Laut Tantra gibt es keine Energie in der Welt, die nicht auch in deinem Körper vorhanden ist – und umgekehrt keine Energie in deinem Körper, die nicht auch in der Welt ist. In dieser Übungssequenz bekommst du einen Eindruck davon.
Text & Sequenz: Rod Stryker / Fotos: Jeff Nelson
Bevor du beginnst:
Die Sequenz facht die Energie im Nabel-Chakra an, dem Sitz deiner Willenskraft und Vitalität. Von dort soll sie durch die anderen Chakras hindurch bewegt werden und ins Kronen-Chakra aufsteigen. Konzentriere dich deshalb beim Üben vor allem auf das Wahrnehmen deines Atems, auf die Mantras und den subtilen Fluss von Energien. Das Ziel: mehr Selbstvertrauen, Mut und Klarheit.
1. Tadasana: Berghaltung mit Atembewegung
Steh aufrecht und aktiviere deine Beine, indem du die Schienbeine behutsam etwas zueinander hin und die Kniescheiben nach oben ziehst. Der Bauch ist sanft gehoben, die Schlüsselbeine dürfen sich ausbreiten (Tadasana). Dann führst du einatmend die Arme über vorne nach oben. Dabei konzentrierst du dich darauf, Brust und Rücken mit deinem Atem zu füllen. Ausatmend senkst du die Arme und ziehst zugleich den Nabel nach innen. Zum Ende der Ausatmung drückst du bewusst die Luft aus den Lungen.
6 Wiederholungen
2. Utkatasana: Stuhl oder Stehhocke, dynamische Variante
Setz deine Füße in Tadasana mindestens in einen hüftbreiten Abstand, bevor du einatmend erneut deine Arme hebst. Ausatmend ziehst du den Nabel Richtung Wirbelsäule, beugst die Knie und bewegst den Oberkörper nach vorn, bis er auf den Oberschenkeln ruht. Lass Arme und Kopf locker hängen, dabei sollten die Sitzknochen nicht tiefer stehen als die Knie. Einatmend hebst du die Arme über vorn und richtest dich in die Stehhocke (Utkatasana) auf und von dort weiter in Tadasana.
6 Wiederholungen, bei der letzten hältst du Utkatasana 6 Atemzüge lang.
3. Bitilasana – Adho Mukha Shvanasana: Von der Kuh in den herabschauenden Hund
Richte im Vierfüßlerstand die Hände schulterweit und die Knie hüftbreit aus. Die Finger sind gespreizt und kraftvoll am Boden verwurzelt. Einatmend hebst du Brust und Kopf und streckst die Körpervorderseite lang. Dabei wahrst du eine leichte Aktivität im unteren Bauch (Bitilasana). Stell die Zehen auf, bevor du ausatmend die Knie hebst, dein Gewicht nach hinten bewegst und die Wirbelsäule lang streckst (Adho Mukha Shvanasana). Mit der nächsten Einatmung senkst du die Knie wieder und hältst dabei den Bauch aktiv.
6 Wiederholungen, bei der letzten hältst du den Hund 6 Atemzüge lang. Dabei konzentrierst du dich einatmend auf das Heben des Beckens und ausatmend auf die Kontraktion des Bauchs. Das Kinn bewegt sich sanft Richtung Kehle.
4. Virabhadrasana 1: Heldenhaltung 1, dynamische Variation
Mach mit dem linken Fuß einen weiten Schritt nach vorn und beuge das linke Knie, bis es etwa senkrecht über dem Fußgelenk steht. Das hintere Bein ist gestreckt, der Fuß zeigt diagonal nach außen. Leg deine Hände beidseits des Nabels auf den Bauch und achte während der gesamten Übung darauf, den Bauch so zu stabilisieren, dass du nicht zu sehr ins Hohlkreuz kommst. Einatmend hebst du die Arme seitlich bis knapp über Schulterhöhe. Die Handflächen zeigen nach oben, du weitest bewusst die Herzgegend und bewegst Wirbelsäule und Brustbein aufwärts (Virabhadrasana I – Variation). Ausatmend führst du die Hände wieder auf den Bauch. Bleib einen Atemzug lang in dieser Haltung, dann wiederholst du den Ablauf. Sprich dabei im Stillen mit jeder Einatmung und jeder Ausatmung das Mantra Ram – diese Keimsilbe steht für Licht und transformierende Energie.
6 Wiederholungen, dann Seitenwechsel und erneut 6 Durchgänge
Die Silbe “Ram” ist genau so wie “Om” ein wichtiges Bija Mantra. Lies hier mehr dazu!
5. Prasarita Padottanasana: Vorwärtsbeuge aus der Grätsche
Stelle deine Füße parallel in eine Grätsche und lege die Hände an die Hüften. Mit einer Ausatmung beugst du dich aus den Hüftgelenken heraus mit langer Wirbelsäule nach vorn. Leg deine Hände auf den Boden oder zwei Blöcke. Lass den Kopf hängen und zieh das Kinn sanft Richtung Kehle (Prasarita Padottanasana). Bleib 8–12 Atemzüge lang in der Haltung. Mit jeder Ausatmung konzentrierst du dich darauf, den Nabel nach innen zu ziehen und den Rücken abzuflachen. Dabei wiederholst du das Ram-Mantra und stellst dir vor, dass die dabei angesprochene transformierende Energie in der Gegend zwischen Schambein und Solar Plexus entfacht wird.
6. Agni Sara Kriya: Reinigende Feueressenz-Atempraxis
Beuge dich in einem bequemen, hüftbreiten Stand bei leicht gebeugten Knien etwas nach vorn und stütze dich knapp oberhalb der Knie mit den Händen auf. Atme mit weichem Bauch ein, ausatmend bewegst du den Nabel wieder nach innen. Bleib während der nun folgenden Bewegung in der Atemleere, solange das für dich ohne Stress möglich ist. Lass den Bauch zunächst los, dann zieh ihn rhythmisch und kraftvoll nach innen und wiederhole erneut im Stillen das Ram-Mantra. Sobald du wieder Luft holen möchtest, entspannst du den Bauch und richtest dich auf. Dabei atmest du möglichst langsam und entspannt ein.
6 Wiederholungen
Erfahre hier mehr über Agni Sara und andere Kriyas (Reinigungsübungen).
7. Ardha Navasana: Halbes Boot, dynamische Variation
Du beginnst in der Rückenlage. Schieb die gestreckten Beine fest gegeneinander und hebe sie etwa eine Fußlänge vom Boden. Gleichzeitig hebst du deine Schultern und streckst die Arme längs des Körpers nach vorn. Arbeite dabei aktiv aus dem Bauch und halte Augen und Zehen etwa auf gleicher Höhe.
Zieh einatmend das linke Knie Richtung Brust und halte es dort 2 Atemzüge lang. Dann wechselst du zum rechten Bein und hältst wieder 2 Atemzüge. Anschließend streckst du beide Beine für 2 Atemzüge. Spüre das Feuer in der Gegend zwischen Schambein und Solar Plexus und wiederhole auch hier innerlich das Mantra Ram.
1–3 Wiederholungen
„Shakti ist der Inbegriff von Kraft. Im tantrischen Yoga verkörpern und lenken wir sie mithilfe von Techniken wie Asana, Mantra, Bandha und Pranayama.“
8. Tadaka Mudra: Siegel des leeren Sees
Bewege in der Rückenlage mit einer Einatmung beide Arme gestreckt hinter den Kopf und verschränke die Finger. Ausatmend drehst du die Handflächen nach außen und ziehst das Kinn etwas Richtung Kehle. Strecke die Beine und ziehe die Zehen nach oben, wenn du nun beginnst, den Atem zu vertiefen. Dabei konzentrierst du dich einatmend auf die Länge in deiner Wirbelsäule. Ausatmend kontrahierst du den Nabel und stützt den unteren Rücken. Am Ende jeder Ausatmung bleibst du einen Moment in der Atemleere, lässt den Bauch los und saugst ihn nach innen (Uddiyana Bandha). Dabei hebt sich deine Brust weg von der Taille.
4–6 Wiederholungen
9. Shavasana
Entspanne dich möglichst vollständig in der Rückenlage: Die Füße liegen etwas weiter als hüftbreit und dürfen nach außen sinken, die Arme sind leicht vom Körper abgewinkelt, sodass die Handflächen sich nach oben öffnen können. Lass die Augen in die Augenhöhlen sinken und dein Gesicht von der Mitte aus nach außen fließen (Shavasana). Atme 5 Mal bewusst und mit vertiefter Ausatmung, dann überlässt du den Atem seinem natürlichen Fluss. Du ruhst im Gefühl müheloser Bewusstheit.
3–8 Minuten
10. Yoga Mudra: Siegel des Yoga, Variation mit Chin-Mudra
Nimm eine für dich bequeme Sitzhaltung mit gekreuzten Beinen ein. Mit einer Ausatmung beugst du dich nach vorn und legst die Stirn am Boden, auf einem Block oder Kissen ab. Dabei richtest du die Höhe so ein, dass du dich in der Haltung entspannen kannst. Lege die Arme um deinen Rücken und greife mit der linken Hand um dein rechtes Handgelenk. Dabei legst du die rechte Daumen- und Zeigefingerkuppe aneinander und streckst die drei anderen Finger (Chin Mudra). Atme ruhig und gleichmäßig und konzentriere dich dabei auf die Gegend zwischen dem unteren Ende deiner Wirbelsäule und dem Solar Plexus. Wiederhole im Atemrhythmus erneut das Ram-Mantra.
8 Atemzüge
11. Prana Mudra: Siegel der Lebensenergie
Nimm eine für dich bequeme Sitzhaltung ein. Wenn du mit gekreuzten Beinen sitzen magst und deine Knie höher stehen als die Hüften, dann setz dich auf ein Kissen. Leg deine Hände in den Schoß, dabei berühren sich die Fingerspitzen und du formst ein nach unten zeigendes Dreieck. Schließ deine Augen und lenke die Aufmerksamkeit auf das untere Ende der Wirbelsäule, das Wurzel-Chakra. Atme vollständig aus und wiederhole dabei 3 Mal im Stillen das Mantra Om, den Laut des universellen Bewusstseins. Dann hebst du einatmend langsam die Arme zu den Seiten bis knapp über Schulterhöhe, die Handflächen zeigen nach oben. Während deine Hände sich von unten nach oben bewegen, passieren sie alle 7 Chakras:
- Muladhara – Wurzel-Chakra
- Svadhisthana – Sakral-Chakra
- Manipura – Nabel- oder Solar-Plexus-Chakra
- Anahata – Herz-Chakra
- Vishuddha – Kehl-Chakra
- Ajna – Drittes-Auge-Chakra
- Sahasrara– Kronen-Chakra
Mache dir jedes einzeln bewusst und wiederhole dabei innerlich für jedes Chakra den Laut Om. Beim 7. Chakra angekommen, bleibst du noch einen Moment in der Atemfülle. Vielleicht kannst du dabei Wellen von Freude oder Kraft wahrnehmen, die durch deinen Körper aufsteigen. Dann senkst du die Arme langsam ausatmend wieder. Dabei wendest du die Handflächen zum Körper und denkst erneut für jedes Chakra Om, bis die Hände wieder dreieckförmig im Schoß liegen.
10 Wiederholungen
„Im Kern bedeutet Tantra: Energielenkung. Das eröffnet uns den Zugang zur Erforschung unserer inneren Landschaft.“
12. Meditation
Bleibe anschließend aufrecht und mit geschlossenen Augen sitzen. Lenke die Aufmerksamkeit auf dein Herz-Chakra und lasse deinen Atem möglichst mühelos fließen. Stelle dir vor, dass du in deinem Herzen ruhst, als inneres Licht voller Präsenz.
2–5 Minuten
ROD STRYKER ist einer der bekanntesten Yoga- und Tantralehrer der USA. Auf den Bildern ist seine Schülerin Kerry Kleisner zu sehen, die seit 2007 ParaYoga bei ihm gelernt hat und es in Boulder, Colorado auch selbst unterrichtet.
Mehr zu Rod und ParaYoga unter www.parayoga.com.
Möchtest du mehr über Tantra erfahren? Anna Trökes erklärt dir in dieser Podcast-Folge alles, was du darüber wissen musst…
Tantra war das Titelthema unseres YOGA JOURNALS Nr. 83 – 05/22: