Sechs wichtige Mudras und ihre Bedeutung

In Mudras, den traditionellen yogischen Handhaltungen, liegt eine tiefe Kraft. Sie kann uns dabei helfen, inneren Frieden, Mut und Zuversicht zu entwickeln. Wir stellen dir sechs wichtige Mudras vor und erklären, was sie bedeuten.

Mudras gehören zu den Techniken von “Citta Bhavana”: Man verwendet sie also, um bestimmte Geisteshaltungen zu üben oder zu vervollkommnen. Es gibt Dutzende von Finger-Mudras. Jedes steht für eine bestimmte Eigenschaft, zum Beispiel für Mitgefühl, Mut oder Weisheit. Man sagt, indem man ein Mudra ausführt, lasse man die Saat dieser Eigenschaft in sich aufgehen. In der Kunst und den Ritualen vieler heiliger Traditionen, etwa im Hinduismus, Buddhismus und im Hatha-Yoga, sind Mudras überliefert worden. Ihre genaue Herkunft liegt im Dunkeln, man geht davon aus, dass jede Geste auf ganz natürliche Weise einen erleuchteten inneren Zustand äußerlich manifestiert – sie sind also eine Art Gebärdensprache eines offenen Geistes und erwachten Herzens.

Lesetipp: Yogasymbole und ihre Bedeutung

Mudras bringen den Geist zur Ruhe

Beim Üben von Asanas, bei Meditation, Pranayama oder Kirtan helfen Mudras, die wirren Gedanken im Hintergrund des Geistes zur Ruhe zu bringen. Aber Mudras können viel mehr, als nur die Konzentration zu unterstützen. Sie erinnern uns auch an zwei wichtige yogische Weisheiten. Erstens: Du bist schon, was du sein willst. Es ist nämlich leicht, Mut und Weisheit in den Geschichten und Bildnissen von Buddha oder den hinduistischen Göttern zu sehen. Viel schwerer fällt es zu erkennen, dass diese Eigenschaften auch in uns selbst bereits vorhanden sind. Nicht als Charakterzüge, die man hat oder eben nicht hat, sondern als ein Zustand, für den man sich bewusst entscheidet, den man fühlen und leben will. Die zweite Weisheit: Taten sagen mehr als Worte. Die Mudra-Praxis weist den Weg von der guten Absicht zum richtigen Handeln. Das Wort “handeln” stammt nicht umsonst von “Hand”: Die mit den Händen ausgeführten Mudras sind die Brücke zwischen der inneren spirituellen Erfahrung und der Auseinandersetzung mit der äußeren Welt. Wie Gebete, die in eine körperliche Form übersetzt werden.

Das Anjali-Mudra: Das Üben als Gebet

Foto: Mor Shani via Unsplash

Viele Yogastunden beginnen und enden mit dem Anjali Mudra. Diese klassische Grußgeste und Gebetshaltung soll uns daran erinnern, dass das Üben eigentlich eine Art des Gebets ist, ein Geschenk an unser wahres Selbst. Die aneinander gelegten Handflächen symbolisieren die Vereinigung des individuellen Selbst mit dem universellen Selbst, in dem alle Lebewesen verbunden sind. Sobald man das Anjali Mudra eine Weile im Gedanken an Einheit gehalten hat, öffnen sich Herz und Geist einem Gefühl der Verbundenheit und man findet Wege, auch aus diesem Gefühl heraus zu handeln.

Mudras in die Yogapraxis integrieren

Du kannst Mudras auf vielfältige Weise in deine Yoga-Praxis integrieren und mit ihrer Hilfe jede Meditation bereichern. Wähle ein Mudra aus, dessen Bedeutung zur Zielsetzung deiner Meditation passt, beispielsweise das Lotos Mudra zur Herzöffnung, wenn du über liebende Güte meditierst. Oder das Dharmachakra-Mudra für Hingabe, wenn du Geist und Energie während Pranayama oder Kirtan besser lenken willst. Die Kombination von Mudra und Asana erhöht die Wirkung der Haltungen. Oftmals sind wir beim Üben so sehr damit beschäftigt, auf die Ausrichtung unserer Knie und Schultern zu achten, dass wir darüber die Ausrichtung unseres Geistes ganz vergessen. Das Mudra ruft die Erinnerung an die eigentliche Bedeutung einer Asana wieder wach.

Das vielleicht größte Geschenk liegt darin, dass Mudras unsere tiefsten und innersten Gründe dafür, dass wir überhaupt auf die Matte gehen, würdigen. So können sie zum Katalysator für eine Yoga-Praxis werden, die die besten Seiten in uns zum Vorschein bringt.

Lotos Mudra: Stabilität und liebende Güte

Lotos Mudra

Im Buddhismus steht die Lotosblüte für Herzöffnung. Sie blüht auf der Wasseroberfläche, wurzelt aber weit unten im Schlamm – ein Symbol für Licht und Schönheit, die aus der Dunkelheit emporsteigen. Probiere das Mudra in Vrikshasana (der Baumhaltung) aus, die Hände vor dem Herzzentrum. Spüre dabei deine Verwurzelung im Boden und erinnere dich daran, dass ein erwachtes Herz die reichste Quelle für Stabilität im Leben ist. In Padmasana (dem Lotossitz) ausgeübt, unterstützt das Mudra die von Buddha gelehrte “Metta”-Meditation über liebende Güte.

Anleitung: Lege die Handwurzeln aneinander, die Fingerspitzen von Daumen und kleinem Finger berühren sich leicht. Die Hände bilden eine Schale, die Finger sind wie Blütenblätter geöffnet.

Vajrapadama Mudra: unerschütterliche Zuversicht

Vajrapadama Mudra

“Vajra” bezeichnet den Donnerkeil des Gottes Indra und das buddhistische Diamantzepter – beides Symbole für zielgerichtete Energie, die jeden Zweifel besiegt. Das Vajrapadama-Mudra steht für unerschütterliche Zuversicht. Es erinnert an deine eigene Kraft, aber auch an den Glauben in eine höhere Macht. In Vajrasana (dem Fersen- oder Diamantsitz) ausgeübt hilft es dir, Selbstzweifel, Misstrauen und Hoffnungslosigkeit loszulassen.

Anleitung: Lege die Hände mit verschränkten Fingern auf die Brust, die Daumen sind abgespreizt. Spüre dabei die leichte Atembewegung unter den Händen.

Lesetipp: Mit der Kraft der Chakren dein wahres Potential erkennen

Uttarabodhi Mudra: Stärke entsteht in der Anbindung

Uttarabodhi Mudra

“Uttara” bedeutet Verwirklichung, “bodhi” bedeutet Erleuchtung. Das Mudra symbolisiert “Samadhi”, die Erfahrung des Nicht-Getrenntseins, und erinnert uns daran, dass Stärke eben nicht aus Unabhängigkeit, sondern in der Anbindung entsteht. Kombiniere das Mudra mit Asanas wie Virabhdrasana 1 oder 3 (den Kriegerhaltungen). In Verbindung mit Sitzhaltungen führt man die Hände auf Höhe des Herzens vor die Brust und vergegenwärtigt sich die Verbundenheit mit anderen.

Anleitung: Die ausgestreckten Zeigefinger werden aneinander gedrückt, die anderen Finger verschränkt. Die von den Zeigefingern weggezogenen Daumenspitzen berühren sich leicht, zwischen den Handwurzeln bleibt ein kleiner Abstand.

Meditationstipp: Geführte Herzmeditation von Tanja Seehofer

Abhaya Mudra: Freundschaft statt Angriff

Abhaya Mudra

“Abhaya” wird mit “Freiheit von Furcht” übersetzt. Dieses Schutz und Mut schenkende Mudra macht sichtbar, dass der wahre yogische Krieger Freundschaft schenkt statt anzugreifen: In Virabhdrasana II (der Kriegerhaltung) beugt man den vorderen Arm und öffnet die Hand, der hintere Arm sinkt auf den Oberschenkel, das Schwert wird symbolisch fallen gelassen. In der Meditation kombiniert man das mit beiden Händen ausgeführte Mudra mit Virasana (dem Heldensitz) und besinnt sich darauf, für wen oder was man furchtlos und mitfühlend kämpfen möchte.

Anleitung: Winkele den Arm (bzw. beide Arme) mit lockerem Ellenbogen an und halte die nach vorne geöffnete Hand auf Schulterhöhe.

Dharmachakra Mudra: Deine eigene Wahrheit

Dharmachakra Mudra

“Dharmachakra” ist das “Rad des Gesetzes” oder des spirituellen Weges. Mit diesem Mudra drückt man aus, dass man seine eigene Wahrheit äußert und mit dem Herzen dient – zum Beispiel, indem man etwas erschafft, lehrt, heilt oder hilft. Denke in Baddha Konasana (der gebundenen Winkelhaltung) oder einer anderen Sitzhaltung an einen Lebensbereich, dem du deine Energie widmen möchtest. Was ist der nächste Schritt? Wie kann ich dienen?

Anleitung: Die Daumen- und Zeigefingerspitzen bilden jeweils einen Kreis, die übrigen Finger sind ausgestreckt. Die linke Hand zeigt mit der Handfläche zum Herzen, die rechte nach außen. Dabei kann die linke Mittelfingerspitze leicht die rechte Daumenspitze berühren.


Autorin Kelly McGonigal unterrichtete an der kalifornischen Stanford University Psychologie, Yoga und Meditation und schrieb auf Basis ihre Lehrtätigkeit viele erfolgreiche Bücher. Mehr Infos: kellymcgonigal.com. Fotos: David Martinez

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