Große Transformationen verlangen uns einiges ab. Diese Sequenz hilft dir, dich in einer vertrauensvollen Offenheit in dir selbst zu verankern und positiv auszurichten. So fällt es dir leichter, die unendlichen Möglichkeiten zu sehen und einen bedeutsamen Beitrag zum großen Ganzen zu leisten.
Text und Sequenz: Nina Heitmann / Fotos: Nela König
Nach dem Stand der Wissenschaft gibt es mehr Sterne im Weltall als Sandkörner an allen Stränden und in allen Wüsten der Erde zusammen. Und dennoch ist dieses unermessliche Universum in diesem Augenblick nur vollständig mit jedem einzelnen, winzigen Sandkorn darin. Auch wenn dieses Beispiel unsere Vorstellungskraft sprengt, so hilft es doch zu begreifen, wie relativ unser persönliches Drama ist – und wie unersetzlich unser Dasein dennoch in der kosmischen Komposition des Augenblicks ist.
Über diese kosmische Komposition zu staunen, kann uns Vertrauen in den Sinn der eigenen Existenz geben und gleichzeitig den Blick für das bigger picture öffnen. Darin sind wir als Individuen zwar verschwindend winzig, aber trotzdem ein untrennbarer, notwendiger Teil des Ganzen. Das nimmt uns den Druck, etwas beweisen, leisten und erreichen zu müssen und motiviert uns dazu, uns mehr auf das Wohl aller auszurichten: Wir erkennen, dass das Wohl aller auch unser eigenes ist. Und die Welt braucht ganz offensichtlich mehr denn je Menschen, die genau das tun.
Die folgende Sequenz darf dich mit ihrem Schwerpunkt aus Rückbeugen und Hüftöffnern dabei unterstützen, dich immer wieder mit dem dafür nötigen Gefühl von Vertrauen und Offenheit in dir selbst zu verankern und positiv auszurichten. Dahinter steht die Überzeugung, das Yoga neben der körperlichen Ebene immer auch eine energetische, eine mentale, eine geistige und eine spirituelle Ebene hat. Wenn man sich jede dieser Ebenen bewusst macht, kann man die ganzheitliche Wirkung der Praxis noch feiner ausloten und ihre transformierende Kraft erleben.
Körperlich gehen die Hüftöffner und Rückbeugen in Bereiche, in denen wir uns besonders häufig verengen. In der Regel halten wir dann mit der körperlichen Spannung auch eine mentale. Wenn wir uns in einer herausfordernden Asana-Praxis aus der Komfort-Zone herausbewegen, zeigen sich diese mentalen Bewältigungsmechanismen oft besonders deutlich.
Solche Bewältigungsmechanismen sind zum Beispiel der Impuls, sich zu verengen, sei es nun, indem man sich durchbeißt oder aufgibt. Vielleicht gibt es im Leben Situationen, in denen das hilfreich ist, aber in Rückbeugen und Hüftöffnern kommt man damit nicht weit.
Wenn wir uns aber stattdessen in ein Gefühl von Vertrauen und Offenheit begeben, entspannt sich der Körper und aufgestaute Emotionen können abfließen. Energetisch wirkt diese Übungsreihe besonders auf Muladhara- und Anahata-Chakra (das Wurzel- und das Herzzentrum). Ein vitales Muladhara-Chakra gibt uns ein starkes Urvertrauen. Dieses Zentrum wird hier vor allem in den sitzenden Haltungen durch den Druck auf das Perineum aktiviert. Die Rückbeugen wirken als “Herzöffner” auf Anahata-Chakra, dessen Potenzial bedingungslose Liebe und Mitgefühl sind.
Aber auch die anderen Energiezentren unterstützen die Intention von Vertrauen und Offenheit: Hüftöffner arbeiten mit Svadhistana-Chakra, dem Sakralzentrum, das uns offen für Sinnlichkeit und Lebensfreude macht. Drehungen wirken auf Manipura-Chakra, das Nabelzentrum, das uns Selbstsicherheit gibt. Mit Simhasana befreien wir Vishuddha-Chakra, das Kehlzentrum, das uns einen authentischen Selbstausdruck ermöglicht. Mit Anjali-Mudra an der Stirn sammeln wir uns in Ajna-Chakra, dem Zentrum des dritten Auges, das unser Zugang zur tieferen Einsicht und universellen Wahrheit ist.
Die geistige Ebene der Praxis ist das Bewusstsein, mit dem wir die körperlichen, mentalen und energetischen Bewegungen bezeugen, ohne uns darin zu verlieren. Das trainiert unsere Fähigkeit, auch im Alltag nicht zum Spielball der Gegebenheiten zu werden, sondern bewusst zu entscheiden, in welcher Weise und in welches Geschehen wir uns involvieren wollen.
Die spirituelle Ebene der Praxis kann man nicht praktizieren, aber wir können ein spirituelles Erleben begünstigen. Zum Beispiel durch die Geschichte von den winzigen Sandkörnern, die das gigantische Universum erst vollständig machen. Oder indem wir einfach über das unfassbare Wunder des Daseins staunen und uns ergreifen lassen von etwas, das sich nicht begreifen lässt.
Bevor du beginnst
Du kannst die Sequenz im Anschluss an eine dynamische Yogapraxis üben oder dich gezielt dafür aufwärmen, zum Beispiel mit Sonnengrüßen. Wähle dafür eine Variante, die Rückbeugen und den tiefen Ausfallschritt enthält, um deine Brustwirbelsäule, Hüften, Oberschenkel und Leisten zu mobilisieren. Einige der gezeigten Asanas sind ziemlich anspruchsvoll, du kannst die Sequenz aber genauso gut mit den jeweils angegebenen einfacheren Alternativen üben!
Für eine korrekte Ausführung schau bei unserem Asana Finder vorbei.
1. Atemmeditation
Finde dich in einer bequemen Sitzhaltung ein. Das kann ganz einfach der Fersensitzauf einem Kissen sein oder zum Beispiel das hier gezeigte Siddhasana, der Schneidersitz mit einem Fuß vor dem anderen. Erde deine Sitzfläche und richte dich auf. Dann legst du die rechte Hand auf deinen Bauch und die linke Hand auf dein Herz. Schließe die Augen und vertiefe sanft deinen Atem.
Stelle dir vor, dass du ein Gefühl von Offenheit und Liebe in dein Herz einatmest und ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit in deinen Bauch ausatmest. Verbinde so Bauch und Herz in Vertrauen und Offenheit. Bleibe so lange bei dieser Meditation, wie es sich gut anfühlt, mindestens aber 10 Atemzüge lang.
2. Utthana Sukhasana: Rückbeuge aus dem Schneidersitz
Kreuze im Sitzen die Fußgelenke mit dem rechten Fuß vorne. Lehne dich etwas zurück, setze die Hände in schulterweitem Abstand hinter dich und drücke die Fingerspitzen auf die Matte. Richte dich mit einer Einatmung noch einmal gerade auf und hebe dann ausatmend dein Becken vom Boden ab. Dabei rollst du automatisch auf Unterschenkel und Knie. Weite mit jeder Einatmung deinen Brustkorb und betone mit jeder Ausatmung das Heben des Beckens etwas mehr. Bleibe einige Atemzüge lang in der Haltung, dann setzt du dich wieder auf den Boden.
Einfachere Alternative: Lege die Hände erhöht auf Blöcke.
3. Adho Mukha Sukhasana: Vorwärtsbeuge aus dem Schneidersitz
Du sitzt weiterhin im Schneidersitz mit gekreuzten Füßen und wanderst jetzt mit den Fingerspitzen nach vorne. Lass die Sitzbeinknochen dabei gleichmäßig in den Boden sinken und entspanne den unteren Rücken, die Leisten und die Hüften. Weite deinen Herzraum mit jeder Einatmung und erde dein Becken mit jeder Ausatmung. Bleib auch hier einige Atemzüge lang.
Einfachere Alternative: Setze dich erhöht auf ein Kissen und stütze eventuell auch deine Knie seitlich mit Kissen ab.
Wiederhole Haltung 2 und 3 mit dem linken Fuß vorne.
4. Eka Pada Mandukasana: Einbeinige Frosch-Variante
Lege dich lang ausgestreckt auf den Bauch und setze die Fingerspitzen neben den unteren Rippen an die äußeren Mattenkanten. Ziehe das rechte Bein bis maximal in einen rechten Winkel neben der Hüfte und flexe dabei den Fuß, um das Knie zu schützen. Hebe dann mit einer Ausatmung den Rumpf vom Boden ab.
Weite den Brustkorb und den Schultergürtel mit jeder Einatmung und erde das Becken mit jeder Ausatmung. Bleibe einige Atemzüge lang, dann wiederholst du die Übung mit dem linken Bein angezogen. Vor dem Wechsel kannst du einige Atemzüge lang in der Stellung des Kindes loslassen.
Einfachere Alternative: Ziehe das Knie nur ein Stück weit zur Seite, stütze dich auf die Unterarme und lasse die Rippenbögen am Boden.
5. Mandukasana: Frosch
Beginne im Vierfüßlerstand und schiebe von dort aus die Knie so weit auseinander, wie möglich. Die Unterschenkel liegen möglichst parallel zueinander, die Zehen zeigen nach außen.
Stütz dich dann entweder auf die Unterarme oder, wenn möglich, legst du den Oberkörper ganz zum Boden ab und streckst die Arme lang nach vorne aus. Entspanne den Bauch und lass dein Brustbein Richtung Boden sinken. Bleibe einige weiche und tiefe Atemzüge lang in der Haltung und komme dann behutsam zurück in den Vierfüßler. Kreise zum Ausgleich das Steißbein ein paar Mal in jede Richtung.
Einfachere Alternative: Lasse die Knie dichter beisammen und die Hände aufgestützt.
6. Parivritta Utthan Prishthasana: Eidechsen-Twist (Variante)
Komm in einen tiefen Ausfallschritt mit dem linken Fuß vorne. Das rechte Knie liegt am Boden, der Fuß streckt lang nach hinten. Hebe einatmend den linken Arm und kippe gleichzeitig den linken Fuß auf die Außenkante, sodass auch das linke Knie zur Seite kippt. Lege die linke Hand an den Hinterkopf und lasse die rechte Leiste bewusst Richtung Boden sinken. Einatmend wächst du durch die Wirbelsäule in die Länge, ausatmend ziehst du den linken Ellenbogen Richtung Decke und das linke Knie Richtung Boden.
Dabei spürst du eine Dehnung in der linken Brust und Schulter und in der rechten Hüfte. Bleibe einige Atemzüge lang und setze dann linke Hand und linke Fußsohle wieder auf. Von hier aus machst du direkt ohne Seitenwechsel weiter mit Übung 7.
Einfachere Alternative: Setze die untere Hand auf einen Block und strecke den oberen Arm zur Seite.
7. Eka Pada Rajakapotasana: Königstaube
Schiebe den linken Fuß zur rechten Hand und senke das Becken ab (Phase a). Wenn das gut möglich ist, hebst du den rechten Fuß (Phase b). Um noch einen Schritt weiter zu gehen, ziehst du den rechten Fuß zu dir heran. Wenn möglich, legst du ihn in die rechte Ellenbogenbeuge (Phase c). Als letztes hebst du den linken Arm. Wenn möglich, legst du die Hände hinter deinem Kopf ineinander.
Sei bei jedem Schritt achtsam, lass dir Zeit und bleibe jeweils ein paar Atemzüge lang. Gehe nur weiter, wenn du dabei mit der Intention der Übungssequenz in Offenheit und Vertrauen ein- und ausatmen kannst. Löse dich anschließend behutsam aus der Haltung und lege Fuß und Hände zurück auf den Boden, bevor du direkt weitergehst zu Übung 8.
Einfachere Alternative: Bleibe in Phase a, zusätzlich kannst du deine Sitzfläche durch ein Kissen oder eine gerollte Decke erhöhen.
8. Matsyendrasana: Drehsitz
Bewege aus der Taube dein rechtes Bein nach vorne und stelle den rechten Fuß außen an den linken Oberschenkelseite am Boden auf. Richte den Oberkörper lang auf, bevor du ihn mit einer Ausatmung nach rechts drehst und die rechte Hand hinter dir auf die Matte oder einen Block setzt, dabei legst du den linken Arm locker um das aufgestellte Bein (Phase a).
Wenn es gut möglich ist, legst du den linken Ellenbogen außen gegen den rechten Oberschenkel und legst deine Handflächen aufeinander (Phase b). Finde mit jeder Einatmung mehr Aufrichtung, mit jeder Ausatmung schmiegst du dich in den Twist. Bleibe einige Atemzüge lang und drehe den Rumpf einmal ausgleichend nach links, bevor du zur Mitte zurückkommst. Von hier gehst du direkt weiter zu Übung 9.
Einfachere Alternative: Bleibe in Phase a, zusätzlich kannst du das linke Bein nach vorn ausgestreckt lassen und den rechten Fuß an seine Innenseite stellen.
9. Simhasana in Agnistambhasana: Löwe in der doppelten Taube
Aus dem Drehsitz legst du den linken Unterschenkel parallel zur vorderen Mattenkante und stapelst den rechten Unterschenkel darauf, das rechte Fußgelenk liegt dabei nach Möglichkeit auf dem linken Knie. (Bei Schmerzen im Knie unbedingt die einfachere Alternative wählen!) Setze die Fingerspitzen außen vor den Knien auf die Matte und atme so tief ein, wie du kannst. Halte die Luft einen Moment an. Dann öffne den Mund weit, strecke die Zunge heraus und brülle mit der Ausatmung wie ein Löwe. Für die kommenden beiden Übungen bleibst du in dieser Sitzhaltung.
Einfachere Alternative: Sitze erhöht auf einem Kissen und / oder lege nur die Füße statt der Unterschenkel übereinander.
10. Uddiyana Bandha in Agnistambhasana: Zwerchfellverschluss in der doppelten Taube
Bleibe nach deinem Löwenschrei ausgeatmet und aktiviere Uddiyana Bandha, indem du die Bauchdecke locker lässt und sie dann unter die Rippen ziehst. Halte Uddiyana Bandha, solange es mühelos geht. Dann entspannst du die Bauchdecke und atmest wieder tief ein. (Während der Schwangerschaft, bei Bluthochdruck oder Entzündungen und Operationsnarben im Bauchraum, praktiziere die Atemverhaltung nach der Löwenatmung ohne Uddiyana Bandha.)
11. Agnistambhasana: Vorwärtsbeuge in der doppelten Taube
Nachdem du Uddiyana Bandha gelöst und eingeatmet hast, lässt du dich mit der nächsten Ausatmung in eine Vorwärtsbeuge sinken. Komm dabei ruhig etwas aus deiner Komfortzone, aber geh nicht über deine Grenze hinaus, sondern bleibe weiter in der Qualität von Vertrauen und Offenheit. Entspanne dich mit jedem Atemzug ein wenig mehr. Wenn es genug ist, richtest du dich behutsam wieder auf. Löse die Beine und strecke sie zum Ausgleich aus.
Wiederhole 6–11 jetzt mit dem rechten Fuß vorne.
12. Upavishtha Konasana: Vorwärtsbeuge aus dem gegrätschten Sitz
Bringe die Beine in eine weite Grätsche und erde bewusst deine Sitzknochen und Beinrückseiten. Setze die Fingerspitzen vor dir auf die Matte und richte die Wirbelsäule gerade auf. Atme tief ein und wandere ausatmend mit den Händen nach vorne (Phase a). Wenn möglich, legst du die Ellenbogen am Boden ab und legst die Hände in Anjali Mudra an die Stirn. Erlaube dir, Vertrauen und Offenheit tief zu verinnerlichen. Bleib einige Atemzüge lang, bevor du dich behutsam wieder aus der Haltung löst.
Einfachere Alternative: Sitze erhöht auf einem Kissen, stütze deine Kniekehle mit einer gefalteten Decke und bleibe in Phase a.
13. Shavasana: Abschlussentspannung
Beende die Praxis in einer bequem eingerichteten Rückenlage mit Shavasana. Entspanne dich mindestens 5 Minuten lang. Dann kommst du behutsam wieder zum Sitzen und wiederholst die Atemmeditation vom Anfang. Lade dich dabei bewusst für dein eigenes Wohlempfinden ganz mit Vertrauen und Offenheit auf – und damit zum Wohle aller.
Nina Heitmann unterrichtet seit beinahe 20 Jahren in Berlin und international Yoga, Pranayama und Meditation. Ihre Schüler*innen lieben sie für ihre unvergleichliche Mischung aus Charisma, Hinwendung und Lebensklugheit. Was Yogi*nis nicht unbedingt wissen: Als Nina MC war sie in jungen Jahren ein Star der deutschen der Rap- und Hiphop-Szene. Wenn du mehr über Nina Heitmann wissen willst, besuche ihre Website oder Instagram-Account.
Nina Heitmann war auch schon Gast in unserem Podcast, hier kommst du direkt zur Folge mit ihr: