot“ sind und der Körper sich für einige Augenblicke auflöst, ist unser Bewusstsein weiter da. Tulku Lobsang nennt diesen Zustand in unserem Interview Schlaf- oder Traum-Yoga. Die Lehre aus solchen Übungen oder auch tiefer Meditation ist: körperlos = todlos. Wir machen dabei unter Umständen eine ganz direkte Erfahrung. Die Beschäftigung mit dem Tod und dem eigenen Sterben hat viele Aspekte. Wir wollen das Thema niemandem aufdrängen. Wir teilen jedoch die Meinung vieler Philosophen und spiritueller Lehrer, dass die Beschäftigung mit dem Sterben, dem Leben eine besondere Qualität geben kann. Unser Seinsbewusstsein (Karl Jaspers) verändert sich, unsere Lebendigkeit nimmt zu, die Dankbarkeit für das Leben und die Fähigkeit zu lieben.

Om Shanti,
Michi Kern und die YOGA JOURNAL-Redaktion

TITELTHEMEN
– SPECIAL: Loslassen. Yogaphilosophie / Vom Umgang mit dem Sterben / Alles rund um Shavasana
– 3 schmerzfreie Herzöffner
– Interviews: Schauspielerin Hannah Herzsprung, Tibetischer Meister Tulku Lobsang
– Stilserie: Iyengar Yoga
– Reinigungskur – Ayurvedisch entschlacken
– City Trip: Stuttgart
– Gesunde Frühlingsküche statt Diätenwahn

Sie können die Ausgabe 03/2012 bequem und versandkostenfrei in unserem Wellmedia-Shop bestellen.

Verwenden statt verschwenden

Omas Spruch „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“ müsste in der heutigen Zeit eigentlich anders lauten. In erster Linie sollte das gegessen werden, was anderenfalls in der Tonne landet. Das ist nämlich meistens durchaus noch genießbar. Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner verkündete erst kürzlich, dass laut einer Studie für das Verbraucherschutzministerium in Deutschland jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden. Etwa zwei Drittel davon kommen aus privaten Haushalten. Hauptsächlich werfen die Menschen Essen weg, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist – dabei sind viele Lebensmittel auch nach diesem Zeitpunkt noch vollkommen in Ordnung. Bis die Nahrungsmittel ihren Weg in unseren Kühlschrank finden, müssen sie erst gewisse ästhetische Kontrollen bestehen. Kartoffeln sollen klein und ebenmäßig sein, Äpfel mit einem Durchmesser von weniger als fünf Zentimetern verlassen den Ursprungsort erst gar nicht. Der Regisseur Valentin Thurn hat den weltweiten Umgang mit Lebensmitteln beobachtet und macht in seinem Film “Taste The Waste” auf die haarsträubenden Ergebnisse aufmerksam. Auf der Suche nach den Ursachen und Verantwortlichen spricht er mit einem Supermarkt-Direktor, einem Bäcker, einem Großmarkt-Inspektor, einem Bauern und einem EU-Politiker. Was er findet, ist ein weltweites System, an dem sich alle beteiligen. Der Filmemacher geht noch einen Schritt weiter und weist nach, dass sich die Verschwendung verheerend auf das Weltklima auswirkt.

Fazit: Ganz ohne erhobenen Zeigefinger zeigt “Taste The Waste”, dass ein weltweites Umdenken stattfindet und dass es viele Menschen gibt, die die irrsinnige Verschwendung zu stoppen versuchen. Erschütternd und doch ermutigend!

Tipp: Auf den OM-Seiten der YOGA JOURNAL-Ausgabe 03/12 stellen wir das Projekt “Dinner Exchange” vor.

 

Slow Sex – Wie Sex glücklich macht

Entschleunigung bitte. Und das nicht nur beim Essen, sondern auch bei der schönsten Nebensache der Welt. Nach der Trendbewegungen Slow Food (im Gegensatz zu Fastfood) greift der Gedanke zum Genießen nun auch auf das Thema Sex über und nennt sich Slow Sex. Als ein Grundbedürfnis des Menschen und wichtiger Teil einer Beziehung ist Sex ein Teil des Lebens, mit dem wir uns immer wieder beschäftigen.

Aber was ist, wenn das schneller-höher-weiter-sensationeller-Prinzip der durchsexualisierten Gesellschaft auch vor dem Bett nicht Halt macht und wir vollkommen überzogene Gedanken, Wünsche und Anforderungen an uns selbst und unseren Partner stellen? Performance alles ist? Gemessen an den stets präsenten Idealbildern kann die Realität nur enttäuschen und es entsteht Frust, Angst, Isolation. Also genau das Gegenteil von intimer Zweisamkeit.

Diana Richardson, Bestsellerautorin und Sexualtherapeutin, kann denjeningen unter uns, die durch zu viel Druck eine gewisse Anti-Haltung und Skepsis zum Thema Sex entwickelt haben mit ihrem Film “Slow Sex – Wie Sex glücklich macht” sanfte Abhilfe schaffen. Nicht nur sie und ihr Mann treten dem Zuschauer absolut ehrlich gegenüber. Auch andere Paare wurden nebeneinandersitzend über die Momente und Gefühle befragt, die sonst lieber unter den Tisch gekehrt werden.

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Die Regisseurin Diana Richardson

Nach ihrem Buch „Slow Sex – Zeit finden für die Liebe“ hat Diana nun ein Verständnis von im Alltag positiv gelebter Sexualität als Alternative zu überhasteter, entindividualisierter, mechanischer Imitation von Erotik und Liebe verfilmt. Die ratgebende Dokumentation richtet sich an alle, die sich mit den Themen Körper, Seele und Geist sowie der Integration ihrer Sexualität im Alltag beschäftigen wollen. Richardsons Analysen rund um das Thema Sex sind keine Heilsphilosophie, sondern praktische pragmatische Lebenshilfe, auch über das Kernthema hinaus.

Der Individualität im Sex, der uninszenierten Erotik und der zwanglosen, nicht vom Wettbewerb überfrachteter Zweisamkeit ist die auf Diana Richardsons erfolgreichen Seminaren und Büchern basierende DVD „Slow Sex“ gewidmet, auf der die Ansätze und Theorien ihrer Methodik kompakt und zugänglich dargestellt werden.

Fazit: Eine Einladung, sich selbst und dem Anderen beim Sex wirklich und authentisch zu begegnen.

“Slow Sex – Wie Sex glücklich macht. Der neue Stil des Liebens” von Diana Richardson, (Innenwelt Verlag, Produktionsfirma: relaxLove Productions / augenschein Filmproduktion), ca. 25 Euro

 

Glücksformeln

„Gibt es einen Schlüssel zum Glück? Nein, denn ein Schlüssel würde nur eine Antwort zulassen“, weiß Glücksforscher Prof. Dr. Ed. In „Glücksfomeln“ beleuchtet Regisseurin Larissa Trüby das Glück von allen Seiten: Neben Glücks-Forschern kommen jene zu Wort, die ihren eigenen Weg gefunden haben: Musiker Phillip ist am glücklichsten, wenn er kreativ arbeitet. Bei Abiturientin Janina wirkt das Joggen; die NLP-Trainer Marc und Wiebke visualisieren ihr Glück. Macht, Geld und Äußerlichkeiten, so wird klar, können nur kurzfristig die Stimmung aufhellen. Der Film zeigt: Wir können selbst für unser Glück sorgen – ohne zu erwarten, dass es uns in den Schoß fällt. Glück wird greifbar, machbar, Eine Glücksformel ist, in sich ehrlich zu fragen: Was macht mich wirklich glücklich? Denn am Ende haben wir nur eines: ein Leben. Das sollte so glücklich wie möglich sein. Und wer im Film keine Glücksformel findet, freut sich an den schönen Bildern.

Fazit: „Glücksformeln“ liefert vielleicht nicht die individuell passenden Formeln zum Glück, bringt uns aber auf den richtigen Weg, diese Gleichung zu lösen.

Laura Hirch

„Glücksformeln“ von Larissa Trüby (Universum Film, ca 15 Euro)

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