Yoga Nidra: Wirkung auf Körper und Geist

Stress, besserer Schlaf, ein tieferer Zugang zu deinen Gefühlen: Diese vier Wirkungen von Yoga Nidra helfen dabei, dir in hektischen, zerstreuten Zeiten neues Leben einzuhauchen.


Wörtlich übersetzt bedeutet der Sanskrit-Begriff Yoga Nidra “Yoga-Schlaf”. Dabei handelt es sich um eine geführte Meditation im Liegen, bei der im Lauf verschiedener Stadien Körper und Geist in eine immer tiefere Entspannung geführt werden. Der Geist soll dabei ganz wach bleiben und eine voll bewusste Ruhe erreichen. Im Verlauf des systematischen Ablaufs einer Yoga-Nidra-Praxis kommen verschiedene Atem-, Entspannungs- und Visualisierungstechniken zum Einsatz, die je nach Lehrer und Vorerfahrungen etwas verschieden sein können. Häufig wird auch ein Vorsatz (Sankalpa) in den tieferen Schichten des Bewusstseins verankert, von wo aus er eine erstaunliche Wirksamkeit entfalten kann. Yoga Nidra geht – wie viele andere yogische Techniken – auf Überlieferungen des Tantra zurück und wurde von Swami Satyananda Saraswati ins moderne Yoga eingeführt.

Mehr zur Bedeutung von Yoga Nidra erklärt Eric Bennewitz in “Yoga Nidra: Ins Sein hinein entspannen

Stress an der Wurzel lösen

Stress wird ausgelöst durch Gedanken, körperliche Einflüsse und durch die Umgebung. Weißt du noch, was heute früh beim Aufwachen dein erster Gedanke war? War er eher negativ, dann hat er vielleicht den Grundton gesetzt für den gesamten Tag. Denn jeder Gedanke beeinflusst, wie Körper und Geist ausgerichtet sind und wie du in deinem sozialen und beruflichen Umfeld agierst. Auf diese Weise können stressige Gedanken leicht weiteren Stress triggern. Natürlich erleben wir alle jeden Tag ein gewisses Maß an Stress, aber ist er real oder imaginär? Aus biologischer Sicht tritt echter Stress ein, wenn ein bösartiger Hund dich anspringt – dann bist du in einer echten Fight-or-Flight-Situation. Viel häufiger reagieren wir modernen Menschen allerdings mit Stress, weil wir uns an eine längst vergangene stressige Situation erinnern oder weil wir uns eine vielleicht bevorstehende vorstellen. Wenn du zum Beispiel zur Arbeit kommst und deine Chefin sagt dir, sie wolle dich in fünf Minuten in ihrem Büro sehen, dann können innerhalb weniger Sekunden deine Gedanken so sehr eskalieren, dass dein sympathisches Nervensystem beim Eintreten in das besagte Büro schon in einer Fight-or-Flight-Reaktion gefangen ist: Du möchtest deiner Chefin dann entweder am liebsten eine reinhauen oder sofort kehrtmachen und davonrennen.

So wirkt Yoga Nidra auf Stress

Die Entspannungs- und Atemtechniken von Yoga Nidra aktivieren das parasympathische Nervensystem und bewirken so eine Entspannungsreaktion. Das löst die im Körper aufgebaute Stressspannung. Die ersten Phasen der Meditation zielen darauf ab, das Gehirn von den geschäftigen Beta-Wellen hin zu den langsameren Alpha-Wellen zu bringen, bei denen eine tiefere Entspannung beginnt. So wird der Teufelskreis von imaginärem Stress durchbrochen, denn Yoga Nidra öffnet dir den Zugang zur Wurzel von Stress: den Gedanken. Mit zunehmender Übung werden in den darauffolgenden Phasen der Meditation sogar Theta- und Delta-Hirnwellen erfahrbar. Dabei kommt es von innen her zu einer Verschiebung darin, wie Stress auslösende Gedanken verarbeitet werden. Das verändert deine Beziehung zu deinen Gedanken auf positive Weise und mindert Stress schon an seiner Wurzel – dem Geist.

Endlich besser schlafen

Kennst du das? Du liegst im Bett und analysierst die Erlebnisse des vergangenen Tages. Bevor du dich versiehst, ist es 3 Uhr früh und auch jetzt fällt es deinem Geist nicht leicht, endlich loszulassen und dem Körper etwas Ruhe zu gönnen. Ganz egal ob du Schwierigkeiten mit dem Einschlafen hast, mitten in der Nacht aufwachst oder an echtem Schlafmangel leidest: Guter, erholsamer Schlaf entscheidet über Gesundheit, Stimmung, Gedächtnisleistung, Lernfähigkeit und Entscheidungsfindung. Das merkst du schon alleine daran, wie du nach einer einzigen schlaflosen oder kurzen Nacht funktionierst und dich fühlst. Wobei ich bewusst “guter Schlaf” schreibe, denn die Zahl der nötigen Stunden ist von Mensch zu Mensch ganz verschieden und verändert sich auch mit zunehmendem Alter. Doch fest steht: Im Durchschnitt schlafen die Menschen heute weniger als früher. Das hängt mit den längeren Arbeitszeiten zusammen, aber auch damit, dass wir 24 Stunden lang Zugang zu Stimulanzien wie Internet und anderen Unterhaltungsmedien haben. Manche Menschen versuchen, den entgangenen Schlaf aufzuholen, indem Sie am Wochenende ausschlafen, aber das reicht in vielen Fällen nicht.

Kennst du schon die 4-7-8-Atmung? Auch sie kann dir bei Schlafproblemem helfen.

So wirkt Yoga Nidra auf den Schlaf

Yoga Nidra basiert auf dem Schlaf und das bedeutet, dass Körper und Geist in einen Zustand tiefer Ruhe geführt werden, obwohl du zugleich ganz wach und bewusst bist. Die positiven Wirkungen dieser Meditation für Menschen mit Schlafmangel sind reich: Im ersten Stadium von Yoga Nidra, in dem körperliche Entspannungstechniken zum Einsatz kommen, werden die fünf Sinne und damit auch die Aufmerksamkeit nach innen gerichtet. Der Körper lässt los und der geschäftige Geist beginnt, sich zu verlangsamen. In den folgenden Stadien, beim Fokus auf den Atemkreislauf, dem Erfahren entgegengesetzter Empfindungen und Gefühle und dem Wachrufen von inneren Bildern, driftet der Körper in immer tiefere Entspannung und der Geist wird leer. Die Gedankenwellen verlangsamen sich so weit, dass Gedächtnis, Lernfähigkeit und Entscheidungsfindung sich verbessern können. Gleichzeitig wird bei wiederholter Praxis von Yoga Nidra auch mehr Melatonin im Gehirn freigesetzt. Eine der Funktionen dieses Hormons besteht darin, den Biorhythmus zu regulieren: Beim Übergang von Tag zu Nacht und umgekehrt folgt der Körper diesem Rhythmus, indem er Melatonin ausschüttet. Mit anderen Worten: Wenn du unter Schlafstörungen leidest, brauchst du Melatonin, und Yoga Nidra kann dieses Hormon auf ganz natürliche Weise zur Verfügung stellen, was den Einsatz von Medikamenten häufig unnötig macht.

Emotional mit sich ins Reine kommen

Yoga Nidra Wirkung
Yoga Nidra: Wirkung auf Körper und Geist

Seit wir kleine Kinder waren, haben wir Eindrücke und Erfahrungen in uns gespeichert, die – bewusst oder unbewusst – unser Selbstbild und unsere wichtigsten Glaubenssätze geformt haben. Nehmen wir mal den Glaubenssatz “Ich bin nicht gut genug” und das damit verbundene Gefühl, vermutlich Traurigkeit. Ist es in Ordnung, traurig zu sein? Natürlich, aber wohin geht die Traurigkeit, wenn sie eine Zeit lang unterdrückt wird? Sie verschwindet nicht einfach, sie wird irgendwo im Körper festgehalten. Hast du schon mal bemerkt, wie Traurigkeit deine Atmung und Körperwahrnehmung beeinflusst? Unangenehme oder unterdrückte Gefühle sind genau wie die Empfindung von Freude oder Glück auch: Sie mögen an ein früheres Erlebnis, an eine Erinnerung gebunden sein, aber sie wollen offen und wertfrei erlebt werden. Wenn wir akzeptieren, dass das Leben, genau wie unsere Emotionen, voller Gegensätze ist, dann wird es leichter, eine Situation und ein Gefühl einfach so anzunehmen, wie sie sind: Es ist nur ein Gefühl.

So wirkt Yoga Nidra auf der Gefühlsebene

Durch Yoga Nidra können wir lernen, unseren Gefühlen zu lauschen und besser bei ihnen zu bleiben. So kann diese Meditation uns tiefe Einsichten und emotionale Freiheit schenken. Auch wenn Yoga Nidra oberflächlich betrachtet eine einfache Tiefenentspannung ist: Es steckt viel mehr dahinter. Wir bewegen uns systematisch durch die Bereiche von bewusstem, unterbewusstem und unbewusstem Geist. Sobald du tiefer in Ruhe und Stille eintauchst, richtet sich die Aufmerksamkeit unweigerlich nach innen und du beginnst, deine Gefühle und Gedanken eher zu beobachten als an ihnen teilzuhaben und sich an ihnen festzumachen. Je mehr man diese Beobachterhaltung kultiviert, desto leichter fällt es, auch unangenehme oder unterdrückte Gefühle anzunehmen, also Gefühle zu sich selbst, zum eigenen Platz in der Welt oder zur Sicht auf die Welt an sich. In dem Stadium von Yoga Nidra, das sich der Erfahrung von Gegensätzen widmet, lernst du, entgegengesetzte Empfindungen wie warm und kalt, oder widersprüchliche Gefühle wie Angst und Freude vom Standpunkt des Beobachters aus zu akzeptieren und anzunehmen. Ein Bild, das dabei für mich gut funktioniert, ist ein weiter, blauer Himmel. Die vorüberziehenden Wolken sind meine Empfindungen, Gedanken, Erinnerungen und Gefühle. Der Himmel wertet sie nicht und er reagiert nicht auf sie. Er ist einfach da und nimmt wahr. Er lässt sie kommen und gehen und erlaubt den vielleicht vorhandenen Anhaftungen sich zu lösen. Angewandt auf den Alltag, bewirkt diese Perspektive, dass ich harmonischer mit Vorstellungen und Gefühlen umgehen kann, anstatt auf sie zu reagieren. So kann ich mich leichter durch die Veränderungen und Herausforderungen des Lebens hindurch bewegen.

Die Essenz jenseits von Körper und Geist erleben

Hier kommen wir zu dem, was eigentlich die tiefere Wurzel und Intention von Yoga Nidra ist, einem Bereich, der sich dem intellektuellen Verständnis nur zu einem kleinen Teil erschließt und der weit jenseits der Worte liegt. Ich will es dennoch versuchen: Es geht darum, Atma als reines Bewusstsein zu erfahren. Alle Techniken von Yoga Nidra führen letztlich genau dort hin. Alle Anhaftungen und deine Identität von “ich bin dies oder jenes” lösen sich in einem Beobachter auf, der frei von allem Tun den weiten blauen Himmel betrachtet. Und selbst dieser Beobachter löst sich irgendwann auf in deiner Essenz, in einer Formlosigkeit und Zeitlosigkeit, die dennoch tief verbunden ist mit allen Wesen und Dingen. Es ist, als würde man einen kurzen Blick (oder auch mehr) erhaschen von unserem eigentlichen Selbst, ruhend und da seiend als eine immer präsente Ganzheit oder Einheit mit allem. Wenn du Yoga Nidra regelmäßig über einen längeren Zeitraum hinweg übst, werden diese kurzen Einblicke in deine Essenz dich immer fester verankern im unveränderlichen und unvergänglichen Zentrum deiner selbst. Die vielen anderen positiven Effekte von Yoga Nidra (von denen ich in diesem Artikel nur einige angesprochen habe) sind dann nichts weiter als angenehme Nebenwirkungen. Die Verbindung mit unserer Essenz löscht den spirituellen Durst, wir erkennen, dass alles, was wir uns wirklich wünschen, Frieden ist.

Ich hoffe, dass diese Zeilen dich dazu ermuntern, dieses Geschenk namens Yoga Nidra zu üben oder weiterhin zu üben.


Autor Eric Bennewitz lebt und unterrichtet in Hamburg in seinem Studio “Peace out Yoga”. peaceoutyoga.de

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