Gibt es die (eine) Yogaphilosophie?

In vielen Yogastudios gehört es zum guten Ton, aus „alten Schriften“ zu zitieren oder gar Yogaphilosophie zu lehren. Dabei hat man immer öfter das Gefühl, man müsse diese Philosophie dringend gegen ihre Freunde verteidigen.

Die Topseller im Bereich der „Yogaphilosophie“ sind sicherlich Patanjalis Yogasutra und die Bhagavad Gita. Mit einigem Abstand folgt noch die so genannte Hatha Yoga Pradipika. Warum ausgerechnet diese drei Werke die zentralen Quellentexte für Yoga sein sollen und nicht noch viele andere, wäre erklärungsbedürftig – bleibt aber im Dunkeln. Neben der mitunter unklaren Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der Texte steht also schon am Anfang die Frage, wer eigentlich über ihre Auswahl und Relevanz entscheidet? Vermutlich sehen wir nur einen Bruchteil. Immerhin ist die Bhagavad Gita auch die wichtigste Schrift einer ganz anderen Tradition, nämlich des Hinduismus.

Aber einmal vorausgesetzt, die Yogaphilosophie-Lehrer halten den „richtigen“ Text von den „richtigen“ Leuten in Händen, müssen sie sich doch zwei Fragen stellen: Verstehen wir das, was da geschrieben steht? Und stimmt es denn auch? Die Frage nach dem Verständnis ist alles andere als trivial: Kaum jemand spricht Sanskrit oder kann die Qualität der unterschiedlichen Übersetzungen beurteilen. Die fünf oder sechs verschiedenen deutschen Versionen der ersten Sutras von Patanjali, die ich kenne, liegen meilenweit auseinander. Ich nehme also die, die mir am besten gefällt – es fehlt mir jedoch ein hartes Kriterium, um diese Wahl argumentativ zu begründen. Trotzdem führt der Vergleich von mehreren Übersetzungen zumindest zu der wichtigen Einsicht, dass es sich jeweils um Interpretationen des Originals durch verschiedene Autoren handelt. Ein Hauch von kritischer Distanz könnte sich einstellen.

Zum Verständnis gehört neben der Sprache auch der gedanklich transportierte Inhalt. Vielleicht erfassen wir ja tatsächlich die generelle Idee eines solchen Sutra? Komischerweise wird in der Yogaszene die Plausibilität der so genannten „alten Schriften“ nie ernsthaft bezweifelt oder auch nur im Ansatz diskutiert. In keinem Yogabuch der letzten Jahre habe ich je gelesen, dass das, was da steht, aus diesem oder jenem Grund nicht stimmen würde. Das heißt, es gibt hierzulande offenbar keinerlei kritische Auseinandersetzung mit der „Philosophie“ des Yoga. Und das ist wirklich schlecht. Jede Philosophie, die diesen Namen verdient, sollte kontrovers diskutiert werden, muss kritisiert und geprüft werden, sich bewähren und darf sich auch als falsch erweisen. Das Problem ist aber, dass die genannten

Texte als zeitloses Offenbarungswissen aufgefasst werden und deswegen gegen Kritik und Widerspruch immun sind. Wie soll sich der Gott Krishna in der Bhagavad Gita irren und gleichzeitig ein Gott sein? Die Texte werden dadurch zu einem Dogma – und sind keine Philosophie. Nun ist Yoga selbst, so wie ich es verstehe, allerdings ein undogmatisches System. Und zwar eines, das äußerst dynamisch ist. Im Kern ist Yoga eben nicht statisch und unverrückbar, sondern beweglich und evolutionär. Die gleichen Lehrer, die von „Loslassen“ und „Prozessen der Veränderung“ sprechen, tragen eine in Stein gemeißelte „Philosophie“ ewiger Prinzipien mit sich herum.

Ein weiteres Problem ist, dass in den neuen Yogabüchern meist nichts Neues steht. Es fehlt schlicht an Originalität. Und es wird tatsächlich nur nachgebetet, was schon seit Jahren überall so steht. Wo bleibt der Fortschritt, die Weiterentwicklung, die Neuinterpretation – all das, was eine gute Idee locker verträgt, sie geradezu ausmacht? Autoren, Lehrer und Schüler haben sich offenbar von ein paar alten Texten aus Indien entmündigen lassen. Der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno warnt vor den „Fassaden höheren, tieferen Sinns“, vor dem „raunendem Beteuern, es gebe eine überindividuelle, zeitlose Ordnung“. Er empfiehlt zunächst das Nicht-Einverständnis und „abweichendes Verhalten gegenüber dem kompakten Kollektiv“, die permanente Revolution. Auch das muss man nicht glauben; doch es hört sich ziemlich aufgeklärt, selbstständig und unabhängig an. Auf jeden Fall sind wir gut beraten, wenn wir herauszufinden versuchen, ob unsere eigenen Ideen richtig sind – indem wir prüfen, ob sie vielleicht falsch sein könnten.

 

Michi Kern ist einer der Mitbegründer der Jivamukti- Yogaschulen in München, wo er auch unterrichtet. Er betreibt diverse Clubs sowie (vegane) Restaurants und studiert Philosophie

Schuld und Sühne

Drogen, Kriminalität und Gewalt prägten seine Vergangenheit. Schließlich beging Dieter Gurkasch sogar einen Mord und sass 25 Jahre lang im Knast. In der Mai/Juni-Ausgabe 2010 berichtete YOGA JOURNAL darüber, wie er in der JVA Fuhlsbüttel eine Yogagruppe ins Leben rief. Jetzt ist er wieder frei.

Als unsere Redakteurin Monique Opetz 2010 nach Hamburg fuhr, um mit Dieter Gurkasch über seine Praxis zu sprechen, hatte der Häftling mit Yoga einen Weg zu innerem Frieden gefunden. Heute, mehr als drei Jahre später, trifft YOGA JOURNAL ihn zum Interview unter einem freien Sylter Himmel. Er ist zu einem tief gläubigen Menschen und überzeugtem Yogi geworden. Ein Dialog über die hart erkämpfte Freiheit – und die Erlösung von der Schuld.

YOGA JOURNAL: Wie fühlt es sich an, wenn man nach 25 Jahren – teilweise in Sicherheitsverwahrung und mehr als sieben Jahre in Isolation – das Gefängnis hinter sich lässt und in die Freiheit zurückkehrt?
DIETER GURKASCH: Gut (lacht). Zunächst ist der Schritt in die Freiheit nach so langer Haft natürlich verunsichernd. Es lässt sich kaum anders beschreiben, als dass ich mich wie ein Außerirdischer gefühlt habe. Ich gehörte nicht zu der Gemeinschaft draußen. Vielleicht kennst du das Gefühl, fremd in einer anderen Stadt zu sein: Die Bewohner merken dir das an. Deine Energie ist anders. Der Kick kommt von der Entlassung: Plötzlich bist du frei – die Mauern fallen! Durch diese Euphorie wird die Umwelt mit all ihren Herausforderungen wahrgenommen. Es war ein Teil meines Freiheitsgefühls, Neues zu lernen: skypen, chatten, mailen, twittern – ich hatte von alledem keine Ahnung und kam mir erst einmal unglaublich blöde vor. Aber ich hatte einen roten Faden, der mich zuverlässig durch diese Phase navigiert hat: meine Yogapraxis. Davon ausgehend konnte ich mein neues Dasein in Freiheit aufbauen.

Du hast dich quasi bereits im Gefängnis selbst befreit, so dass du den Weg in die Freiheit „draußen“ angstfrei gehen konntest?
Die Freiheit ist mir regelrecht auf dem Fuße nachgefolgt. Angstgefühle hatte ich nie: Ich war keinen Moment verunsichert in dem, was ich tue. Die spontane, unangekündigte Entlassung war für mich ein klarer Beweis, dass mein Leben von der Liebe geführt wird und ich heute nahezu sorglos und wirklich befreit durchs Leben gehen kann. Zuvor war das ganz anders – ich habe mit Gott und dem ganzen Universum gehadert. Ich sollte ja bereits 2006 in Vollzugslockerung kommen, um 2007 entlassen zu werden. Doch die Justizanstalt sah das anders und ich saß länger, als meine Haftstrafe dauerte. Ich war total verzweifelt, weil ich nicht wusste, ob ich je wieder aus dem Knast komme: Warum wurde ich nochmals diesem Zweifel und der Unsicherheit ausgesetzt? Heute verstehe ich diese Prüfung und bin dankbar dafür: Hätte ich einen geregelten Übergang durchlaufen – mit Freigang, Job und Entlassung auf Bewährung etc. –, wäre ich niemals auf meinen Weg gekommen. Ich hätte einen Job gesucht und wäre ganz konventionell ins Leben zurückgekehrt. So aber bin ich quasi aus dem Knast geschmissen worden: Am 30.11.2011 erhielt ich um 15 Uhr die Nachricht meiner Entlassung. Und um 17 Uhr stand ich mit zehn Müllsäcken voller Kram, der mein Leben bedeutet hatte, vor den Toren von Santa Fu. Diesem Umstand verdanke ich die Möglichkeit, mich voll und ganz auf meine große Aufgabe zu konzentrieren, dass sich immer mehr Menschen dafür begeistern und engagieren, Yoga ins Gefängnis zu bringen.

Du hast im Drogenrausch einen Menschen umgebracht. Kann man von der Last solch einer Schuld je wieder frei werden?
Ja, wenn man allen Wesen, die an einem selbst schuldig geworden sind, vergibt – aus ganzem Herzen. Dann wird auch alle eigene Schuld vergeben. Das ist der Grund, warum Jesus in die Welt gekommen ist: um alle Schuld zu vergeben. Diese Stricke, mit denen wir uns über Schuld – Karma – aneinander binden, müssen wir durchtrennen und durch Vergebung auflösen. Wir sind immer sowohl Opfer als auch Täter, das ist der karmische Weg durchs Leben. Du bist aus dem Knast ausgebrochen – es gab mehrere Fluchtversuche und einmal hat es geklappt. Hätte dich eine gelungene Flucht, die gestohlene Freiheit, das Leben gekostet? Eindeutig ja, denn eine Flucht hätte das potenziert, was ich nach meiner ersten Entlassung gelebt habe: Ich wäre ein Gangster auf der Flucht gewesen. Ein potenziell gewaltbereiter Mensch, der den Kick sucht und den Stress braucht. Bereit, zu töten und getötet zu werden. So ist es ja dann auch tatsächlich fast gekommen: Ich bin auf offener Straße angeschossen worden.

Dann hast du dich bewusst für die andere Seite entschieden.
Ja. Ich habe mich früher – verblendet durch Schmerz – der dunklen Seite der Macht zugewandt. Diese Entscheidung habe ich rückgängig gemacht. Das ist es ja, was mich umtreibt. Ich möchte den Menschen sagen: Ihr könnt das auch – jederzeit! Egal, was ihr getan habt, egal, wer oder wo ihr seid: Ihr könnt euch umentscheiden. Du kannst dich in dieser Sekunde für ein Nein entscheiden, das keinen destruktiven Gedanken mehr Raum gibt. Dann kannst du beginnen, etwas zu verändern. Vielleicht wird die Veränderung nicht in ihrem ganzen Umfang gleich heute kommen. Aber wenn du ernsthaft daran arbeitest, wird sich der Wandel früher oder später vollziehen.

Deine spätere Ehefrau Fee hast du während deiner Gefangenschaft kennengelernt: Was hat euch zusammengeführt und verbunden?
Unser Konsens war, dass wir beide wussten und genau artikulierten, was und wie wir nicht leben wollten. Nachdem ich 1988 aus dem Knast ausgebrochen bin, wurde ich im selben Haus in Altona verhaftet, in dem sie damals wohnte. So bin ich in ihr Blickfeld geraten. Sie fand das alles sehr spannend: Ich war ein Abenteurer. Ein wilder Mann und Rebell, der sich gegen das System auflehnte. Das hat sie, eine junge Frau Anfang zwanzig, beeindruckt. Wir lehnten die Konsumgesellschaft im vollen Umfang ab, wollten keinen der stereotypen Wege durchlaufen. Fee und ich haben damals zueinander gefunden, egal wie viele Mauern dazwischen waren.

Wie konnte eure Beziehung – in der zweiten Etappe – bestehen:sie in Freiheit, du im Knast?
Anfangs war die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft unser Motor und wir setzten auf den gemeinsamen Spaß, als Krücke für den fehlenden Sinn. Die zweite Etappe – die Knaststrecke nach dem Ausbruch und meiner Verletzung – verband uns noch stärker: Fee hat mich angenommen, obwohl plötzlich all meine Stärke weg war. Ich lag mit meiner Schussverletzung in der Isolation und jedem war klar, dass mit mir nichts mehr los war und ich in Zukunft auf andere angewiesen sein würde, um halbwegs leben zu können. Mit dieser Demonstration ihrer Liebe hat sie mich von dem Trugschluss erlöst, dass ich stark sein muss, um geliebt zu werden. Unsere Beziehung erreichte eine neue Ebene in einer parallel verlaufenden spirituellen Entwicklung, die durch Yoga und Meditation initiiert wurde. Yoga hat uns die Kraft für den Kurswechsel gegeben, denn es stärkt die Lebensenergie.

Du hast insgesamt 25 Jahre und 38 Tage in Gefangenschaft verbracht …
Nach fünf Jahren Haft und dem Ausbruch 1988 kam ich für sieben Monate in Isolationshaft. Anschließend habe ich eine Gefangenenrevolte mit angezettelt und durchgezogen, wofür ich nochmals vier Jahre in Isolation kassierte, und bin dann über den offenen Vollzug in die Freiheit entlassen worden. Ich war einige Zeit draußen, stürzte wieder auf Drogen ab. Dann gab es eine Schießerei mit der Polizei – aufgrund dessen bin ich zu zwölf Jahren und einem Bewährungswiderruf von zwei Jahren und drei Monaten mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt worden.

Wie hast du auf das zweite Urteil reagiert?
Ich wäre während der Schießerei beinahe gestorben. Eine Kugel traf mich im Rücken und trat knapp über dem Herzen wieder aus – und ich habe das Gefühl, dass mich dadurch der Hass verlassen hat. Als ich nach dem Krankenhausaufenthalt wieder im Knast landete, hatte sich jedenfalls etwas in mir verändert: Meine Kraft war geschwächt und dadurch wurde ich durchlässiger, konnte mein eigenes Bollwerk nicht mehr aufrechterhalten. Mein Therapeut erklärte mir, dass mein System – wie ein Computer – durch den Sterbeprozess, den ich durchlaufen habe, neu gestartet wurde: ein Reboot sozusagen. Das Gehirn wurde quasi neu verschaltet, alte Muster teilweise gelöscht. Ich war am Boden zerstört, denn mein gesamtes Lebenskonzept war ausgelöscht. Das nun fehlende Muster, diese von Wut gespeiste Hasswelle, nötigte mich zum Umdenken. Ich konnte plötzlich meine große Angst wahrnehmen, die ich mit jenen Mustern überschrieben hatte, und lernte, sie zuzulassen. Und damit setzte die Heilung und der spirituelle Prozess ein – bedingt auch durch Selbstreflektion in der Meditation.

Warum ist es dir wichtig, Yoga in die Gefängnisse zu bringen?
Yoga ist ein therapeutischer Ansatz, der die Menschen da abholt, wo sie sind – es ist die älteste und fundierteste psychotherapeutische Maßnahme, die es gibt. Und Yoga ist eine Technik, die über körperliche Übungen psychologische Energien kanalisiert und zutiefst reinigend wirkt. Zudem verfügt diese Technik über eine mindestens 3000-jährige Erfahrung. Der bundesdeutsche Strafvollzug soll auf Therapie ausgerichtet sein, das ist die oberste Anweisung vom Bundesverfassungsgericht. Was spricht also dafür, dass die Justiz das erfolgreichste, älteste und dazu kostengünstigste Therapieangebot ausschlägt? Ich gebe dem Knast noch zehn Jahre – und dann gibt es in jedem Gefängnis Yoga. Letztendlich haben sie keine Chance, denn die Yogawelle in der Gesellschaft baut sich immer weiter auf und wird auch vor den Gefängnismauern keinen Halt machen. Alle Krankenkassen haben Yoga als Therapieform anerkannt. Das hilft enorm bei der Argumentation. Das Besondere an Yoga ist, dass du ein ungeheures Maß an Kraft für den Prozess der Wandlung erhältst. Das ist der vorrangige Grund, Yoga in die Gefängnisse zu bringen. Denn auch die Gesellschaft wird davon profitieren, wenn wir Gefängnisse in Orte echter Rehabilitation verwandeln, statt weiterhin Lager bestrafender Sühne zu unterhalten. Eine Strafe, die den Menschen nicht verbessert oder ändert, ist nichts als Rache. Wenn 70 Prozent aller ehemaligen Gefangenen wieder straffällig werden, dann bewirkt die Strafe rein gar nichts.

Steht hinter der Freiheit immer der Glaube?
Auf jeden Fall basiert Freiheit immer auf Vertrauen – Vertrauen in das Leben. Um frei zu sein, musst du die Angst loslassen. Und um die Angst zu verlieren, musst du glauben.

Von Barbara Decker

Munich Sessions – Tickets

Ticket-Information:

Early Bird Regulär ab 1.10 Einzel-Workshop
Fr. oder Mo. 89,00 108,00 60,00
Sa. oder So. 159,00 189,00
Sa. und So. 250,00* 299,00*
Komplett inkl. Pre/Post 399,00* 480,00*
Kirtan immer enthalten, nur für Externe 10,00 € am Sa. Abend

 

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Reisen Sie mit einer Gruppe bestehend aus 6 Teilnehmern an, zahlen Sie nur 5 Tickets. Wenn Ihre Gruppe aus mehr als 12 Teilnehmern besteht, kontaktieren Sie uns bitte für ein individuelles Gruppenangebot direkt über munichsessions@yogajournal.de

Achtung: Bitte beachten Sie, dass Sie bei Kauf eines mit Sternchen(*) gekennzeichneten Tickets bevorzugten Eintritt zu den angebotenen Sessions erhalten werden.

Übrigens: Die Anreise (Zugtickets, Flüge), sowie Hotelzimmer können über unseren Partner Yogatravel.de zum Vorzugspreis gebucht werden. Hier kommen Sie zum Anfrageformular.

 

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Early Bird Regular Price from 1st Oct Single Workshop
Fri or Mon € 89 € 108 € 60
Sat or Sun € 159 € 189
Sat and Sun € 250* € 299*
Entire conference (incl. pre/post) € 399* € 480*
Kirtan included except Sat night: €10 per person

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Group discount: Buy five tickets and get one for free! If you are a group of twelve people or more please contact us directly via munichsessions@yogajournal.de and get your individual group ticket.

Please note: Tickets marked with an asterisk(*) include priority access to all yoga classes and workshops at the Munich Sessions.

By the way: You can book your train or plane ticket to Munich and your accommodation in Munich at a preferential rate with our partner Yogatravel.de. Click here for more information and the application form.

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Interview: Anoushka Shankar – Eine musikalische Reise zwischen zwei Kulturen 

Geboren in London, aufgewachsen in Indien und den USA – die Sitar-Musikerin Anoushka Shankar sprach mit YOGA JOURNAL über ihr Leben in mehreren Kulturen, den Einfluss ihres legendären und kürzlich verstorbenen Vaters Ravi Shankar auf ihre musikalische Arbeit sowie über die Bedeutung von Spiritualität und ihre eigene Yogapraxis.

Anoushka Shankar engagiert sich politisch und sozial. Als erste indische Botschafterin für das United Nations World Food Programme etwa oder als Unterstützerin der Tierrechte bei PETA. Meist tut sie das im Stillen, weswegen sie auch mit YOGA JOURNAL lieber über ihre musikalische Arbeit und ihren künstlerischen Ausdruck sprach. Als allerdings die Debatte über Frauenrechte in Indien anlässlich der Massenvergewaltigung einer Studentin entbrannte, offenbarte sie sich, kurz nachdem wir dieses Interview geführt hatten, in einer Videobotschaft selbst als Opfer emotionaler und sexueller Gewalt. Sie unterstützt damit lautstark die globale Kampagne für Frauenrechte „One Billion Rising“ („Eine Milliarde erhebt sich“). Eine Tatsache, die an dieser Stelle selbstverständlich nicht unerwähnt bleiben soll.

YOGA JOURNAL: Anoushka, wie ist es, zwei unterschiedliche Leben auf einmal zu leben? Einerseits haben Sie bereits mit 13 Jahren zusammen mit Ihrem Vater Ravi Shankar in der Carnegie Hall und anderen riesigen Konzertsälen der Welt gespielt; andererseits wollten Sie ein ganz „normales“ Mädchen sein. Wie gelang und gelingt Ihnen dieser Spagat zwischen den beiden Welten?
ANOUSHKA SHANKAR: Für mich ist es seit meiner Geburt normal, in zwei Kulturen und Ländern zuhause zu sein. Deswegen ist es nicht ganz einfach, diese Frage zu beantworten. So aufzuwachsen wie ich, kann natürlich seine Schwierigkeiten haben, weil sich so normale Fragen nach der Identität und die Suche nach sich selbst komplizierter gestalten. Andererseits bietet ein solches Leben auch ein hohes Maß an Freiheit, um sich selbst zu formen und zu entscheiden, wer und wie man im Leben denn sein möchte. Für mich war es immer eine Frage der Balance, der Auswahl und vor allem der Prioritätensetzung. Ich hatte einen Traum und meine Leidenschaft für Musik, der ich mich völlig verschrieben hatte. Gleichzeitig bin ich ein Mensch, der vielfältige Interessen hat und es genießt, das Leben voll auszukosten.

Der Crossover von östlicher und westlicher Kultur und Musik ist eins Ihrer großen Themen. Auf Ihrer aktuellen CD „Traveller“ treffen indische Folklore und Flamenco aufeinander. Wie kamen Sie auf die Idee, diese beiden doch sehr unterschiedlichen Stilrichtungen miteinander zu verbinden?
Die Wahl des Flamenco erschien mir naheliegend, nachdem ich diesen Musikstil schon immer geliebt habe und die Möglichkeit sehr aufregend war, ihn mithilfe meiner eigenen Musik zu erforschen. Ich war mir auch der historischen Verbindung der beiden Stile bewusst. Eine Theorie besagt, dass es Wanderbewegungen von Rajasthan aus Richtung Westen gab – und ich war sehr daran interessiert, herauszufinden, welche musikalischen Verbindungen das Ergebnis dieser Reise gewesen sein könnten.

Ihr aktuelles Album trägt den Titel „Traveller“, was man sowohl mit „Reisende/r“ als auch mit „fahrendes Volk“ übersetzen kann. Was bedeutet Ihnen das Reisen? Sehen Sie sich auch als spirituell Reisende?
Ich mag das Wort und wie es auf ein Gefühl der Bohemiens verweist, dieses unbeschwerte Gefühl des Unterwegs-Seins und Erkundens. Beides bezieht sich für mich sowohl auf die physische als auch auf die spirituelle Ebene. Hier auf Erden sind wir doch alle Reisende und ich persönlich glaube fest daran, dass unsere kurz bemessene Zeit nur ein kleiner Teil einer viel größeren Reise ist. Ich versuche, meine Zeit hier auf dieser Welt auf dieselbe Art zu leben, mit der ich ein neues Land entdecke: mit Neugier, Liebe und Respekt für alles und jeden.

Was gehört für Sie alles zur klassisch indischen Tradition dazu?
Klassische indische Musik unterscheidet sich sehr von jeder anderen Musik auf der Welt. Sie ist äußerst komplex und systematisch, während sie gleichzeitig großen Wert auf die Betonung von Freiheit und Improvisation in der Form legt. Dieser scheinbare Widerspruch ist unglaublich schön und verbindet einen Künstler sowohl mit einer langen Geschichte und dem kulturellen Erbe Indiens, als auch mit der eigenen künstlerischen Identität und dem Augenblick. Die indische Tradition ist eine der mündlichen Überlieferung und als solche ist sie noch immer lebendig; sie entwickelt sich von Generation zu Generation weiter und beinhaltet großartige Lehren fürs Leben; sowohl, was die Achtung für die Vergangenheit angeht, als auch hinsichtlich der Zukunft.
Auch innerhalb der Musik gibt es all das, was ich liebe – von den tief spirituellen Ragas, über die verspielten und romantischen Elemente, bis hin zu den komplizierten und komplexen rhythmischen Mustern, die ich immer genossen habe.

Mit Ihrem kürzlich verstorbenen Vater Ravi Shankar waren Sie sehr eng verbunden. Treten Sie nun musikalisch sein Erbe an?
Mein Vater ist ein großer Teil meiner künstlerischen Identität, sowohl in dem offensichtlichen Sinn, mein Lehrer gewesen zu sein, der von Anfang an meine musikalischen Studien begleitete, als auch als mein Vater. Und als der Mensch, in dessen Nähe ich aufwuchs, mit dem ich die meiste Zeit meines Lebens reiste und auf Tour war. Die Musik meines Vaters lebt in seinen unzähligen Aufnahmen und in der Musik all seiner Schüler fort, mich eingeschlossen. Ich hoffe sehr, dass ich seine Lehre der klassischen indischen Musik weiterführen kann, um dadurch als Künstlerin weiter zu wachsen und mein Können zu vertiefen.

Der Titel Ihres Tanzprogramms „Svatantrya“ bedeutet so viel wie „vollkommene Freiheit“. Was bedeutet Ihnen Freiheit?
Bei „Svatantrya“ geht es um den freien Willen. Es geht darum, die Verbindung vom universellen Bewusstsein mit der eigenen Identität zu erfahren. Dabei sollte man sich auf eine unabhängige Weise einzigartig und gleichzeitig doch mit allem verbunden fühlen. Dies ist für mich die große Lektion des Lebens und ein Ziel, das ich ständig zu erreichen versuche. Sich zu erinnern, dass man mit allem und jedem verbunden ist, würde automatisch Sensibilität, Mitgefühl und Freundlichkeit bewirken. Ebenso wie jede Arbeit und Kreativität, die wir in die Welt bringen, umfassende positive Veränderung schafft – und gleichzeitig die eigene Rolle auf der Welt mit Bedeutung füllt.

In Dortmund werden Sie an einem Abend klassische indische Ragas präsentieren. Was sind Ragas und ist ein solcher Konzertabend immer auch eine Reise zu Ihren Wurzeln? Welche Bedeutung haben die spirituellen Elemente in Ihrer Musik für Sie?
Es ist schwer, in wenigen Worten zu erklären, was ein Raga ist, aber eine grundlegende Erklärung wäre die, dass es eine melodische Form ist, bestehend aus einer präzisen Abfolge von auf- und absteigenden Tönen, die jedem Raga einen ganz spezifischen Charakter und eine eigene Stimmung verleiht. Deswegen sollten einzelne Ragas auch zu bestimmten Tageszeiten gespielt werden. Auch wenn meine Musik experimentell ist, so ist sie doch noch immer von einer klassisch indischen Ader durchzogen. Deswegen fühlt es sich für mich nicht so an, als ob ich mich von meinen Wurzeln entfernt hätte; vielmehr glaube ich, dass ich diese Wurzeln im Kontext unterschiedlicher Genres und Stile immer wieder von Neuem ergründe. Spiritualität ist ein zentraler Bestandteil für das Verständnis und die Interpretation der klassischen indischen Musik, aber für mich ist Spiritualität etwas, was einen mit dem tiefsten inneren Kern verbindet und mit der kreativen Seite in Kontakt bringt. Als Musikerin ist Musik für mich definitiv das, was mich in die Lage versetzt, dieses tiefe Gefühl zu erleben, aber auch beim Yoga oder beim Kochen ist es möglich! Was auch immer einen mit dem Moment verbindet oder mit sich selbst in Kontakt bringt, ist in meinen Augen Spiritualität.

Können Sie uns schon etwas über die Pläne für Ihre nächste CD erzählen?
Nitin Sawhney (ein aus Indien stammenden Musiker, Schauspieler und Drehbuchautor, der in England aufwuchs; Anm. d. Red.) produziert das Album. Mit ihm zu arbeiten, empfinde ich als unglaubliches Glück, da ich in ihm nicht nur einen großartigen Musiker und Produzenten, sondern auch einen lieben Freund sehe. Auch die Musiker, mit denen ich arbeite, sind empfinde ich als wahnsinnig interessant und talentiert. Einige von ihnen sind schon lange meine Weggefährten, mit anderen arbeite ich zum ersten Mal zusammen. Die musikalischen Einflüsse des Albums liegen in klassischen indischen Ragas, klassischen westlichen Streicherbesetzungen, Songtexten im Stil der Mitte des 20. Jahrhunderts entstandenen Dichtung und modernen Klanglandschaften. Ich erforsche weiterhin die moderne Musik, während ich gleichzeitig neue Wege finde, die musikalischen Traditionen Indiens, wie sie mir von meinem Vater vermittelt wurden, neu zu interpretieren und am Leben zu halten.

Viele Yogis hören während der Yogastunden Ihre Musik. Praktizieren Sie selbst auch Yoga?
Es ist eine große Ehre zu wissen, dass viele Menschen meine Lieder als Hintergrundmusik für ihre persönlichen Yogaerlebnisse verwenden. Überraschenderweise begann ich Yoga zu praktizieren, als ich in Kalifornien lebte. In Indien bildete ich mich weiter und belegte Kurse, die ich fortsetzte, egal wohin ich auch reiste. Heute praktiziere ich gerne für mich allein, obwohl ich die Energie, die von Stunden in der Gruppe ausgeht, noch immer sehr genieße. Yoga hilft mir in jedem Bereich, vor allem natürlich im spirituellen. Stille ist für mich schwer zu erreichen und Yoga hilft mir dabei unglaublich. Ich spüre, dass sich meine Atmung nach meinen Yogaübungen stark verändert. Ich spiele die Sitar im Schneidersitz, deshalb nutze ich Yoga auch bewusst dafür, die Nebenwirkungen dieser Sitzposition zu bekämpfen. Außerdem lindere ich dadurch meine Verspannungen, die im Laufe der Jahre durch die sich ständig wiederholenden Bewegungen entstanden sind.

 

Hallo Welt – Hallo spiritueller Aktivismus!

Neulich interviewte ich einen politischen Aktivisten, der mit wilden Aktionen gegen die Waffenindustrie in Deutschland sehr viel Aufmerksamkeit erregt. Es handelt sich um den Gründer des Zentrums für politische Schönheit, Philip Ruch. Mit seinen Aktionen steigt er dem ein oder anderen kräftig auf die Füße – gewaltlos ist das nicht. Dürfte man das als Yogi?

Ruchs erklärtes Ziel ist, Genozide in der Welt zu stoppen. Dafür scheut er weder Praktiken wie „name and shame“ im Falle der Waffenfirma Krauss-Maffei, noch das tollkühne Ziel, die Rüstungsfirma Heckler & Koch unter einem Sarkophag aus Sand und Zement verschwinden zu lassen. Er hat gute Gründe dafür: Deutschland gehört mittlerweile zu den größten Waffenexporteuren weltweit.

Die Aktionen des Kollektivs verfolge ich regelmäßig – und fühle mich merkwürdig unwohl dabei. Dieses Handeln erfordert ein ganz klares Schwarz-Weiß-Denken: Wir sind die Guten, die da drüben die Bösen. Als Yogi verschiebt sich zum Glück mit der Zeit diese Wahrnehmung. Trotzdem: Die Aktionen des Kollektivs wirken. Die „Übeltäter“ werden aus ihrer heiligen Ruhe gerissen und müssen sich mit ihrem eigenen Handeln auseinandersetzen – und zwar auf eine ziemlich unangenehme Art und Weise. Die Aktionen sind in keiner Weise spirituell aktivistisch, sondern stark politisch – und sie tun weh. Das aber wollen wir Yogis auf keinen Fall: jemandem weh tun. Deswegen greifen wir lieber zu den Methoden des spirituellen Aktivismus. Spiritueller Aktivismus ist laut Gandhi das Handeln, das Liebe, Mitgefühl, Nicht-Anhaftung und die Erkenntnis voraussetzt, dass wir alle spirituelle Wesen sind. Was wiederum heißt: Auch mein „Feind“ ist ein spirituelles Wesen. Ach Menno…

Was passiert, wenn man ausgerechnet mit diesem spirituellen Wesen die Geduld verliert? Darf man das überhaupt: die heilige Ordnung jenes spirituellen Wesens stören, welches gerade seinen Hund vor meiner Berliner Haustür ein großes Geschäft machen lässt, ohne es als störend zu empfinden? Oder sollte ich mich doch lieber gleich an den Hund wenden? Schließlich ist auch er ein spirituelles Wesen.

Und der spirituelle Taxifahrer, der mich nicht Kurzstrecke fahren lässt, weil er heute schlichtweg keine Lust dazu hat? Mein nerviger Mitfahrer in der S-Bahn, der zu laut in sein Smartphone quatscht – auch ein spirituelles Wesen? Anders gefragt: Darf ich als spiritueller Aktivist auch einmal so richtig böse werden oder gar mit härteren Bandagen kämpfen, um Ziele zu erreichen, die dem Gemeinwohl dienen? Darf ich am Ende gar das P-Wort in den Mund nehmen: P wie Politik?

Ohne Zweifel bewirkt spiritueller Yoga-Aktivismus viel. Da gibt es Organisationen zur Unterstützung von Frauen in Afrika, Projekte für nachhaltigen Konsum bis hin zu Aktionen von betroffenen US- Amerikanerinnen, die auf einer Müllhalde in Kambodscha den Müllarbeitern mitleidig bei ihrer täglichen Arbeit zusehen und dann entsetzt ausrufen: „Mein Gott, die entsorgen unseren Müll!“ Diese Maßnahmen der Yoga-Community sind jedoch nicht politisch zu verstehen, sondern ethisch. Das ist die ganz normale Arbeit vieler Nicht-Regierungs-Organisationen mit mal besser, mal schlechter ausgeführten Projekten (vorzugsweise in Entwicklungsländern).

Wer ein Geburtshaus in Afrika unterstützt, tut ohne Frage Gutes, ist aber nicht notwendigerweise politisch. Erst wenn sich beispielsweise die Überzeugung, dass Müttergesundheit ein grundlegendes Menschenrecht ist, in den konstitutionellen Rahmenbedingungen eines Staates verankert und gewährleistet wird, dann ist etwas Politisches geschehen.

So weit schaffen es leider viel zu wenige Projekte. Wie viele Organisationen haben unzählige Projekte auf den Weg gebracht, die aber keine politische Reichweite hatten – weil die Protagonisten dachten, idealistischer Wille und gute Intentionen alleine würden die Berge der Politik versetzen. Um das zu erreichen, benötigt es allerdings Zähigkeit, Realismus, eine dicke Haut – und vielleicht auch ein gutes Repertoire an Flüchen, das eine oder andere Glas Wein oder Bier und keine Scheu davor, anderen auch einmal gehörig auf den Fuß zu treten. Wobei wir wieder beim Yogi wären, der niemandem weh tun möchte.

Erste zaghafte Schritte in Richtung Yoga-Aktivismus mit politischem Twist wagte letztes Jahr Seane Corn – sie war auf den Parteitagen der Republikaner und der Demokraten vertreten. Das mutete seltsam an, denn Corn trat mit einer Wellnessoase an, um den Teilnehmern entspannte Yogastunden zu geben. Bestimmt hatte sie die Hoffnung, dass sich dadurch der irregeleitete Geist der Republikaner in Luft auflösen würde. Das Angebot wurde vorzugsweise von verspannten Journalisten in Anspruch genommen. Organisiert hatten das Ganze die Yoga-Organisation Off the Mat, Into the World und die Initiative YogaVotes. YogaVotes ist eine nationale, überparteiliche Kampagne, die Yogis in den USA letztes Jahr zum Wählen bewegen wollte. Man hätte aber auf dem Parteitag der Republikaner sicherlich das eine Schild oder die andere Faust in die Höhe strecken dürfen.

Wer Yoga praktiziert, der verabschiedet sich endgültig von der Neutralität. Mit unserer Praxis verlassen wir sozusagen die Schweiz und sagen „Hallo Welt“. Denn die Lektion, die wir durch Yoga wirklich lernen, ist, da zu sein, am Leben teilzunehmen und uns in die Gemeinschaft einzubringen. Alle unsere Handlungen werden von bestimmten Rahmenbedingungen geformt und diese sind politisch. Projekte zum Schutz der Lebewesen sind notwendig und sinnvoll. Sie versanden aber genauso häufig wie der Idealismus, mit denen man sie begonnen hat, wenn die Grundideen sich in keiner Politik verankern. Das muss der konsequente nächste Schritt sein: Wenn wir als Yoga-Community wirklich etwas bewegen wollen, dann müssen wir uns weiter strecken, und zwar über die Ränder eines rein ethischen Projektverhaltens hinaus.

Die Mehrzahl der Yogis hat eine gute Bildung genossen und arbeitet in guten Jobs. Das yogische Klientel verfügt nicht nur über den geistigen Rahmen sondern auch über die Fertigkeiten und das Know-how zur Veränderung. Es ist genug Wissen vorhanden, das für die Lösung gesellschaftlicher Probleme geteilt werden kann. Wir können also getrost in die Sphäre der Politik vordringen und dort mitmischen – auch auf die Gefahr hin, dass wir uns zu den nervigen Lobbyisten entwickeln, die wir nie sein wollten.

Interview: Jean Ziegler – Das große Fressen und Hungern

Frisch aufgetischt: In seinem Buch „Wir lassen sie verhungern“ präsentiert uns Jean Ziegler die Rechnung für unseren Wohlstand – der Hunger in den Ländern der Dritten Welt ist ein Abfallprodukt kalkulierter Profitgier von Konzernen und Spekulanten. Skandalös daran ist die Ignoranz der Industrienationen, die angesichts einer permanenten Hungerkatastrophe den maßlosen Überfluss zelebrieren. Gandhis Mahnung, dass die Erde genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier biete, trifft die wunde Achillesferse unserer Gesellschaft. 

Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind an Hunger: Was hat das – ganz konkret – mit meinem Leben zu tun?
Der World Food Report der UNO macht transparent, dass die Weltlandwirtschaft heute problemlos zwölf Milliarden Menschen, fast das Doppelte der Weltbevölkerung, ernähren könnte. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gibt es keinen objektiven Mangel mehr. Dennoch sterben jährlich weltweit mehrere zehn Millionen Menschen einen qualvollen Hungertod. Das Problem ist nicht die Produktion, sondern der Zugang zur Nahrung – ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet. Insofern hat es sehr viel mit Ihrem Leben zu tun, beispielsweise mit Ihren Kaufentscheidungen, die die Mechanismen der Hungerkatastrophe bedienen: Zusammengerechnet sterben 57000 Menschen pro Tag an Hunger, eine Milliarde Menschen sind Zeit ihres Lebens unterernährt – auf einem Planeten, der Unmengen an Reichtum produziert und wo das Recht auf Nahrung in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht.

Dann hat mein Einkauf im Supermarkt also Konsequenzen für den weltweiten Handel?
Natürlich! Die Verbraucher können vieles bewirken. Man sollte zum Beispiel keine gentechnisch manipulierten Nahrungsmittel kaufen, weil dies unmittelbar zur Finanzsklaverei der Bauern in den Dritte-Welt-Ländern führt. Diese Saaten sind Patentprodukte, die zwar eine höhere Ernte einbringen, aber eben auch gekauft werden müssen und teure Düngemittel benötigen. Weiterhin sollte man auf den Konsum von Fleisch verzichten oder diesen zumindest stark einschränken. Ein Viertel der Weltgetreideernte wird in die Massentierhaltung investiert. Außerdem sollte man fair gehandelte Produkte kaufen, die möglicherweise etwas teurer sind, aber die Existenz der Bauern sichern, indem sie Landwirtschaft betreiben können. Und möglichst nur zu regional erzeugtem und saisonalem Obst und Gemüse greifen. Nicht zu vergessen die Spenden als humanitäre Soforthilfemaßnahme an die Welthungerhilfe, Terre des hommes, Oxfam, Brot für die Welt und die Caritas – alle diese Organisationen leisten wertvolle Arbeit mit ihren Lagern für Hungerflüchtlinge und Feeding Centern für verhungernde Kinder. Helfen ist ein Gebot der Menschlichkeit.

Wer zieht die Fäden beim globalen Monopoly?
Die Macht der Agrokonzerne und Börsenspekulanten über die Nahrung übersteigt jene der Staaten und Organisationen. Zehn multinationale Konzerne kontrollieren 85 Prozent aller gehandelten Nahrungsmittel – vor allem die Grundnahrungsmittel Reis, Mais und Weizen, die wiederum 75 Prozent des Weltkonsums decken. Dabei ist ausschließlich die Profitmaximierung von Interesse. Es geht nur darum, die Kapitalrendite zu erhöhen. Die Mechanismen, die den strukturellen Hunger in der Welt bewirken, sind deren Strategie.

Sie sprechen in Ihrem Buch von „Mechanismen struktureller Gewalt“…
Zum einen boomt der Einsatz von Agrar-Treibstoffen. Im Jahr 2011 verbrannten die USA 138 Millionen Tonnen Mais und Getreide, um Biomethanol und -diesel herzustellen. Da die Vereinigten Staaten jeden Tag 20 Millionen Barrel Erdöl benötigen, aber nur etwa ein Drittel im eigenen Land fördern können, muss der Großteil aus Afrika und dem Mittleren Osten importiert werden. Das bedeutet gleichzeitig, dass die USA horrende Summen für das Militär ausgeben muss, um die Erdölquellen zu sichern. Präsident Obama will daher fossile durch vegetale Energie ersetzen, natürlich auch aus Gründen des Klimaschutzes. Hunderte Millionen Tonnen von Nahrungsmitteln zu verbrennen, ist jedoch ein Verbrechen gegen die hungernde Menschheit.

…und Sie bezeichnen die Weltordnung als „kannibalisch“…
Das stimmt, denn zum andern existiert eine höchst unethische Börsenspekulation mit Grundnahrungsmitteln. Die Banken haben in den Jahren 2007 und 2008 an den Finanzbörsen circa 85000 Milliarden Dollar an Vermögenswerten vernichtet. Anschließend haben sich die Interessen der Großbanken auf die Rohstoffbörsen gerichtet, besonders auf Agrarprodukte. Hier wird nach wie vor mit legalen, aber unethischen Finanzinstrumenten gehandelt, um mit Reis, Mais und anderem Getreide astronomische Profite einzufahren: Der Preis für eine Tonne Mais hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Für die Ärmsten der Welt ist diese Preisexplosion der Grundnahrungsmittel eine Katastrophe. Laut einem Bericht der Weltbank leben 1,2 Milliarden Menschen von weniger als einem Dollar pro Tag – sie vegetieren in den Slums von Manila, São Paulo, Mexiko City usw. Von dem Wenigen müssen Mütter ihre Kinder ernähren: Wenn die Lebensmittelpreise drastisch ansteigen, verhungern sie.

Ein weiterer Mechanismus ist das Agrardumping: Auf jedem afrikanischen Markt wird heute Gemüse, Geflügel und Obst aus Europa verkauft, das um die Hälfte oder ein Drittel billiger ist als gleichwertige einheimische Erzeugnisse. Afrikanische Bauern können im Wettbewerb nicht bestehen und haben nicht die geringste Chance, auch nur das Existenzminimum für ihre Familien zu erwirtschaften. Die Kommissare in Brüssel fördern mit ihrer Dumpingpolitik den Hunger in Afrika – und wenn die Hungerflüchtlinge nach Europa flüchten wollen, werden sie mit militärischer Gewalt auf das offene Meer zurückgedrängt, wo jedes Jahr Tausende ertrinken. 

Der vierte Mechanismus ist die Überschuldung der armen Länder, die zum Landgrabbing führt. Viele Länder Afrikas sind reine Agrarstaaten mit geringer Produktivität. Sie verfügen über keinerlei Geld, um in Bewässerungs-, Agrartechnik oder Düngemittel zu investieren: Der Großteil wird wie vor 5000 Jahren mittels Regenlandwirtschaft betrieben. Es gibt keine Subventionen seitens der Staaten, weil sie hoch verschuldet sind. Öffentliche Finanzinstitute wie die Weltbank oder die Europäische Entwicklungsbank raten diesen Staaten, ihre Schulden abzubauen, in- dem sie das Ackerland Hedgefonds und Investoren überschreiben. Die ausländischen Investoren besitzen Kapital, Technik, Transportmittel und Handelsbeziehungen. Sie produzieren Avocados, Südfrüchte, Kaffee etc. für den Export nach Europa oder Nordamerika. Für die Versorgung der einheimischen Bevölkerung bleibt fast nichts übrig.

Wie stark ist die Stimme Deutschlands – einer gefestigten Demokratie und starken Wirtschaftsmacht – im Weltparlament der UNO?
Die Bundesrepublik ist eine lebendige und großartige Demokratie. Die Bürger können morgen den Bundestag zwingen, das Börsengesetz zu revidieren und die Spekulation auf Grundnahrungsmittel zu verbieten. Die mörderischen Mechanismen, die für die Massenvernichtung in der Dritten Welt verantwortlich sind, sind menschengemacht und können von Menschen gebrochen werden.

Der Bundesfinanzminister kann durch die Bevölkerung dazu gezwungen werden, bei der nächsten Generalversammlung des Weltwährungsfonds in Washington nicht mehr für die Gläubigerbanken zu stimmen, sondern für die sterbenden Kinder beziehungsweise für die Totalentschuldung der fünfzig ärmsten Länder der Welt. Oder man kann Druck ausüben, damit der deutsche Landwirtschaftsminister in Brüssel für die Abschaffung des Agrardumpings eintritt.

Wie kommt es, dass angesichts dieser Fakten ein solch hohes Maß an Verdrängung existiert?
Das ist möglich, weil die Medien nur die halbe Wahrheit berichten. In den fünf Ländern am Horn von Afrika herrscht seit fünf Jahren eine Dürrekatastrophe, darüber wurde berichtet. Aber nur wenige bleiben an dem Thema dran und erklären, warum in diesen Regionen keine Bewässerungssysteme angelegt oder Nahrungsmittelreserven für den Notfall gespeichert werden. Die Länder stecken im Teufelskreis der Verschuldung, aus dem sie sich nicht befreien können und verfügen über keinerlei finanzielle Mittel. Der ausbleibende Regen ist für den konjunkturellen Hunger infolge einer Dürreperiode verantwortlich, die ausbleibende Hilfe und die genannten Mechanismen bewirken jedoch den beständigen strukturellen Hunger. Natürlich haben sowohl die Konzerne als auch die Spekulanten ein Interesse daran, den Hunger als ausschließlich klimabedingtes und regionales Phänomen erscheinen zu lassen. Die wahre und viel komplexere Kausalität wird verschwiegen.

Glauben Sie, dass die notwendigen sozialen Veränderungen auf friedlichem Wege durch einen Bewusstseinswandel möglich sind?
Absolut – ich bin diesbezüglich sehr optimistisch: Immer mehr Menschen ernähren sich nicht nur aus gesundheitlichen Gründen vegetarisch oder vegan, sondern weil sie die Zusammenhänge erkennen und nicht achtlos das Leid anderer bewirken wollen. Sie verzichten auf chinesische Erdbeeren im Januar und kaufen stattdessen fair gehandelte Produkte sowie regionale und saisonale Erzeugnisse. Damit übernehmen sie Verantwortung und sind offensichtlich bereit, ihr Denken, ihre Muster und Handlungen zu verändern. Dies ist ein höchst erfreuliches Signal und eine Entwicklung, die ich sehr begrüße. Mein Buch soll einen Aufstand des Gewissens wachrufen und eine Waffe gegen den Hunger sein. Die Bürger der europäischen und nordamerikanischen Staaten verfügen über alle Grundrechte, die es erlauben, bereits morgen die Reformen durchzusetzen, die das Hungermassaker beenden können. Es gibt keine Ohnmacht in der Demokratie: „Gott hat keine anderen Hände als die unseren.“ (George Bernanos


Jean Ziegler, Schweizer Soziologe, ist emeritierter Professor der Universität Genf. Er war bis 1999 Abgeordneter im eidgenössischen Parlament und von 2000 bis 2008 erster Sonder­berichterstatter der Uno für das Recht auf Nahrung. Heute ist er Vize­präsident des beratenden Ausschusses des Uno-­Menschenrates, Träger verschiedener Ehrendoktorate und internationaler Preise, z. B. des Internationalen Literaturpreises der Menschenrechte. Seine zahlreichen Publikationen sorgen sowohl für heftige Kontroversen als auch für ein hohes internationales Renommee (z. B. Die nicht gehaltene Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2011 – „Der aufstand des Gewis­sens“; Ecowin Verlag)

wir_lassen_sie_verhungernJean Ziegler: Wir lassen sie verhungern. Die Massenvernichtung in der Dritten Welt (C. Bertelsmann Verlag, 20 Euro)

Das Magazin // Januar-Februar 2014

(Schein)heilige Yogawelt?

Mitten im Advent hat sich die YOGA JOURNAL-Redaktion diese, zugegeben, etwas provokante Frage des Öfteren gestellt. Denn wieder einmal hat sich im Entstehungsprozess dieses Heftes eine Art Trend, eine gewisse Synchronizität gezeigt: Mehrere Autoren und Yogalehrer geben in ihren Texten den dringend nötigen Anstoß zu reflektieren und zu hinterfragen – die Yogaszene, Yoga als Lebenseinstellung, als Berufung, als Business, und damit uns selbst. So schreibt Diana Krebs in „Ach, Du (schein-)heilges Ich!“ über „Sauberfrauen“ im Yoga – Sie wissen schon: Diese spindeldürren Yoga-Heiligen, vegan unterwegs, stets lächelnd, perfekt und harmlos, ein ganz besonderer Fall von Selbstoptimierung, die sicher am Ziel von Yoga vorbei geht. Michi Kerns kritische Betrachtung von selbst ernannten Gurus setzt dem Ganzen noch eins drauf: In „Lernen von den Menschen“ appelliert er an die Yogalehrer dieser Welt, sich zu hinterfragen und selbst auch wieder Schüler zu sein.
Mit Heiligenbildern ganz anderer Art beschäftigen sich Anjali und R. Sriram in „Biblische Shakti“. In ihrem Gespräch diskutieren die beiden, inwieweit biblische Figuren den westlichen Yogaübenden dienen können. Warum sollten sie sich nicht, wie in der indischen Tradition üblich, die Freiheit nehmen, einen individuellen Umgang mit ihrem Gottesbild und ihren Heiligen zu pflegen? Schauspielerin Maria Schrader spricht im Interview über ihre Rolle in dem Kinofilm „Schwestern“, in dem eine junge Frau beschließt, ins Kloster zu gehen und damit ihre ganze Familie in Aufruhr versetzt. Es geht um Glück, um Erwartungen und die (scheinbar) große Freiheit unserer Zeit, den eigenen Lebensentwurf zu gestalten. „Freiheit kann so schön wie furchterregend sein,“ meint Schrader. Dazu passt wiederum unser Special zu vedischer und abendländischer Astrologie, das sich dem vielleicht individuell empfundenen Widerspruch zwischen Schicksal und freiem Willen widmet.
Mit Selbst- und Fremdbildern geht es weiter, in unserer wunderschönen Strecke „Portraits Of A Soul“. Dieses Kunstprojekt haben der Fotograf Richard Pilnick und Eric Standop gemeinsam ins Leben gerufen. Exklusiv für das YOGA JOURNAL ergründen sie anhand von Schwarzweiß-Fotografien, der uralten Technik des Gesichtlesens und passenden Gedichten die Persönlichkeit bekannter deutscher Yogalehrer. Die sechsteilige Asanaserie mit Gedicht startet mit Ashtanga-Yogalehrer und YOGA JOURNAL-Anatomieexperte Ronald Steiner.

Viel Freude beim Lesen, erfüllte Feiertage und einen fantastischen Start für 2014!

Ihre YOGA JOURNAL-Redaktion

 

TITELTHEMEN der Ausgabe Januar und Februar 2014:

  • 4 Übungsstrecken für mehr Balance im Leben
  • Jahreshoroskop 2014 und Yoga & Astrologie
  • Kunst und Yoga: Bekannte Yogalehrer im Portrait + Die Kunst des Gesichtslesens
  • Scheinheilige Yogawelt -Pin-Up-Yogamädchen und Möchtegern-Gurus
  • Interviews: Schauspielerin Maria Schrader, Theaterregisseur Luc Perceval
  • Yoga City Trip: Allgäu
  • + für Abonnenten: den Leserfotokalender 2014

Sie können die Ausgabe 01/2014 bequem und versankostenfrei in unserem Wellmedia-Shop bestellen.

YOGA IN BERLIN – by wari om

Wari Om Yoga in Berlin

Ob in den Straßen New Yorks, auf Moskaus Rotem Platz oder an den Stränden von Rio – auf seinen Reisen verfolgt Yoga-Fotograf Guillem Castellsague (33) aka Wari Om immer dasselbe Ziel: Seine Bilder sollen die Schönheit des Yoga einfangen und den Spirit einer weltweiten Gemeinschaft transportieren, der Kulturen und Grenzen überschreitet.

„Yoga in Berlin“ nennt sich Wari Oms neuestes Projekt, das er in Zusammenarbeit mit dem YOGA JOURNAL Deutschland im Sommer 2013 realsiert. Dafür sind aus ganz Deutschland begeisterte Yogis und bekannte Yogalehrer nach Berlin gekommen. Viele von ihnen haben schon gehört, dass am Set und auf den Bildern eine ausgelassene und freudvolle Stimmung herrscht. Mehr noch: Es schimmert das Bewusstsein durch, Teil von etwas Größerem zu sein. Den Beweis werden später Momentaufnahmen liefern, die sie in anmutigen und kraftvollen Yogahaltungen zeigen, scheinbar auf magische Weise mit dem Hintergrund verschmolzen.

In diesen warmen Augusttagen ziehen Fotograf und Models gemeinsam durch Berlins Straßen, steigen in der Dämmerung auf den Teufelsberg und posen im legendären Kater Holzig-Club, vor dem Schloss Sans Soucis in Potsdam oder auf einem SUP-Board auf der Spree. Eine Auswahl unserer Fotoreise zeigen wir Ihnen hier:

(Ein Interview mit Wari Om lesen Sie in der Ausgabe November/Dezember 2013.)

 

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