#131 Postnatal-Yoga: Dein Weg zu Selbstfürsorge und Stärke nach der Geburt – mit Stefanie Weyrauch

Warum Yoga nach der Geburt so wichtig ist – von Rückbildung und Beckenboden bis zur Mama-Baby-Balance

Diese Folge „YogaWorld Podcast“ richtet sich an alle frischgebackenen Mamas – und an alle, die mehr über die faszinierende Verbindung von Körper und Geist erfahren möchten. Gastgeberin Susanne Mors taucht mit Yogalehrerin Stefanie Weyrauch von Yogastern in die Welt des Postnatal-Yoga ein.

Warum ist Yoga nach der Geburt so wichtig? Wie unterstützt es die Rückbildung, stärkt den Beckenboden und schafft wertvolle Momente der Selbstfürsorge? Und wusstest du, dass ein schwacher Beckenboden zu einem Verlust von Lebensenergie (Prana) führen kann? Stefanie erklärt, wie Postnatal-Yoga nicht nur körperlich, sondern auch emotional und spirituell helfen kann, dich wieder in Balance zu bringen.

Außerdem gibt Stefanie wertvolle Tipps, wie du Yoga auch in einen hektischen Mama-Alltag integrieren kannst, und spannende Einblicke in die philosophische Dimension von Yoga als Weg zur Selbsttransformation.

Egal, ob du gerade Mutter geworden bist oder dich für die Themen Achtsamkeit, Beckenboden und Lebensenergie interessierst – diese Episode bietet wertvolle Impulse für alle.

Die 5 Tore des Körpers – mobilisierende Yogasequenz mit Kunal Joseph

Kunal Joseph-Hüftrotation

Eine effektive Aktivierung von wichtigen Knotenpunkten kann Schmerzen in Knien, Hüften, unterem Rücken, Schultern und Nacken lindern – vor allem aber ist sie eine wichtige Vorbereitung für jede Form von intensiverer Bewegung. Mit dieser Sequenz von Kunal Joseph schützt du deinen Körper und hältst ihn gesund.

Sequenz: Kunal Joseph / Fotos: Christian Böhm

Darum geht’s:

Die Sprunggelenke der beiden Füße, die beiden Handgelenke und der Nacken sind so etwas wie fünf Tore zum Körper, denn sie steuern Sehnen und Bindegewebsstrukturen im gesamten Körper an. Wenn du zum Beispiel beginnst, deine Knöchel zu mobilisie­ren, wirst du beobachten können, wie auch die Fas­zien und Muskeln der Beine und Hüften allmählich in Bewegung kommen und sich öffnen. Mit dieser ein­fachen Sequenz mobilisieren und aktivieren wir zu­nächst gezielt diese fünf Knotenpunkte – und von dort ausgehend nach und nach den gesamten Körper.

Am besten übst du sie vor der Asana­-Praxis oder dem Sport. So vermeidest du Verletzungen und hältst dei­nen Körper gesund und beweglich.

1. Fußgelenk-Stretch

Kunal Joseph-Fußgelenk-stretch

Beginne in einer entspannten Rückenlage. Halte die Füße dicht beieinander, wenn du nun beginnst, sie abwechselnd zu strecken und zu beugen. Spüre, wie dabei nicht nur die Fußgelenke warm werden, sondern auch die Beine arbeiten. (2 Minuten)

2. Fußgelenk-Rotation

Kunal-Joseph: Fußrotation

Anschließend beginnst du, deine weiterhin eng beieinander gehaltenen Füße kreisen zu lassen: Erst 1 Minute lang gemeinsam im Uhrzeigersinn und dann eine weitere Minute lang in die entgegengesetzte Richtung.

3. Handgelenk-Stretch

Kunal Joseph-Handgelenk-Stretch

Hebe im Liegen deine Arme in eine lockere Senkrechte und beginne, die beiden Hände gemeinsam abwechselnd nach vorn und hinten zu klappen. Auch hier wirst du bald merken, wie Arme und Schultern warm werden. Halte den Nacken dabei möglichst entspannt. (2 Minuten)

4. Handgelenk-Rotation

Kunal Joseph-Handgelenk-Rotation-

Genau wie bei den Füßen folgt auch bei den Händen auf Beugen und Strecken ein ausgiebiges Kreisen: zuerst 1 Minute lang in die eine Richtung und dann eine weitere Minute lang in die entgegengesetzte.

5. Nacken-Rotation

Kunal Joseph-Nacken-Rotation

Spüre deine gesamte Körperrückseite noch mal bewusst am Boden, bevor du deinen Kopf langsam und behutsam nach rechts drehst. Nimm die Dehnung seitlich am Nacken wahr. Dann drehst du den Kopf ebenso bewusst nach links und anschließend langsam hin und her. (1 Minute)

6. Seitliche-Nackendehnung

Kunal-Joseph-Nacken-Stretch

Setz dich nun aufrecht und in einer für dich mühelosen Haltung auf den Boden, ein Kissen oder einen Stuhl. Beuge den Kopf behutsam zu einer Seite und lass dein Ohr zur Schulter hin sinken. Halte die Schultern dabei möglichst entspannt. Spüre auch hier die Dehnung, dann hebe den Kopf wieder langsam und beuge ihn zur anderen Seite. Anschließend beugst du ihn in langsamem Wechsel hin und her. (1 Minute).

7. Nacken- und Handgelenk-Rotation

Kunal Joseph-Nacken-Handgelenk-Rotation

Verschränke im Sitzen deine Finger vor dem Körper und lasse Kopf und Hände gemeinsam kreisen: zuerst 6 langsame Kreise gegen den Uhrzeigersinn und dann 6 im Uhrzeigersinn.

Mit den ersten 7 Übungen hast du deine 5 Tore zum Körper mit Dehnung und Bewegung geöffnet und aktiviert. Nun hast du einen besseren Zugang zum Rest deines Körpers und kannst beginnen, Knie, Hüften, Wirbelsäule und Schultern in die Bewegung zu bringen.

8. Knie beugen und strecken

Kunal Joseph-Knie-beugen-strecken

Lege in einer Sitzhaltung deiner Wahl den rechten Unterarm (alternativ: die rechte Hand) in die rechte Kniekehle und die linke Hand sanft von oben auf das Knie. Dann beginnst du, einatmend das Bein so weit wie möglich zu strecken und es ausatmend wieder zu beugen. (8 Wiederholungen, dann Seitenwechsel)

9. Hüftrotation

Kunal Joseph-Hüftrotation

Beuge jetzt das rechte Bein und lege den rechten Fuß entweder in den halben Lotus oder weiter vorne und außen an den linken Oberschenkel. Halte Knie und Fuß mit deinen Händen und lasse sie 8 Mal erst in die eine Richtung kreisen und dann weitere 8 Mal in die andere. Dieselbe Bewegung wiederholst du mit dem linken Bein.

10. Hüftmobilisierung

Kunal Joseph-Hüftmobilisierung

Stelle nun im Sitzen beide Füße am Boden auf und stütze dich hinter dem Körper auf deine Hände. Je nach Flexibilität, kannst du die Füße näher oder weiter weg, enger oder weiter aufstellen, wenn du nun beginnst, die Knie abwechselnd nach rechts und links abzusenken. Dabei darf das Becken locker folgen. (1 Minute)

11. Hüftmobilisation mit Drehung

Kunal Joseph-Hüftmobilisation-Drehung

Bei dieser Variante zu Übung 10 bewegst du nicht nur die Beine nach rechts und links, sondern nimmst den gegenüberliegenden Arm und den Oberkörper jeweils mit in eine lockere Drehbewegung. Das mobilisiert die spiralförmigen Faszienbahnen und lockert unteren Rücken und Hüften. (1 Minute)

12. Seitbeugen aus dem Vierfüßler

Kunal-Joseph-Seitbeugen-Vierfüßler

Richte den Vierfüßler so ein, dass die Wirbelsäule neutral ausgerichtet ist (Kopf, Schultern und Hüften etwa in einer Linie). Dann beginnst du, Kopf, Schultern und Hüfte langsam nach rechts in eine C-Form zu bewegen und von dort genauso nach links und dann hin und her. Beobachte die Wirkung auf deine Wirbelsäule. (1 Minute)

13. Drehung der Brustwirbelsäule

Kunal Joseph: Drehung der Brustwirbelsäule
Kunal-Joseph: Twist-Wirbelsäule

Lege deinen rechten Unterarm aus dem Vierfüßler am Boden ab und platziere deinen linken Handrücken auf dem Kreuzbein. Aus dieser Haltung beginnst du dich im Atemrhythmus behutsam zu bewegen: Einatmend hebst du die Schulter und den Blick, ausatmend senkst du die Schulter Richtung Boden und blickst zur anderen Seite. (8 Wiederholungen, dann Seitenwechsel)

14. Katze-Kuh mit Unterarm am Boden

Kunal-Joseph: Katze-Kuh auf Unterarmen
Kunal-Joseph: Katze-Kuh auf Unterarm

Lege jetzt beide Unterarme im Vierfüßler am Boden ab und beginne dann mit den gewohnten Katze-Kuh-Bewegungen: Einatmend hebst du Kopf und Sitzhöcker und lässt den Bauch sinken, ausatmend rundest du den Rücken nach oben. (1 Minute)

15. Dynamische Wirbelsäulenstreckung

Kunal Joseph: dynamische Wirbelsäulen Streckung
Kunal-Joseph-Dynamische-Wirbelsäulen-Streckung

Die Unterarme liegen weiterhin am Boden, aber nun verschränkst du die Finger und schiebst die Hände etwas weiter nach vorn. Strecke die Wirbelsäule, indem du Kinn und Sitzknochen hebst, dann senkst du den Kopf und ziehst das Becken langsam nach hinten in eine spürbare, aber noch angenehme Dehnung für Arme, Schultern und Rücken. (8 Wiederholungen)

16. Schwingende Brust- und Schultermobilisierung

Kunal-Joseph-Schulter-Brust-Mobilisation

Diese Bewegung mobilisiert nicht nur Brust und Schultern, sie stimuliert auch das Lymphsystem, denn in den Achseln gibt es eine Vielzahl an Lymphknoten. Du stehst aufrecht mit etwa hüftbreit gesetzten Füßen und deine Handflächen zeigen nach hinten, während du die Arme locker vor und zurück schwingst. (1 Minute)

17. Drehen mit schwingenden Armen

Kunal-Joseph-Drehen: Mobilisation

Aus derselben locker aufgerichteten Standhaltung beginnst du nun, den Oberkörper hin und her zu drehen. Dabei lässt du deine Arme völlig passiv schwingen, sodass sie sich in der Drehung wie Seile um den Körper schlingen. Füße und Becken gehen locker mit in die Bewegung. Wenn du die Augen schließt, kannst du Schwindelgefühle vermeiden. (1 Minute)

18. Fußgelenk-Dehnung im Stehen

Kunal-Joseph-Fußgelenk-Dehnung

Verlagere aus einem hüftbreiten Stand dein Gewicht auf das linke Bein. Strecke den rechten Fuß und lege den Fußrücken am Boden ab. Beide Knie sind leicht gebeugt, während du die Dehnung einige Sekunden lang wirken lässt. Dann wechselst du zur anderen Seite.

19. Kombinierter Nacken-Arm-Stretch 1

Kunal-Joseph-Nacken-Arm-Stretch

Strecke den rechten Arm leicht vom Körper abgewinkelt nach unten und beuge dabei das Handgelenk: Die Handfläche zeigt nach unten, der Handrücken zieht nach oben. Dann kippe deinen Kopf sanft in die entgegengesetzte Richtung, das linke Ohr sinkt zur linken Schulter, dabei ziehst du das Kinn leicht nach innen. Halte diese spürbare Dehnung einige Sekunden lang, dann löst du sie behutsam und gehst direkt zur nächsten Übung.

20. Kombinierter Nacken-Arm-Stretch 2

Kunal-Joseph: Nacken-Arm-Stretch 2

In der zweiten Variante streckst du den rechten Arm auf Schulterhöhe nach hinten und ziehst dabei die Finger zum Boden. Dann drehst du den Kopf locker nach links und kippst ihn nach vorn, das Kinn zieht Richtung Achsel. Zusätzlich kannst du die linke Hand auf den Hinterkopf legen und die Dehnung sanft verstärken. Auch hier hältst du die Dehnung wieder einige Sekunden lang, bevor du sie behutsam löst und Übung 19 und 20 auf der zweiten Seite wiederholst.


Kunal Joseph unterrichtet seit über 10 Jahren Yoga in München. Er ermutigt alle seine Schüler*innen, ihren eigenen Weg zu körperlicher, seelischer und emotionaler Gesundheit zu finden – unter anderem mit maßgeschneiderten Sequenzen für individuelle Bedürfnisse. Wenn du mehr über den Yogi erfahren möchtest, schau auf seiner Website oder auf Insta @kunaljosephyoga vorbei.


Lesetipp: Im YOGAWORLD JOURNAL 06/2024 findest du ein Interview, das wir mit Kunal zum Titelthema “Heimat” geführt haben. Er kam vor 13 Jahren von Nordindien nach Deutschland. Im Gespräch erzählt er, wie sich sein Verständnis von Heimat geweitet hat und was das mit Yoga zu tun hat. Hier geht’s zur Ausgabe:

Ayahuasca: Interview mit Nora Kersten über ihre transformierende Erfahrung

In der Yogaszene begegnen wir immer wieder Menschen, die begeistert von ihren Erfahrungen mit Ayahuasca berichten. Und natürlich gibt es zu psychedelischen Drogen aller Art unterschiedliche Meinungen. Ist Ayahuasca ein besorgniserregender Trend oder eine wertvolle Pflanzenmedizin? Handelt es sich um eine Abkürzung zur Erleuchtung? Oder um eine gefährliche Droge, die lieber mit Vorsicht zu “genießen” ist?

Interview & Text: Daniela Klemmer / Titelbild: Natalia Rodriguez

Wir wollen besser verstehen, worum es sich bei Ayahuasca handelt und haben uns mit der Schweizer Yogalehrerin Nora Kersten unterhalten. Nora hatte zwei Monate vor unserem Gespräch in Costa Rica an einem Ayahuasca-Retreat teilgenommen und dort zum ersten Mal diesen mysteriösen Pflanzensud eingenommen. Wir wollten aus erster Hand erfahren, wie eine Ayahuasca-Zeremonie abläuft, was sie bezwecken soll und vor allem, wie sicher die Einnahme dieses Trunks ist.

Disclaimer: Wir möchten neutral auf das Thema blicken und mit diesem Bericht niemanden ermutigen, den hierzulande illegalen Ayahuasca-Sud einzunehmen. Wir weisen darauf hin, dass eine Einnahme fatale Auswirkungen haben kann, insbesondere bei psychiatrischen Vorerkrankungen (z.B. Schizophrenie), in Kombination mit Medikamenten wie z.B. Antidepressiva, bei Herz- und Atemwegserkrankungen, Epilepsie oder wenn der Trunk in einem unsicheren Rahmen ohne medizinische und psychologische Betreuung eingenommen wird.

Was ist Ayahuasca?

Ayahuasca (übersetzt, “die Liane der Seele”) wird den Psychedelika zugeordnet. Es handelt es sich dabei um ein Pflanzengebräu, das i.d.R. aus zwei Bestandteilen besteht: der Ayahuasca-Liane (Banisteriopsis caapi) und dem Chakruna-Strauch (Psychotria viridis). Letzterer enthält den halluzinogenen Wirkstoff DMT (Dimethyltryptamin), weshalb Ayahuasca in Deutschland verboten ist. Die Ayahuasca-Liane enthält Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer), die die Wirkung von DMT im Körper verlängern. Traditionell wird Ayahuasca von indigenen Völkern im Amazonasgebiet für spirituelle und heilende Zeremonien genutzt.

Liebe Nora, wie kam es dazu, dass du dich entschieden hast, Ayahuasca auszuprobieren?

Gleich vorab: Der Weg dorthin war alles andere als einfach. Aber der Grund, warum ich überhaupt nach Costa Rica gegangen bin, war letzten Endes mein Bruder. Ich war die letzten Jahre eher im Kampf gegen ihn, denn wir hatten eine unglaublich schwierige Beziehung, auch schon in der Kindheit. Er hatte seit drei Jahren schon an Ayahuasca-Zeremonien teilgenommen und immer wieder versucht, mich mitzunehmen, doch ich habe mich immer gewehrt und ihn als verrückt empfunden. “Ich brauche das nicht. Ich brauche keine Heilung. Bei mir ist alles gut, ich mache ja Yoga.” Und mein Bruder daraufhin: “Ich sehe doch, dass du leidest. Bitte komm mit!” Das hat mich unglaublich getriggert. Ich hatte nur Vorurteile und dachte, er wollte mich reinziehen in so eine komische, abgespacede Drogenwelt…

Ich vermute, diese Vorurteile haben sicherlich viele gegenüber Ayahuasca oder Psychedelika im Allgemeinen. Aber was ist dann passiert?

Vor zwei Monaten stand ich an einem Punkt, wo ich dachte: “Es geht so nicht mehr weiter!” Ich drehte mich im Kreis und hatte immer wieder die gleichen Probleme. Ich hatte extreme Wutanfälle gegenüber meinem Mann, die – im Nachhinein – nie etwas mit ihm zu tun hatten, sondern die mir gespiegelt haben, dass ich etwas im Inneren habe, das ich heilen darf. Doch ich hatte immer ihn beschuldigt. Als ich an einem absoluten Tiefpunkt war, habe ich ausgerechnet meinen Bruder angerufen.

Und sein Rat war wieder: “Geh jetzt endlich und mach dieses Ayahuasca. Dein Mann hat nicht das Problem, das hast du.” Und wieder hat es mich getriggert, vor allem, dass er die Seite von meinem Mann eingenommen hat. Meine Entscheidung, Ayahuasca zu probieren, war eine Trotzreaktion: “Ich zeige es euch allen jetzt. Ich beweise euch jetzt, dass ich gar keine Arbeit brauche, sondern ihr!” Und ich bestand darauf, dass mein Mann mitkommt. Und da uns langsam die Karten ausgingen, wir hatten schon einige Therapien besucht, haben wir gemeinsam beschlossen, nach Costa Rica zu gehen.

Foto: Kamchatka via Canva

Es scheint ja schon so, dass es einen Hype um Ayahuasca gibt. Man hört zum Beispiel von Menschenmassen, die in die Ayahuasca-Hauptstadt Iquitos nach Peru pilgern, wo die ursprünglichen indigenen Rituale inzwischen ziemlich kommerzialisiert sind. Wie ist deine Einschätzung? Handelt es sich dabei um eine besorgniserregende Form von Drogentourismus, bei dem Menschen eher auf der Flucht vor der Realität sind?

Für mich persönlich ist Ayahuasca keine Droge, sondern definitiv eine Therapieform, eine pflanzliche Medizin. Und weißt du, wir Menschen können ja alles missbrauchen. Ob das Essen ist oder sogar die Yogapraxis. Jeder aus unserer Gruppe hatte eine Heidenangst und großen Respekt davor, Ayahuasca zu nehmen, aber alle hatten genauso wie ich das Gefühl, sie kommen anders nicht raus aus ihrem Lebensstrudel. Ich habe uns alle als Light Warriors und Light Workers gesehen und niemand dachte sich so, “yeah, ich hab jetzt den geilsten Trip meines Lebens.” Überhaupt nicht. Denn Ayahuasca gibt dir nicht den geilsten Trip deines Lebens. Im Gegenteil. Sie zwingt dich auf die Knie und zwingt dich dazu, genau da hinzuschauen, wo du all die Jahre zuvor nie hinschauen wolltest. Es ist also keine Realitätsflucht, sondern vielmehr so, dass sie dir deine Realität ohne Filter vor Augen hält, sodass du ihr nicht mehr entfliehen kannst. Dazu kommt, dass Ayahuasca nicht süchtig macht. Andernfalls hätte ich mich niemals darauf eingelassen.


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Wer hat die Zeremonie durchgeführt? Und vor allem, hast du dich sicher gefühlt und das Gefühl gehabt, dass der Raum gut gehalten wurde?

Ich habe mich noch nie in meinem Leben so sicher gefühlt, mit meinen größten Ängsten und dunkelsten Dämonen zu sein. Ich wurde extrem gut beobachtet, gehalten und unterstützt. Es waren 25-40 Helfer*innen dabei und mehrere Schamanen, die den Raum gehalten haben. Meine Gruppe war echt groß, so um die 70 Leute, aber man hat sich nie alleine gefühlt. Wenn ich mal nach Hilfe gerufen habe, war sofort jemand da. Meistens haben sie schon vorher gespürt, dass ich Hilfe brauchte. Es wurden teils Hilfsmittel genutzt wie Federn und Medizinmusik, um individuelle Prozesse zu unterstützen oder zu lösen, was man selbst nicht lösen konnte.

Außerdem gab es die ganze Zeremonie hindurch immer ein Medical Team mit Ärzten. Und mein Kontrollfreak-Geist brauchte das auch, immer diese Sicherheit zu haben. Ohne das wäre es ein Horrortrip geworden, das kann ich dir sagen! Denn das, was hochgekommen ist, war angsteinflößend.

Gab es hinterher auch eine psychologische Betreuung, um nochmal all das zu verarbeiten, was hochgekommen ist?

Es gab vor und nach jeder Zeremonie sogenannte “Integration Workshops”. Vorab wurden wir komplett darüber aufgeklärt, was mit uns passieren wird, wie wir reagieren werden und welche Gedanken und Herausforderungen kommen werden. Wir wurden ermutigt, jederzeit nach Hilfe zu fragen, wenn wir sie brauchen und nicht zu viel alleine auszuhalten. Und auch jeweils am Morgen nach der Zeremonie sind wir alle zusammengekommen und haben unsere Erfahrungen geteilt. Das hat sehr geholfen, alles noch besser verstehen zu können. Denn mit jeder Geschichte eines anderen hat auch meine eigene Geschichte mehr Sinn gemacht und so konnten wir auch kollektiv heilen.

Noch heute habe ich wöchentliche Live Calls mit meiner Gruppe und mit privaten Coaches. Denn die Erfahrung wirkt noch viele, viele Wochen und Monate nach. Es ist sehr wichtig, seine “Integration Work” zu machen, also das Erlebte ins tägliche Leben zu integrieren.

Foto: Monika Batich von Getty Images via Canva

Das freut mich, dass ihr so intensiv begleitet wurdet. Denn man hört immer wieder solche Horrorgeschichten und das macht einem ja total Angst…

Ja, ich habe auch Geschichten gehört von Menschen, die nicht so schöne Erfahrungen mit Ayahuasca hatten. Selbst in meinem nahen Umfeld war ich schockiert über einzelne Erfahrungen, bei denen entweder nicht genug Helfer*innen vor Ort waren oder wo es im Nachgang keinerlei Integration Work gab. Man sollte das wirklich ernst nehmen und gut aufpassen, wohin man geht. Es ist einfach das Wichtigste, gut begleitet zu werden: Die Vorarbeit, die Nacharbeit und währenddessen vor Ort. Denn die Erfahrung ist nicht die gleiche. Es ist zwar die gleiche Medizin, aber das ist nur ein Teil des Ganzen. Da spielen alle, die dich unterstützen, die dich mithalten, alle Gespräche, alle Sessions, die wir gemacht haben – Breathwork, Yoga, Meditation, die Integration Workshops – eine weitere riesengroße Rolle.

Weil du gerade Breathwork genannt hast: Auch hier können ja so tiefgreifende Prozesse angestoßen werden, was vielen Menschen vorab gar nicht bewusst ist. Und da habe ich auch schon selbst einige Erfahrungen gemacht, wo der Raum definitiv nicht gut gehalten wurde.

Ja, das stimmt auf jeden Fall. Auch im Yoga kommt manchmal so viel hoch und man kann als Yogalehrer*in den Raum alleine vielleicht gar nicht für so viele Menschen halten. Ich überlege deshalb zurzeit, die Anzahl meiner Ausbildungsteilnehmer*innen zu reduzieren oder ein größeres Team aufzubauen. Denn es ist so schön, sich sicher zu fühlen. Je mehr Helfer*innen, desto mehr Sicherheit können wir schaffen.

Wie war der Ablauf des Retreats? Wie oft habt ihr Ayahuasca eingenommen?

Es waren vier Zeremonien an vier aufeinanderfolgenden Nächten. Aber man könnte auch sagen, es war eine lange Zeremonie. Eine Reise, die dich immer tiefer gebracht hat und noch mehr Hüllen gelöst hat, um dich dorthin zu bringen, warum du schlussendlich gekommen bist. Aber bevor es überhaupt losging, gab es fast vier komplette Tage nur Vorbereitung, sodass man mit einem leichten Körper, aber auch mit dem richtigen Mindset in diese Zeremonien ging.

Wir haben immer abends nach Sonnenuntergang, also gegen 18/19 Uhr gestartet, das Ayahuasca eingenommen und dann ging das ungefähr bis 1/2 Uhr morgens. Die Wirkung hat dann langsam nachgelassen und wir sind meistens erst gegangen, nachdem die letzten von uns wieder zurück waren von ihrer “Reise”. Jede Zeremonie hatte ein bestimmtes Thema, eine Intention, mit der wir hineingegangen sind. Die grundlegende Intention war aber immer zu sagen: “Show me who I have become and merge me back with my soul. Heal my heart. (Zeige mir, wer ich geworden bin und verschmelze mich wieder mit meiner Seele. Heile mein Herz.)” Damit arbeite ich noch heute.

Einnahme und Wirkung von Ayahuasca

Ayahuasca wird typischerweise unter Anleitung eines erfahrenen Schamanen oder Zeremonienleiters in flüssiger Form eingenommen und hat einen intensiven, bitteren Geschmack. Die Dosis variiert je nach Zeremonie und Erfahrung der Teilnehmenden.

Wirkung: von Individuum zu Individuum unterschiedlich; meist starke Halluzinationen, eine veränderte Wahrnehmung der Realität, spirituelle oder transzendente Erfahrungen. Die Wirkung setzt meist nach 20-60 Minuten ein und kann 4-6 Stunden anhalten.

Physische Nebenwirkungen: Übelkeit, Erbrechen (sehr häufig; dies wird oft als reinigender Teil der Erfahrung angesehen), erhöhter Blutdruck, erhöhter Puls, Zittern, Schwindel, Durchfall.

Psychische Nebenwirkungen: Starke emotionale Erlebnisse, die zu Angst, Panik oder psychischen Krisen führen können. Prädisponierte Menschen mit einer Geschichte von psychischen Erkrankungen (z.B. Schizophrenie) sollten Ayahuasca daher unbedingt vermeiden.

Man spricht ja z.B. bei Kakaozeremonien von “Mama Cacao”. Hast du Ayahuasca auch als einen weiblichen Spirit wahrgenommen?

Für mich war sie auf jeden Fall weiblich. Ich habe mit ihr als “Mother Aya” gesprochen. Und sie hatte eine sehr sanfte Stimme und war einfach… (lacht) allwissend! Ich habe oft gedacht: “Warum weißt du all das? Warum zeigst du mir all das, was ich jetzt gerade eigentlich gar nicht sehen will?” Ich konnte sie spüren und ich konnte sie hören. Jeder erlebt das ja anders, aber ich hatte richtige Gespräche und Konsultationen mit ihr. Und sie hat mir auch beigebracht, den ganzen Prozess hindurch in meine weibliche Energie zu finden und wieder liebevoller mit mir selbst zu sein. Sie sagte mir wieder und wieder: “Please Nora, soften!” Denn ich war so im Kampf mit mir selbst.

Viele praktizieren ja Yoga, um dem Göttlichen näherzukommen. Würdest du Ayahuasca als einen Shortcut dorthin bezeichnen?

Sie zeigt dir definitiv, dass du Teil des Göttlichen bist und zwar instant. Ich war gar nicht darauf vorbereitet. In der ersten Nacht hat sie mir gezeigt, dass ich die Kreation von Gott bin, dass ich Teil von Gott und selbst göttlich bin. Als ich das gesehen habe, habe ich nur noch geweint. Das war ganz klar und ich kann es nicht mehr verneinen. Früher habe ich das gewusst, aber nicht gespürt. Und jetzt weiß es in meinem tiefsten Inneren, weil ich es erlebt habe. Wenn ich dich jetzt sehe, weiß ich, du bist auch eine Göttin. Denn im Inneren sind wir alle Kreationen Gottes und wir selbst sind Gott.

Foto: Iryna Khabliuk via Canva

Das wirklich zu erkennen kann einem erstmal auch Angst machen. Aber ich begegne anderen Menschen heute ganz anders. Ich habe erkannt, dass ich in jeder Sekunde meines Daseins auch Liebe kreieren kann, indem ich mich meinem Kern verbunden bin. Ich habe mich in mich selbst verliebt und weiß jetzt erst, was bedingungslose Liebe überhaupt bedeutet. Denn Liebe ist für mich nicht mehr an Bedingungen geknüpft und alle meine Anteile, gut wie schlecht, sind gleich viel wert. Ich fühle mich auch viel mehr mit der Menschheit, mit der Natur und mit Tieren verbunden. Ich bin zum ersten Mal verliebt in das Leben. Das ist so schön. Ich könnte auch gerade weinen, weil es mich so berührt, das aus meinem Herzen heraus aussprechen zu dürfen.

Du hast die Erfahrung ja auch mit deinem Mann zusammen gemacht. Was hat sich für dich auf privater Ebene verändert?

Einfach alles – zum Positiven! Wenn man so eine Arbeit macht, dann kann man gar nicht gleich bleiben. Es hat sich etwas in meinem Gehirn verändert, ich denke anders, ich fühle anders. Ich bin einfach diese aufgewachte Version von mir. Ich spüre, dass ich niemandem mehr Leid zuführen kann und werde, denn das ist mein Leid. Und wenn ich liebe, dann weil ich selbst diese Liebe in mir erkannt habe. Unsere Kinder spüren das. Sie sagen, “Mama, du schreist ja gar nicht mehr.” Und ich will gar nicht verteufeln, wie ich vorher war, denn das war die beste Version von mir damals. Ich kannte einfach nichts anderes und diese Seite von mir war auch ein Teil von meinem Weg. Wäre dieser Schmerz nicht so groß gewesen, hätte ich auch nie etwas daran geändert.

Ich verwende meine Worte heute ganz vorsichtig, denn jedes Wort hat unglaublich viel Energie. Klar gibt es noch Dinge, die mich im Alltag triggern. Aber ich gehe nicht mehr direkt in die Reaktion, in die Wut, sondern ich gehe in mich und reflektiere, was unter meiner Wut verborgen liegt. Ich freue mich darauf, diese innere Arbeit weiterzumachen und mein neues Wissen zu integrieren. Und auch schwierige Menschen, die in mein Leben kommen, als Einladung zu sehen, etwas auflösen zu können und in die Verbindung zu kommen. Es ist so spannend zu erkennen, dass das alles nichts mit dem Gegenüber zu tun hat, sondern dass wir alles, was wir fühlen und sehen, nur durch unsere eigene Brille wahrnehmen. Übrigens: Auch die Beziehung zu meinem Bruder ist heute so gut wie sie noch nie war.

Man sagt ja, der innere Weg geht immer weiter und man ist nie wirklich “fertig”. Aber spannend, was sich da alles bei dir aufgetan hat! Und du bist ja durch Yoga sicher schon lange auf dem inneren Weg…

Alles, was ich in meinem Leben jemals vorher gemacht habe, war eine Unterstützung und Vorbereitung für das, was mir in diesem Ayahuasca-Retreat gezeigt wurde. Alle Therapien mit meinem Partner, aber vor allem auch mein 16-jähriger Yogaweg ist unterstützend gewesen. Ich glaube, dass ich dadurch alles tiefer wahrnehmen konnte und Purusha, die Seele in mir, wirklich finden konnte. Vorher war das für mich nur ein Konzept, an das ich geglaubt habe, weil ich daran glauben wollte.

Ich bin auch nicht durch Zufall Yogalehrerin geworden. Ich wusste schon immer, dass der einzige Weg nach innen führt, um das zu erfahren, was ich erfahren möchte. Ich habe es schon immer geahnt, aber jetzt weiß ich es. Dieses Wissen wird mir bis zum Lebensende erhalten bleiben und das möchte ich auch an meine Schüler*innen weitergeben, damit sie auch erkennen, dass da noch mehr ist.

Und stell dir mal vor, was wäre das für eine Welt, wenn wir alle das erkennen könnten?

Das wäre eine erwachte Welt. Jeder würde erkennen, dass wir alle Teil des Ganzen sind und dass jeder seinen Teil dazu beiträgt. Auch wenn wir gar nicht wissen, was dieser Teil ist. Das müssen wir auch gar nicht verstehen, sondern einfach mit dem Herzen fühlen.

Und es gibt heutzutage leider viele Menschen, die einfach nicht mehr weiter wissen. Die Zahl der Menschen, die zum Beispiel an Depressionen erkranken, steigt und steigt …

Oh ja. Ich habe auf dem Ayahuasca-Retreat viele Menschen kennen gelernt mit Depressionen oder Suizidgedanken, die gesagt haben, sie wollen so nicht mehr weiterleben. Bei ihnen war das Leid so groß, dass sie dachten, sie würden lieber sterben, als für immer im eigenen Leben, im Gefängnis der eigenen Gedanken und Gefühle gefangen zu bleiben. Und die kamen raus wie kleine Kinder! Das war extrem berührend zu sehen, wie diese Menschen wieder in die Liebe gekommen sind und realisiert haben, wie wertvoll sie selbst und ihre Leben sind. Es hat mir sehr viel Hoffnung gegeben, dass es möglich ist, aus der Dunkelheit, in der man vorher gefangen war, wieder herauszukommen.

So sieht eine Ayahuasca-Liane im Querschnitt aus … Foto: eskymaks von Getty Images via Canva

Es gibt dazu ja schon viele spannende Entwicklungen. Immer mehr werden Psychedelika – und speziell auch Ayahuasca – von der Medizin erforscht, um gezielt Krankheitsbilder wie z. B. Depressionen oder PTBS zu behandeln.

Das ist beeindruckend, vor allem da man dann auch einen sicheren Rahmen und eine Begleitung bekommt und die richtige Dosis… Man sagt, eine Ayahuasca-Retreat-Woche ist wie zehn Jahre Psychotherapie. Ich habe das Gefühl, es waren mehr. Denn ich bin bis zum meinem zweijährigen Ich zurückgekommen und bin dort geheilt. Und heute gehe ich ganz anders durchs Leben. Ich bin so dankbar, dass diese Pflanze mir den Weg gezeigt hat.

Danke Nora, dass du deine persönlichen Erfahrungen so ehrlich mit uns geteilt hast. Und dass auch bei dir nicht immer alles perfekt ist im Leben. Man sieht auf Social Media ja meistens nur die Highlights von einer Person…

Diese Maske, die man sich aufsetzt, gilt dem reinen Überleben. Ich hatte Angst, dass wenn ich den Leuten zeige, wer ich wirklich bin und nicht dem Bild einer perfekten Yogalehrerin entspreche, dann will doch niemand eine Ausbildung bei mir machen. Aber eigentlich will man doch so sein wie man ist, denn die Seele ist nur dann frei. Wenn man nicht lügt, wenn man ehrlich sein kann. Aber man hat solche Angst, dass man verurteilt wird, dass man nicht geliebt wird, dass man nicht wertgeschätzt wird, nicht gebucht wird, was auch immer. Ich war früher so darin gefangen, was andere über mich denken. Aber jetzt konnte ich ich diese Ängste loslassen. Denn ich perfekt so wie ich bin, ohne das arrogant klingen zu lassen. Wir sind alle perfekt genau so wie wir sind.


Ehrliches Update nach 9 Monaten

Liebe Nora, inzwischen liegt deine Ayahuasca-Erfahrung etwa neun Monate zurück. Was hat sich für dich verändert? Gab es im Nachgang auch Herausforderungen?

Ayahuasca hat in mir viele Türen geöffnet – Türen, die ich als Kind unbewusst verschlossen hatte, weil ich damals nicht die Möglichkeit oder die Kraft hatte, das Erlebte zu verstehen. Heute fühlt es sich so an, als würde ich Raum für Raum betreten und dem kleinen, verletzlichen Kind begegnen, das ich einmal war.

Diese Türen stehen jetzt offen – alle auf einmal – und das bringt neben tiefer Erkenntnis auch große Herausforderungen mit sich. Ich sehe heute deutlicher, wie viele Themen und alte Wunden noch in mir wirken. Das alles anzuschauen, anzunehmen und zu integrieren, fordert mich immer wieder sehr und braucht viel Geduld und Mitgefühl mit mir selbst.

Was hat dir geholfen, wieder mehr Stabilität zu finden?

Während der Zeremonien habe ich mich sehr gut gehalten und unterstützt gefühlt. Nach meiner Rückkehr war ich dankbar für die Möglichkeit, weiterhin an Live-Calls teilzunehmen – gerade in den ersten Wochen hat mir das Halt gegeben.

Doch ich habe schnell gespürt, dass ich darüber hinaus zusätzliche Unterstützung brauche, um mich wirklich sicher und stabil zu fühlen. Deshalb habe ich mir bewusst therapeutische Begleitung gesucht und mir in meinem Umfeld Menschen an meine Seite geholt, bei denen ich mich verstanden und gehalten fühlen kann. Dieses bewusste “Support-System” hilft mir, auch die tieferen Prozesse aufzufangen, die nicht mit einem Mal abgeschlossen sind.

Was denkst du heute über Ayahuasca? Bereust du deine Erfahrung?

Es gab ehrlich gesagt Momente, in denen ich meine Entscheidung in Frage gestellt habe – vor allem, als ich nach der Erfahrung mit starken Ängsten und Panikattacken konfrontiert war. In diesen Momenten war die Angst so überwältigend, dass ich kaum glauben konnte, jemals wieder in innere Ruhe zurückzufinden. Und doch: Heute kann ich sagen, dass ich meine Ayahuasca-Erfahrung nicht bereue. Keine einzige Erfahrung in meinem Leben möchte ich missen. Ich glaube zutiefst daran, dass sie – gerade in ihrer Tiefe und Intensität – Teil meines Weges und meines inneren Wachstums ist.

Was wäre dein Rat an andere Menschen, die Ayahuasca gerne ausprobieren möchten?

Menschen, die überlegen, Ayahuasca zu erleben, würde ich von Herzen raten, sich sehr ehrlich und achtsam zu fragen, ob sie innerlich bereit sind – mit allem, was dadurch geöffnet werden könnte. Es ist wichtig zu wissen, dass jede Reise individuell ist. Mein Mann zum Beispiel hat Ayahuasca ebenfalls erlebt, aber seine Erfahrung war viel stabiler und freier von Ängsten als meine. Das zeigt mir, wie sehr die eigene Geschichte, innere Stabilität und Sensibilität die Tiefe und Wirkung dieser Erfahrung prägen können.

Was ist dein persönliches finales Fazit?

Was ich heute, etwa neun Monate später, sehr klar sehe: Es ist unglaublich wichtig, sich bewusst zu machen, dass die eigentliche Arbeit erst nach der Zeremonie beginnt. Ayahuasca öffnet Türen, aber durch sie hindurchzugehen und das, was man darin findet, zu integrieren, braucht oft langfristige Begleitung. Ich glaube, viele – so wie auch ich – erhoffen sich durch die Einnahme von Ayahuasca Heilung. Doch die wahre Heilung geschieht erst, wenn wir das, was Ayahuasca uns zeigt, wirklich in unser tägliches Leben holen.

Heute spüre ich, dass die Pflanze mit einer unfassbaren Intelligenz wirkt. Ich glaube, sie hat in mir so kraftvoll gewirkt, weil sie wusste, dass die Versuchung groß wäre, in alte Muster zurückzufallen – und sie wollte sicherstellen, dass genau das nicht passiert. Sie hat mich sinnbildlich auf die Knie gezwungen, damit ich wirklich hinschaue, meine Wahrheit anerkenne und beginne, die Versprechen, die ich mir selbst während der Zeremonien gegeben habe, auch zu leben. Diese Tiefe war schmerzhaft, ja – aber zugleich eine große Gnade.

Ich selbst habe mir ein kleines, liebevolles “Support-System” geschaffen – ein Team aus Menschen, die mich auf diesem Weg begleiten, mal näher, mal mit mehr Raum, sodass ich auch Zeit habe, die Themen in meinem eigenen Tempo zu verarbeiten. Diese kontinuierliche, achtsame Begleitung gibt mir heute die Kraft, weiterzugehen, Vertrauen zu entwickeln und die tiefe Heilungsreise, die Ayahuasca angestoßen hat, wirklich in mein Leben zu integrieren.


Dieses Bild ist während Noras Costa Rica-Reise entstanden. Was für ein Strahlen! Foto: Natalia Rodriguez

Nora Kersten, auch als “Yoga Nora” bekannt, lebt und atmet Yoga mit jeder Faser ihres Wesens. Die gebürtige Albanerin ist zweifache Mama und lebt mit ihrer Familie in der Schweiz, wo sie aufgewachsen ist. Sie arbeitet als Yogalehrerin, gibt regelmäßig Retreats und Workshops und bildet seit 2018 auch selbst Yogalehrende aus. Erfahre mehr über Nora auf ihrer Webseite www.yoganora.ch und auf Insta @yoga_nora


Für unseren YogaWorld Podcast hat Nora diese wunderschöne Chakra-Meditation aufgenommen:

“Guide Yourself Home”: 4-Wochen-Challenge mit Daniela Mühlbauer – Modul 1. Grounding

Daniela Mühlbauer - zu Hause

Der Lärm des täglichen Lebens kann sehr einnehmend sein und die leise Stimme des Herzens übertönen. Jetzt ist die beste Zeit, um still zu werden und dich auf eine Reise in dein inneres Zuhause zu machen. Unser ganzheitliches Übungsprogramm für das Jahresende begleitet dich in vier Phasen und hilft dir, dich wieder mit dir selbst, deinen Herzenswünschen und deiner Vision zu verbinden.

Text & Programm: Daniela Mühlbauer / Fotos: Sonja Netzlaf / Outfits: OGNX & Privat

Vor einiger Zeit habe ich mir ganz bewusst eine Auszeit von meinem Alltag genommen, um mich wieder zurück zu verbinden mit mir selbst, meiner Energie und meinem Dharma also all dem, was mich im tiefsten Inneren ausmacht und meinen Weg bestimmt. Ich hatte das Glück, dass ich dafür vier Wochen lang weit weg, in Thailand, sein konnte. In der Ruhe und Abgeschiedenheit dieser Zeit kamen die vier Module, die im Laufe dieser Artikelreihe vorgestellt werden, ganz von selbst zu mir. Sie halfen mir, mich auszurichten, zu reflektieren, neue Impulse zu setzen und tiefer liegende Seiten an mir zu entdecken.

Aber zugleich bin ich davon überzeugt: Für all das muss man nicht weg fliegen und alles Gewohnte hinter sich lassen: Eigentlich geht es sogar genau darum, mitten in dem, was dein Leben hier und jetzt ausmacht, diese inneren Räume zu finden – denn dein Leben ist immer hier und jetzt und dein wahres Zuhause liegt in dir selbst. Deshalb habe ich gemeinsam mit meiner Schwägerin, der Reiki- Meisterin Veronika Dischinger, weiter an diesem Thema geforscht, ich habe mit Gruppen gearbeitet und heraus kam schließlich ein holistisches Übungsprogramm, dem ich den Namen “Guide Yourself Home Journey” gegeben habe.

Es bringt uns im ersten Modul zunächst in die Ruhe und Erdung, bevor wir im zweiten Modul innerlich und äußerlich aufräumen und Platz schaffen. Im dritten Modul werden wir wieder Verbindung zu unseren Herzenswünschen und unserer Vision finden. Und im letzten Teil integrieren wir das alles und legen den Grundstein für neue Routinen, die uns helfen, nachhaltig unserem Dharma zu folgen.

So gehst du vor

Daniela Mühlbauer: zu Hause
Geh mit Daniela Mühlbauer auf die “Guide Yourself Home Journey

Wenn es dir möglich ist, solltest du dir für jedes Modul eine Woche Zeit nehmen, aber natürlich kannst du auch weniger oder mehr Zeit mit den einzelnen Themen verbringen. Wichtig ist: Versuche, dich während deiner Reise zu dir selbst jeden Tag mindestens eine Stunde lang zurückzuziehen, am besten natürlich mehr. Schenke dir selbst diese Zeit und diesen Raum und gestalte sie ganz bewusst. Versuche außerdem, die Fragen und Themen, aber auch die Gefühle und Körperempfindungen, die dich dabei beschäftigen, mit durch den Tag zu nehmen.

Dein wichtigster Begleiter neben deiner Yogamatte ist in dieser Zeit ein Tagebuch. Keine Angst: Du musst keine druckreifen Romane schreiben. Es geht nur darum, das, was dich bewegt und was sich entwickelt, auch physisch festzuhalten, sei es nun in Form von Sätzen, Stichworten, Mindmaps, Zeichnungen oder auch Sprach-Memos. Dabei helfen dir die Journaling-Fragen zum jeweiligen Thema.

Überlege zum Abschluss eines Moduls auch immer wieder: Was waren Herausforderungen? Was hat mir geholfen? Was nehme ich mit? Die Praxis selbst kannst du ganz individuell gestalten, es ist ja deine ganz persönliche Reise. Im folgenden findest du jede Menge Tipps und Anregungen für die einzelnen Module.

Außerdem habe ich extra für dich diese Videos für passende Übungssequenzen aufgenommen. Ich wünsche dir eine wunderbar erfüllende Reise – komm gut nach Hause!

Modul 1 – Grounding

“Ich bin getragen und gehalten.”

In unserer schnelllebigen Zeit steigt uns die Energie oftmals wortwörtlich zu Kopf. Dabei kann sich das Gefühl einstellen, den Boden unter den Füßen zu verlieren: Wir sind nervös, gestresst oder schlafen schlecht. Erdung schenkt uns ein Gefühl von Stabilität, Vertrauen und Verbundenheit – und die Gewissheit, im Leben sicher getragen zu sein.

Deine Yogapraxis:

Daniela Mühlbauer - erdende Yogapraxis

Unser Ziel ist es, die Apana-Energie, unsere erdende Kraft, zu spüren und zu aktivieren. Diese Erdung bildet die Grundlage für alles Weitere, denn wir können nur so weit nach oben wachsen und uns im Raum entfalten, wie wir nach unten hin verbunden sind.

• Regelmäßigkeit: Etabliere eine regelmäßige Morgenpraxis mit Pranayama und erdenden Übungen. Mein Vorschlag: ein Flow aus Stellung des Kindes, Fersensitz, herabschauendem Hund und der Goddess Pose mit Qi-Gong-Atmung.

• Langsamkeit: Bleibe in jeder Asana mindestens fünf Atemzüge lang, um die Haltung bewusst zu spüren und dich darin zu erfahren.

• Verwurzelung: Achte dabei besonders auf deine Kontaktpunkte zum Boden, deine Füße, die Sitzfläche, deine Hände. Besonders eignen sich kraftvolle Stehhaltungen und Vorwärtsbeugen im Sitzen.

Asana-Spotlight: Qi-Gong-Atmung in Goddess Pose

Daniela Mühlbauer - Atmung Goddess Pose

Stell dich in eine Grätsche mit leicht nach außen zeigenden Füßen und strecke die Arme mit einer Einatmung V-förmig nach oben. Spüre dich in dieser kraftvollen Position, finde Länge bis in die Fingerspitzen, verankere dich aber vor allem mit den Füßen fest am Boden (Padha Bandha). Mit der Ausatmung beugst du die Knie und führst die Hände vor dem Körper Richtung Boden. Stell dir vor, wie du dabei Energie über die Beine in den Boden leitest. Mit der Einatmung hebst du die Arme wieder mit nach oben zeigenden Handflächen, streckst die Beine und führst die Energie dabei von unten nach oben. So entsteht ein Kreislauf und die Energie kann ins Fließen kommen. Wenn du möchtest, kannst du die Fersen wie auf dem Foto heben und dich bewusst nur über Ballen und Zehen am Boden verwurzeln. (10–15 Runden)

Pranayama-Tipp: Tiefe Bauchatmung mit verlängerter Ausatmung

Setz dich aufrecht und lege die Handflächen auf Knie oder Bauch. Atme über die Nase ein und aus. Sende den Atem bis tief nach unten in den Bauch und lasse die Bauchdecke locker mitschwingen. Nach einer Weile beginnst du, bei den einzelnen Atemzügen die Dauer zu zählen und verlängere dann bei jeder Runde die Ausatmung um einen Zähltakt. Das hilft deinem Nervensystem, zu entspannen, und du findest zur Ruhe.

Schritt für Schritt:

Bei einem achtsamen Spaziergang oder einer Gehmeditation in der Natur kannst du die Erdung nicht nur in der Bewegung erfahren, du bist auch in viel direkterem Kontakt zu Mutter Erde und findest im wahrsten Sinn “den Boden unter deinen Füßen” wieder. Geh am besten allein und lass dir auch hier viel Zeit, um zu spüren und dich bewusst zu verbinden.

Daniela Mühlbauer- Journaling
  • Was bedeutet Erdung für mich?
  • Wie fühlt sie sich für mich an?
  • Was hilft mir dabei, in die Erdung zu kommen?

Weiter geht es mit Modul 2.


Daniela Mühlbauer ist Advanced Yoga Teacher, Tanzkünstlerin und Sozialpädagogin. Sie bildet angehende Yogalehrer*innen aus und veranstaltet Workshops und Retreats für Vinyasa-Yoga und Yoga Flow Dance. Zudem ist sie als Dozentin für kulturelle Bildung und Tanzpädagogik an der Hochschule München tätig. Ihre Angebote für Yoga- und Tanzstunden findest du auf ihrer Website.

#130 Wechselwirkung von Körper und Psyche: Die heilsame Wirkung von Yoga verstehen – mit Karla Stanek

Einblicke in die Psychosomatik und die Kraft des bewussten Körpergefühls im Yoga

In dieser Folge „YogaWorld Podcasts“ dreht sich alles um das faszinierende Zusammenspiel von Körper und Psyche und die Frage, warum Yoga auf beiden Ebenen so tiefgreifend wirkt. Hostin Susanne spricht mit Yogatherapeutin und Heilpraktikerin Karla Stanek über die subtilen, aber kraftvollen Wechselwirkungen, die uns helfen, emotionale Blockaden zu lösen und eine psychische Balance zu fördern. Gemeinsam erkunden sie, wie Emotionen im Körper gespeichert werden und wie wir durch körperliche Praxis an diese herankommen und so zu mehr Ausgeglichenheit finden können.

Karla beleuchtet, wie die bewusste Wahrnehmung des Körpers, etwa in bestimmten Asanas oder Atemtechniken, direkte Auswirkungen auf unsere mentale Verfassung hat. Sie geht darauf ein, wie Embodiment – also die Verkörperung von Empfindungen – uns dabei hilft, unser Selbst besser wahrzunehmen und heilsame Prozesse anzustoßen. Auch die Rolle der Yogaphilosophie wird thematisiert: Konzepte wie Ahimsa (Gewaltlosigkeit) und Santosha (Zufriedenheit) bieten praktische Ansätze, um innere Stabilität und Wohlbefinden zu fördern.

Wenn du erfahren möchtest, wie du mit Yoga die Verbindung zu deinem Körper stärkst und dich mental ausgeglichener fühlst und auch wissen willst, warum das so ist, dann ist diese Folge genau richtig für dich. Lass dich inspirieren und finde heraus, wie du deine Yogapraxis nutzen kannst, um Körper, Geist und Seele nachhaltig in Einklang zu bringen.

Den Körper lieben lernen – 3 Übungen für mehr Körperwahrnehmung

Dein Körper ist ein Partner fürs Leben – ihr werdet für den Rest eures irdischen Daseins miteinander auskommen müssen. Wäre doch schön, wenn dieses Zusammenleben möglichst friedlich ablaufen würde, nicht wahr? YOGAWORLD JOURNAL Redakteurin Carmen Schnitzer hat für dich drei Übungen für mehr Körperwahrnehmung und Selbstliebe.

3 Übungen für mehr Körperwahrnehmung und Selbstliebe

Was in einer Liebesbeziehung sinnvoll ist, kann dir auch bei deiner Körperwahrnehmung helfen: aufhören, Dinge für selbstverständlich zu nehmen, die der oder die andere für uns tut, und sich stattdessen in Dankbarkeit zu üben. Dazu ein paar kleine Vorschläge:

Mehr zum Thema Körperwahrnehmung und Schönheitsideale in der Podcast-Folge

Übung 1

Schreib eine Woche lang (gerne auch länger) abends mindestens drei Dinge auf, die dein Körper heute für dich geleistet hat. Haben dich deine Beine durch den Park getragen? Hat dich deine Nase dabei den Duft von Lindenblüten oder frisch gemähtem Gras wahrnehmen lassen, haben dich deine Augen erkennen lassen, woher der Duft kommt? Haben deine Hände abends Gemüse geschnitten, hast du dank deiner Zunge später das leckere Curry geschmeckt? Hat deine Haut dich das seidige Fell deiner Katze spüren lassen? Haben deine Ohren angenehmer Musik gelauscht?

Übung 2

Jetzt denk mal zurück: Welche großen, aufregenden Dinge habt ihr gemeinsam schon erlebt, dein Körper und du? Hast du ein Kind geboren oder vielleicht sogar mehrere? Hast du eins gezeugt? Habt ihr gemeinsam eine schwere Krankheit überstanden? Habt ihr nach langer Zeit wieder einen geliebten Menschen im Arm gehalten und hat dabei dein Herz geklopft wie verrückt? Bist du durch einen Hochseilgarten geklettert, hast du auf einer Bühne gestanden oder einen Berg erklommen? Was auch immer dir einfällt, schreib auch das auf und mach es dir so richtig bewusst. Wenn du etwas nachdenkst, kommt da ganz schön was zusammen, nicht wahr? Würdest du einen Freund, mit dem du schon so viel erlebt hast, ständig für seine lichter werdenden Haare, sein Bäuchlein oder seine krummen Beine kritisieren oder dich lieber freuen, dass du ihn hast, und ihn einfach möglichst gut behandeln? Eben. Vielleicht hast du nach diesen Überlegungen auch Mut gefasst für unsere dritte Übung, die ein bisschen herausfordernder sein mag:

Noch mehr Embodiment Tipps – das könnte dich auch interessieren…

Übung 3

Stell dich nackt oder in Unterwäsche vor einen Spiegel und zähle auf, was du siehst – ohne es zu bewerten! So, als seist du ein neugieriger, liebevoller Alien, der zum ersten Mal einen Menschen sieht und noch keine Vergleichsmöglichkeiten hat. Für den jede Falte, jedes Fettpolster, jeder Knochen einfach spannende Elemente sind, die es zu entdecken gilt, so wie Bäume oder Hügel in einer Landschaft. Ganz schön aufregend, oder?

Text: Carmen Schnitzer / Bild: Priscilla du Preez via Unsplash


Den ganzen Beitrag zum Thema Körper und mehr Selbstliebe findest du in der YOGA JOURNAL Ausgabe Nr. 81

Dies.Das.Asanas mit Jelena Lieberberg – Der Päckchen-Handstand

Jelena Lieberberg: Päckchen-Handstand

Ein freier Handstand, der dir sogar Zeit lässt, deine Beine anzuwinkeln – von so viel Körperbeherrschung träumen die meisten von uns. Unsere Kolumnistin hält dagegen: “Probieren hilft!” Eine stützende Wand und konsequenter Kraftaufbau auch. Und nicht zu vergessen: viel spielerische Neugier.

Text: Jelena Lieberberg / Foto: Theresa Bartmann

Auf den Händen zu stehen wirkt immer so, als würde man der Schwerkraft einen Streich spielen. Schließlich tragen uns sonst, Tag ein, Tag aus, unsere Füße. Schon seit unserem ersten Lebensjahr, als wir Laufen gelernt haben, denken wir nicht mehr groß darüber nach und sehen das Stehen und Gehen als selbstverständlich an. Erst als ich mir letztes Jahr den Fuß brach und sechs Wochen lang nicht auftreten durfte, wurde mir klar, wie dankbar ich doch für jeden Schritt bin, den ich gehen darf. Ich war fast ein bisschen neidisch auf alle, die einfach so auf beiden Füßen gehen konnten.

Immerhin konnte ich auch während dieser Zeit manchmal auf meinen Händen stehen – und ich muss sagen: Dieses Üben hat mir sehr viel Lebensfreude geschenkt. Und auch Hoffnung. Denn für mich ist Adho Mukha Vrikshasana, der “herabschauende Baum”, wie der Handstand im Yoga heißt, viel mehr als einfach nur irgendeine fordernde Asana. Handstand-Üben heißt für mich: geballte Konzentration, ein Ausdruck von Liebe zum Detail und die Bereitschaft dazu, die Welt ab und zu auf den Kopf zu stellen – ein heilsamer Perspektivenwechsel, der uns aus dem Alltags-Tunnelblick herausholt und uns wieder eine frische, liebevolle, neugierige Sichtweise auf uns und die Welt schenken kann.

Macht das Spaß?

Auf jeden Fall! Du musst ja nicht im Freien zwischen Orangen und Zitronen (wie auf dem Foto) balancieren, sondern kannst daheim an einer Wand üben. Aber Achtung: Handstand üben kann süchtig machen, Endorphine frei setzen und das Gemüt erheitern.

Muss ich das können?

Nein. Aber wie immer gilt: Probieren hilft. Wer nicht überzeugt ist, darf staunen und träumen.

Was muss ich dafür tun?

Vor der Handstandpraxis sollten wir in jedem Fall unsere Gelenke aufwärmen, vor allem Handgelenke und Schultern. So bereiten wir sie auf die ungewöhnliche Belastung durch das eigene Körpergewicht vor. Sonnengrüße helfen, den Kreislauf in Schwung zu bringen, zusätzlich ist es eine gute Idee, die Beinrückseiten aufzuwärmen, da diese bei den Kick-ups in den Handstand in Anspruch genommen werden. Für alle Handstand-Neulinge ist erst mal der Kraftaufbau zentral: Der herabschauende Hund zum Beispiel kann uns lehren, den Schultergürtel zu stabilisieren und uns aus den Schultern nach hinten zu schieben. Core-Übungen helfen dabei, im Zentrum stabil zu bleiben.

Jelena Lieberberg: Päckchenhandstand
Wusstest du, dass der Handstand in der übersetzten Sanskrit-Bezeichnung “Herabschauender Baum” und auf Französisch “Poirier” (Birnbaum) heißt? Diese mallorquinischen Zitronen- und Orangenbäume wachsen jedenfalls nach oben …

Step by Step

1. Übe diesen Handstand zu Beginn mit dem Rücken zu einer Wand. Dazu setzt du deine Hände im Vierfüßlerstand etwa eine Handbreit vor der Wand mit schulterbreitem Abstand auf. Spreize die Finger und richte deinen Blick zwischen die Hände.

2. Aktiviere bewusst deine Arme und Schultern und schiebe dich kraftvoll nach oben, wenn du nun die Knie hebst, dich auf die Zehenspitzen stellst und deinen Schwerpunkt auf Hände und Schultern verlagerst.

3. Stoße dich mit einem Fuß ab und schwinge beide Beine nach oben in den Handstand mit dem Rücken zur Wand.

4. Wenn du die Füße an der Wand anlehnst, passiert es leicht, dass die Wand dich in ein Hohlkreuz zieht, was Alignment und Balance deutlich erschwert. Um beides zu erleichtern, beugst du beide Knie und gleitest mit den Zehen an der Wand entlang nach unten.

5. Lass dabei Knie und Füße zusammen, schiebe dich aus den Schultern heraus nach oben und strecke deine Hüften so weit, wie es mit den gebeugten Knien möglich ist. Bleibe eine Weile in dieser Position und atme – ein wichtiges Detail, denn Luft anzuhalten ist kontraproduktiv.

Variante für Handstand-Cracks: Kicke freistehend in den Handstand und ziehe auch hier die Knie zu einem Päckchen an.


JELENA LIEBERBERG ist Osteopathin und Yogacoach in Berlin. Ihre eBooks, Retreats und Workshops findest du unter kickassyoga.com oder besuche Jelena auf Insta @kickassyoga.


Lust auf noch mehr Balance-Haltungen, aber auf den Füßen? In ihrer letzten Kolumne zeigte dir Jelena die Tip Toe Pose:

#129 Energieerweckung in Balance: Fortgeschrittenes Pranayama für neue Tiefen deiner Yoga-Praxis – mit Susanne Mors

Erlebe die transformative Wirkung von Kapalabhati, Wechselatmung und Bhastrika in einer intensiven Pranayama-Praxis

Entdecke die Kraft der fortgeschrittenen Pranayama-Praxis mit unserer Gastgeberin Susanne Mors im YogaWorld Podcast und lass dich auf eine energetische Reise zu mehr Klarheit und Harmonie ein. Diese Praxis, inspiriert von der Sivananda-Tradition und perfekt für erfahrene Yogi*nis, verbindet Atemtechniken und energetische Übungen, die tief in Körper und Geist wirken. Susanne führt dich Schritt für Schritt durch ihre Lieblings-Pranayama-Sequenz im Yoga Vidya-Stil, begleitet von kraftvollen Bija-Mantras, Affirmationen, Yantras, Mudras und Bandhas, die deinen Energiefluss anregen, lenken und Blockaden lösen.

Die Session startet mit einem Schutz-Mantra und dreimaligem “Om” – ein sanfter Übergang in den meditativen Zustand, der dich optimal auf die Praxis vorbereitet. In den ersten Übungen vertiefst du dich in Kapalabhati, die reinigende “Schädelglanz-Atemtechnik”, die deinen Körper mit frischer Energie auflädt. Anschließend führt dich Susanne durch die Wechselatmung (Nadi Shodhana), die du in insgesamt 20 Runden übst. Die Praxis beginnt im Rhythmus 4:16:8 und wird später auf 5:20:10 erweitert – ein herausforderndes, aber äußerst harmonisierendes Tempo, das dir hilft, den Energiefluss der linken und rechten Körperseite auszugleichen.

Den Höhepunkt der Praxis bildet eine der acht Mahakumbhakas, die Bhastrika-Atmung (“Blasebalg-Atmung”). Sie wirkt sehr stark energetisierend und kann die Kundalini-Energie erwecken sowie die Granthis (Energieblockaden) durchstoßen.

Zum Ausklang lädt Susanne dich ein, Viparita Karani (eine umgekehrte Haltung) einzunehmen, um den Energiefluss im Körper auszugleichen und sanft abzurunden. Diese fortgeschrittene Pranayama-Praxis ist eine Gelegenheit, tief in dein Inneres einzutauchen und dich mit der Kraft deines Atems zu verbinden. Lass dich von Susannes klarer Anleitung führen und entdecke eine neue Dimension deiner Yogapraxis. Setze dich bequem hin, schließe die Augen und begib dich auf eine transformative Reise – Namaste!

Fragen, Anregungen, Kritik oder einfach Kontaktaufnahme? Schreib gerne eine Email an Susanne: susanne@mors.de und/oder folge ihr auf Instagram: @yogasahne

Hier geht’s zur dreiteiligen Praxisreihe Pranayama für Anfänger*innen zum Vorüben:

Pranayama 1: https://yogaworld.de/25-praxisreihe-einfuehrung-in-pranayama/

Pranayama 2: https://yogaworld.de/33-praxisreihe-pranayama-ii/

Pranayama 3: https://yogaworld.de/42-praxisreihe-pranayama-iii/