Natürlich muss kein Mensch Armbalancen können: Sie erfordern viel Übung und jede Menge Geduld. Aber sie machen auch Spaß, schenken dir Mut – und schon die Arbeit an ihnen kräftigt wichtige Muskeln, die die Wirbelsäule stabilisieren. Steffi Rohrs Geschichte beweist: Manchmal lohnt es sich, seine Ziele himmelhoch zu stecken.
Text: Stephanie Schauenburg / Übungen: Stefanie Rohr / Fotos: Elli Becker
Schon früh im Leben wurde Stefanie Rohr mit einer schweren Rückenerkrankung konfrontiert: Morbus Scheuermann. Diese Wachstumsstörung der Wirbelsäule führt spätestens im Teenager-Alter zu einem ausgeprägten Rundrücken, häufig begleitet von Skoliose und Schmerzen, die ein Leben lang anhalten. Die in Steffis Jugend gängige Therapiemethode war brutal: Ihr gesamter Rumpf wurde Tag und Nacht in ein Korsett aus Hartplastik eingezwängt.
“Nicht nur, dass es natürlich total unangenehm war, so in die Schule gehen zu müssen, nein, viel schlimmer war, dass sich dadurch meine Rücken- und Bauchmuskulatur zurückgebildet hat.” Die Folge: Schon zwischen 16 und 22 Jahren erlitt sie vier Bandscheibenvorfälle.
Dennoch ließ sich Steffi nicht davon abbringen, Sport zu studieren: “Gottseidank war ich damals so dickköpfig und hab das durchgezogen, denn dank dem für mich richtig dosierten Sport – und ganz besonders dank Yoga – konnte ich meine Rumpfmuskulatur mit der Zeit so gut stabilisieren, dass erst mit Ende 30, Anfang 40 noch mal zwei kleine Vorfälle dazu kamen, aber keiner musste operiert werden.”
Raus aus der Angst, rein in die Bewegung
Heute will sie anderen Menschen Mut machen, auch nach einer Rückenerkrankung zurück in die Bewegung zu kommen: “Unsere Wirbelsäule lebt von Bewegung. Daher kann es absolut fatal sein, wenn wir uns, vielleicht aus Angst, kaum mehr bewegen.” Diese Angst ist ganz natürlich, nachdem man heftige Schmerzen erlebt hat.
Aber gerade deshalb findet es Steffi sinnvoll, sich sogar an so anspruchsvolle Bewegungen wie ein Armbalancen-Training zu wagen – sobald es der Heilungsprozess erlaubt: “Hier gehört zu Beginn sicherlich sehr viel Geduld und eine ordentliche Portion Mut dazu. Aber in der Freude an Bewegung können wir dieses Selbstvertrauen stärken.” Was aber vielleicht viel entscheidender als eine irgendwann gemeisterte oder nicht gemeisterte Asana ist: Das Training von Armbalancen kräftigt vor allem die Körpermitte – und die ist bekanntermaßen ausschlaggebend für die Gesundheit der Wirbelsäule.
In diesem Artikel zeigt die Bestsellerautorin drei ausgefallene Asanas, die dir auf Anhieb vielleicht unerreichbar erscheinen. Und klar: Es ist für die meisten von uns ein langer Weg dorthin. Das hindert uns aber nicht zu spielen und zu probieren.
Steffis Tipp: “Es gibt nicht den einen Kniff, mit dem dir eine komplexe Asana gelingt. Man muss sie lernen, so wie ein Baby laufen lernt.”
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Warm-up für die Handgelenke
Eine gezielte Vorbereitung auf eine Handbalancen-Praxis ist essenziell, um Verletzungen und Überlastungen zu vermeiden. Daher ist ein kleines Warm-up absolute Pflicht! Dabei wärmst du den gesamten Körper und besonders die Handgelenke auf und aktivierst ihre Stützkraft.
1. Sonnengruß
Der Sonnengruß sollte in keinem Warm-up fehlen, denn mit ihm mobilisierst und kräftigst du den gesamten Körper. Übe 5–8 Runden der dir vertrauten Variante und achte dabei in allen Stützhaltungen darauf, deine Finger weit aufzuspreizen, die Daumenballen zu aktivieren und die Schultern zu heben. Spüre, wie du dich aktiv abdrückst und dich zugleich in deiner Körpermitte stabilisierst.
2. Kreisen
Richte deinen Oberkörper im Fersensitz oder einer anderen für dich bequemen Sitzhaltung gerade auf. Verschränke die Hände vor der Brust und lasse sie 1–2 Minuten lang in alle Richtungen kreisen.
3. Ausstrecken
Strecke die Arme mit verschränkten Händen möglichst senkrecht nach oben und drehe dabei die Handflächen nach außen. Führe dann die Arme gerade nach vorne, runde den Rücken und schiebe Handflächen von dir weg. Anschließend kommst du zurück in die Ausgangsposition mit geradem Rücken und gehobenen Händen. (5–10 Wiederholungen)
4. Finger dehnen
Strecke einen Arm gerade nach vorne aus, hebe die Finger und dehne sie mit der anderen Hand vorsichtig nach hinten. Dasselbe machst du anschließend mit der anderen Hand. (je 5–10 Atemzüge)
5. Aktivieren
Finde dich im herabschauenden Hund ein und bewege dich sanft in alle Richtungen. Dabei spreizt du die Finger weit und schiebst bewusst die Daumenballen und Fingerkuppen gegen die Matte. (5–10 Atemzüge)
6. Drehen
Richte im Vierfüßler die Handgelenke senkrecht unter den Schultern aus. Drehe dann beide Hände über außen möglichst weit nach hinten, sodass die Fingerspitzen zu dir zeigen. Bewege dich nun sanft nach vorne und hinten und kreise um die Handgelenke herum. (5–10 Atemzüge)
7. Drehen Variante
Die gleichen Bewegungen kannst du anschließend noch mal wiederholen, wobei dieses Mal immer eine Hand nach vorne und eine nach hinten zeigt.
Wichtig zu wissen
- Bevor du die Armbalancen probierst, solltest du die jeweils angegebenen vorbereitenden Übungen mühelos meistern.
- Übe Handbalancen grundsätzlich langsam und vor allem ohne Schwung.
- Die Beschreibungen in diesem Artikel sind nur knappe Anhaltspunkte. Nimm dir Zeit, probiere aus, unterstütze dich mit Hilfsmitteln und lass dir in der ersten Zeit von einer zweiten Person helfen.
- Klappt nicht? Nur nicht gleich aufgeben! Alle Armbalancen brauchen sehr viel Übung und Geduld.
Der kleine Grashüpfer (Bala Parshva Bhuja Dandasana)
Vorübung: Schlafender Vishnu (Anantasana)
Lege dich lang ausgestreckt auf die linke Körperseite, stütze den Kopf mit der Hand und stelle den rechten Fuß vor dem Körper auf. Beide Beckenschaufeln sollten nach vorne ausgerichtet sein. Greife mit dem Daumen, Zeige- und Mittelfinger die große Zehe des aufgestellten Fußes und führe das Knie zur Brust, bevor du das Bein möglichst senkrecht nach oben streckst und Richtung Kopf ziehst. (5–10 Atemzüge, dann Seitenwechsel)
Step by Step
1. Starte gut aufgerichtet im Langsitz und stelle dann dein rechtes Bein angewinkelt über dein linkes. Stütze dich mit der linken Hand hinter dem Körper am Boden oder auf einem Block auf, dein rechter Arm schiebt sich an der Innenseite deines rechten Beines vorbei lang nach vorne.
2. Halte den Oberkörper lang, wenn du nun die rechte Hand weiter Richtung kurze Mattenseite schiebst, bis du den linken Fuß umgreifen kannst.
3. Hebe das gestreckte linke Bein, richte nochmals die Wirbelsäule auf und erzeuge Halt in deiner Mitte. Lasse dabei die Sitzfläche noch auf der Matte.
4. Schiebe den Oberkörper etwas nach vorn und verlagere damit den Körperschwerpunkt. Jetzt löst sich das Gesäß von der Matte. Drücke dich aus der Kraft des linken Arms und des rechten Beins kraftvoll ab. Nach 5 Atemzügen löst du dich behutsam aus der Haltung und übst die zweite Seite.
Wirkung
trainiert den gesamten Rumpf // kräftigt den stützenden Arm // aktiviert die Oberschenkelvorderseite des gestreckten Beins und dehnt seine Rückseite // kräftigt das gesamte gebeugte Bein.
Der gefallene Engel (Devaduuta Panna Asana)
Vorübung: Gedrehter tiefer Ausfallschritt
Richte im Ausfallschritt dein rechtes vorderes Knie über dem Sprunggelenk aus. Schienbein und Fußrücken des linken Beins liegen gerade nach hinten ausgerichtet auf der Matte. Lege die Hände vor dem Herzen aneinander und neige dich dann mit geradem Rücken etwas nach vorne, bevor du dich vorsichtig nach rechts drehst. Wenn möglich, legst du den linken Ellenbogen an die Außenseite des rechten Oberschenkels. (5–10 Atemzüge, dann Seitenwechsel)
Step by step
1. Beginne in der tiefen Hocke. Füße und Knie sind geschlossen. Schiebe die Fußballen gegen die Matte, sodass sich die Fersen etwas heben. Richte dich gerade auf und drehe nach links. Platziere die Finger der linken Hand ungefähr auf einer Linie mit den Fersen und die rechte in schulterweitem Abstand parallel dazu. Die Arme sind gestreckt. Schiebe rechten Oberarm und linken Oberschenkel gegeneinander, spreize die Finger und drücke die Fingerspitzen fest nach unten.
2. Die Ellenbogen bewegen sich zum Körper (nicht nach außen), wenn du nun langsam die Arme beugst und die Handballen aufsetzt. Lege die linke Oberschenkelaußenseite auf den Oberarmen ab und verlagere den Körperschwerpunkt nach vorn, bis die Füße vom Boden abheben. Ziehe Rumpf und Beine kompakt zur Mitte und verteile das Gewicht der Beine möglichst gleichmäßig auf beide Oberarmen (seitliche Krähe).
3. Beuge die Arme langsam noch weiter, bis du dein linkes Ohr auf der Matte ablegen kannst. Schiebe die Hände weiter fest gegen den Boden.
4. Ziehe die angewinkelten Beine noch etwas dichter zum Körper und komme in eine tiefe Rotation, bis die Zehen senkrecht nach oben zeigen. Nun kannst du das rechte Bein parallel zum linken nach oben strecken. Nach 5 Atemzügen löst du dich behutsam aus der Haltung und übst die zweite Seite.
Achtung !
Praktiziere diese Asana nur, wenn du dabei keinen unangenehmen Druck im Hals und Nacken spürst, da diese Bereiche besonders beansprucht werden.
Wirkung
kräftigt Schultern, Arme und Handgelenke // trainiert Rücken- und Rumpfmuskulatur // aktiviert durch die Rotation neben den geraden vor allem auch die schrägen Bauchmuskeln // trainiert den Gleichgewichtssinn // verbessert die Körperwahrnehmung // fördert die Durchblutung des Gehirns
Die fliegende Taube (Eka Pada Galavasana)
Vorübung: Königstaube (Eka Pada Rajakapotasana, Variante)
Ziehe aus Hund oder Vierfüßler das linke Knie außen an die rechte Hand, bewege den linken Fuß etwas nach innen und lege das rechte Bein lang gestreckt nach hinten ab. Aktiviere beide Beine und Füße, indem du sie fest gegen die Matte schiebst, und richte das Becken gerade nach vorn zur kurzen Mattenseite aus. Strecke die Wirbelsäule lang, bevor du den Oberkörper nach rechts drehst, das rechte Bein beugst und mit der rechten Hand den Fuß greifst. Aktiviere den Bauch, um dich aus der Mitte zu stabilisieren und weite die Brust. Wenn möglich, legst du den Fuß in die Ellenbeuge. (5–10 Atemzüge, dann Seitenwechsel)
Step by step
1. Lege im Stand den äußeren Knöchel des linken Fußes mittig an den rechten Oberschenkel, der Fuß ist kraftvoll geflext, das Knie dreht nach außen. Dann beuge dich nach vorn, setze die Finger auf und bleibe einige Atemzüge lang in dieser intensiven Hüftöffnung.
2. Beuge das rechte Bein und setze die Hände schulterbereit voneinander entfernt auf der Matte auf, die Finger sind gespreizt, die Fingerkuppen Richtung Boden geschoben. Drehe die Ellenbogen nach hinten, drücke den linken Unterschenkel gegen die Oberarmrückseiten und ziehe die Zehen Richtung Schienbein, sodass du den Oberarm mit dem Fuß umklammern kannst.
3. Hebe das Becken und schiebe den Oberkörper nach vorn. Der Körperschwerpunkt verlagert sich, der rechte Fuß löst sich von der Matte. Ziehe die rechte Ferse fest zum Gesäß und richte den Blick zum kurzen Mattenrand.
4. Strecke das rechte Bein nach hinten oben und schiebe den Oberkörper zum Ausgleich weiter nach vorn. Nach 5 Atemzügen löst du dich behutsam aus der Haltung und übst die zweite Seite.
Wirkung
kräftigt Schultern, Arme und Handgelenke // trainiert die gesamte Rumpfmuskulatur, vor allem den geraden Bauchmuskel // verbessert das Gleichgewicht // mobilisiert die Hüfte im angewinkelten Bein
Hier findest du Videos zur fliegenden Taube und zum kleinen Grashüpfer:
Kraft und Balance sind die wichtigsten Themen in Stefanie Rohrs Arbeit als Yogalehrerin. Gemeinsam mit Max Kert hat sie den Yoga-Beststeller “Power meets Balance” verfasst. Ihre Expertise für sportliche Rehabilitation und Personal Training vermittelt die studierte Sportökonomin außerdem in zahlreichen Videoproduktionen. Erfahre mehr über Stefanie Rohr auf ihrer Website stefanie-rohr.de