So wirkt Yoga gegen Ängste

Meditation Mitgefühl

Angstzustände und Panikattacken sind ein riesiges Thema unserer Zeit. Immer mehr Ärzt*innen empfehlen Yoga gegen Ängste, denn eine ganzheitliche Praxis hilft nachweislich bei akutem Auftreten und unterstützt langfristig die Heilung. Yogalehrerin Anna Kramer coacht Menschen mit einer Kombination aus Yoga und der Mind-Walking-Methode und erklärt anhand ihrer langjährigen Erfahrung mit Angstpatient*innen, wie genau Yoga auf Ängste wirkt.

Text: Anna Kramer / Titelbild: Cottonbro via pexels

Dienstagnachmittag im Home Office. Bisher war es eigentlich ein normaler, sogar produktiver Tag. Aber seit einigen Minuten fühlt sich der Bauch irgendwie flau an, leises Unwohlsein und Nervosität. Dann hängt der Server beim Einwählen. Erstes Händezittern, flacherer Atem. Zweimal neu versucht, es klappt. An sich ist nichts Schlimmes passiert, aber alles stresst, fühlt sich eng an, kreist mich ein. Zittrig das Dokument zum Hochladen anklicken, die Enter-Taste drücken. Es lädt. Der dunkle Balken wandert langsam von links nach rechts. Dann stoppt er, pulsiert, verschwindet. “Server-Verbindung unterbrochen”. Mir wird schwarz vor Augen, das Herz rast. Das wird jetzt ewig dauern. Keiner da, den ich um Hilfe fragen kann. Schweißausbruch. Der Tagesplan im Verzug, die Kollegen genervt, der Chef sauer. Schwarze Sterne flimmern vor meinen Augen. Wie soll ich das schaffen? Das Versagen, die Schuld, die Unausweichlichkeit … Alles verschwimmt.

So funktionieren Angst und Panik

Angst kann uns förmlich erstarren lassen und von einem Augenblick zum anderen handlungsunfähig machen. Der sonst so verlässliche Verstand, jegliche Lebensfreude oder Zuversicht sind dann in Sekundenschnelle wie weggewischt. Der Auslöser solcher Angst- und Panikattacken ist meistens real und wirkt logisch, doch die emotionalen und körperlichen Reaktionen darauf fallen unproportional heftig aus. So können selbst kleine, sogar nichtige Reize ausweglose Gedankenspiralen heraufbeschwören.

Natürlich ist eine Internet-Verbindungspanne nervig, aber sie ist kein echter Grund zur Panik. Gelassen weiter atmen und alles ist wieder gut! Leider ist das in so einem Moment leichter gesagt als getan. Und das Gemeine ist: Gerade weil diese Attacken einem den Atem rauben und den Geist vernebeln, wirkt es so, als würde die grauenvollst mögliche Zukunft bestimmt eintreten. Mit anderen Worten: Angst lügt uns an, Panik lockt uns in die Falle. Und als Betroffene sind wir in solchen Momenten oft hilflos.

Wir erinnern uns an die Corona-Pandemie: Inmitten von exponentiellen Ansteckungsraten, schrecklichen Nachrichten aus den besonders vom Virus betroffenen Gebieten und drastischen Gegenmaßnahmen entstand eine Grundstimmung der Verunsicherung, und das mitunter auch bei Menschen, die sonst kaum mit Ängsten zu kämpfen hatten. Plötzlich war da etwas sehr Konkretes, tatsächlich Furchteinflößendes und alles veränderte sich rasend schnell, ohne dass wir daran etwas ändern konnten. Die Angst, die das erzeugte, war mindestens so ansteckend wie das Virus selbst: Wir schnappten sie auf aus unserer unmittelbaren Umgebung, aus den Nachrichten und den sozialen Medien.

Aber bei allen Ängsten kommt es darauf an, wie wir auf sie reagieren. Wird das Thema lebensbeherrschend, weil es so groß ist – oder gelingt es uns, Akzeptanz und Gelassenheit zu finden?

Das Prinzip der Resonanz: Der Knallfrosch in der Blechdose

Dabei spielt das Prinzip der Resonanz eine wichtige Rolle. Stelle dir vor, dein Wahrnehmungsraum ist so groß wie eine Blechdose und jemand steckt einen Knallfrosch hinein. Bääämm! Der Knallfrosch fetzt und deine Gelassenheit ist entsprechend seiner Größe gering: Du gehst voll in Resonanz, dein ganzes Denken dreht sich um den Knall und deine Emotionen – und das bringt dich an die Grenze. Ist dein Wahrnehmungsraum so groß wie ein Fass, macht es immer noch ordentlich Bummm und du erschreckst dich. Du kannst den Knall zwar schon leichter abtun, musst dich aber dennoch mit ihm auseinandersetzen. Im dritten Beispiel hast du einen Wahrnehmungsraum so groß wie eine Kathedrale. Nanu, denkst du jetzt, warum hopst da ein Knallfrosch? Jetzt bestimmst du voll über deinen Raum, deine Emotion und Reaktion. Du bist ein selbstbestimmt mitschwingendes System.

Genau darum geht es bei der Bewältigung von Angst: den Raum zu erweitern und selbstbestimmt mitzuschwingen, statt in ungebremster Resonanz vom Geschehen mitgerissen zu werden. Denn der Punkt ist: Du kannst einen Auslöser wie eine Pandemie nicht vollständig vermeiden, selbst wenn du dich einrollst und keine Nachrichten mehr hörst. Auch Gedanken und Stimmungen sind Knallfrösche und das Leben ist voll von ihnen.

Yoga gegen Ängste: Erweitere den Raum deiner Akzeptanz

Um im physikalischen Bild von Resonanz zu bleiben, könnte man sagen: Um so weit und groß zu werden wie eine Kathedrale, musst du deine Frequenz, deine Schwingung erhöhen. So kannst du fühlen und mitfühlen, wirst dabei aber nicht an deine Grenze gebracht, sondern kannst gelassen bleiben. Darauf will auch Yoga hinaus: Anstatt wie ein Beruhigungsmittel die Dämpfung zu erhöhen, sich gegen alle Auslöser zu panzern und möglichst gefühllos zu machen, kann die Praxis deinen Akzeptanz-Raum erweitern. Wenn du nur wenig mit Ängsten zu tun hast, macht dich das gelassener in deinem Alltag und resilienter in Krisensituationen wie dieser. Bist du dagegen stärker davon betroffen, dann kann Yoga ein wertvoller Baustein der Bewältigung und Heilung sein.

“Furchtlosigkeit”: Das Titelthema im YogaWorld Journal 01/2025

Die weit verbreitete Angststörung

Ängste sind ein weit verbreitetes Phänomen: Rund 15 Prozent der Deutschen gehen im Verlauf eines Jahres wegen einer Angststörung zum Arzt. Dazu kommen all jene, die sich damit abfinden, nun mal ein Angsthase zu sein, oder die hoffen, es ginge von alleine weg, wenn sie sich nur gut genug zusammenreißen. Damit ist die Angststörung die häufigste psychische Erkrankung, häufiger als Depression oder Burn-out. Glücklicherweise sind beide Phänomene inzwischen besser erforscht als noch vor wenigen Jahren. Die meisten Ärzte schicken einen nicht mehr mit einem Rezept für ein Beruhigungsmittel nach Hause, sondern empfehlen auch ganzheitliche Behandlungsmethoden – und immer häufiger heißt es: Übe Yoga gegen Ängste.

Yoga gegen Angst: Positiv und nebenwirkungsfrei

Eine Reihe von Studien hat in den letzten Jahren gezeigt, dass die Kombination aus geschulter Atmung und Körperhaltung gemeinsam mit der Geistesschulung durch Meditation sowohl kurz- als auch langfristig die psychisch-körperliche Gesundheit von Angstpatient*innen verbessert – und teilweise sogar vollständige Heilung bringt. Murali Doraiswamy, Professor für Psychiatrie und Verhaltensforschung an der US-amerikanischen Duke University sagte dazu in einem Interview: “Wenn es einen pharmazeutischen Wirkstoff gäbe, der ähnlich positiv und nebenwirkungsfrei wirkte wie Yoga, wäre das ein weltweiter Beststeller.”

Keine Vorkenntnisse – nur unseren Herzschlag und den Atem

Um mit Yoga emotionale Balance zu gewinnen, müssen wir nicht flexibel oder stark sein, auch nicht jung, fröhlich, energiegeladen oder bei guter Gesundheit. Wir müssen keinen Handstand oder Lotossitz beherrschen. Wir brauchen auch überhaupt keine Vorkenntnisse – nur unseren Herzschlag und den Atem. Diese beiden Werkzeuge entspannen und verankern uns im gegenwärtigen Moment. Wir steigern unsere Achtsamkeit und unser Körperbewusstsein. Schon 15 bis 30 Minuten Praxis zwei- oder dreimal pro Woche, ohne körperliche Verausgabung und besondere Vorbereitung, können ausreichen, um emotional ausgeglichener zu werden. Für anhaltendere oder intensivere Ergebnisse dürfen wir natürlich mehr üben.

So wirkt Yoga gegen Ängste

Dabei ist klar: Ein paar Asanas alleine bewirken nicht allzu viel, wirklicher Wandel geschieht erst, wenn wir den vollen klassischen Yogaweg ausschöpfen. Dabei spielen neben Pranayama und Meditation vor allem auch Gedankenlenkung und Selbsterkenntnis eine wichtige Rolle. In dieser Kombination setzt die Praxis einen Entwicklungsprozess in Gang, der einen von den erlernten negativen Glaubenssätzen über sich selbst und von eingefahrenen Verhaltensmustern befreien kann.

Yoga gegen Ängste: So wirken die einzelnen Teile der Yogapraxis

Asana

Wenn wir Angst haben, verändern sich Körperhaltung, Mimik und Gestik. Unsere Stimme klingt schrill und wir bewegen uns anders, oft verkrampfter, manchmal aber auch kraftlos. Asanas entspannen einen erhöhten Muskeltonus und stimulieren einen herabgesetztem Tonus. Die intensiven Dehnungen bauen zudem fasziale Spannungen ab und steigern die Durchblutung der Gewebe. Das alles führt zu einem Gefühl innerer Ausgeglichenheit und Stabilität. Man kann aber auch noch gezielter arbeiten: Bestimmte Rückbeugen oder Hüftöffner zum Beispiel lösen Schon- und Fehlhaltungen auf, die entstehen, wenn der Körper sich durch Panik und Angst zusammenzieht und auf Flucht einstellt.

Das längere Halten einer Asana beruhigt den Sympathikus, jenen Nervensystemteil, der die Angst aufrechterhält, und es aktiviert den Parasympathikus, der sie lindert. Deswegen solltest du im Zusammenhang mit Ängsten und Verunsicherung jede Haltung mindestens 30 Sekunden lang einnehmen, besser noch länger. Bleiben wir nämlich mehrere Minuten lang in einer Haltung – selbst wenn sie unbequem ist –, dann lernen wir, auch unangenehme Gefühle besser auszuhalten und das gibt uns die Kontrolle über unsere Emotionen zurück.

Pranayama

Mit Pranayama lernen wir, die Lebenskraft bewusst wahrzunehmen und zu kanalisieren. Geist und Atem sind dabei untrennbar miteinander verbunden: Ist der Atem unruhig, so ist es auch unser Geist – und umgekehrt. Beruhigen wir also gezielt den Atem, so beruhigen wir zugleich auch immer den Geist. Man kann das sogar messen: Die konzentrierte Beobachtung und Kultivierung eines ruhigen, gleichförmigen Atems senkt Cortisolwerte und erhöht dabei die Serotonin-, Dopamin und Endorphinkonzentration. Zusätzlich bauen wir durch positive Ergebnisse unseren Selbstwert auf: Ich kann langsam durchatmen, wann immer ich es möchte – und es wirkt sofort. Ich habe es in der Hand!

Übung: Bei der sogenannten Quadratischen Atmung rhythmisierst und vertiefst du den Atem, indem du mit dem Puls mitzählst: Einatmen-zwei-drei-vier, Halten-zwei-drei-vier, Ausatmen-zwei-drei-vier, Halten-zwei-drei-vier. Wenn das stressig ist oder du kurzatmig bist, nimm statt dessen drei Pulsschläge, man kann sich aber auch auf sechs oder zehn Zähler steigern – ganz individuell. Auch die Dauer richtet sich nach deinem Gefühl, es können 2 Minuten sein, aber auch 4 oder 10. Eine weitere Übung, wie Yoga gegen Ängste helfen kann, ist die 4-7-8 Atmung – sie hilft übrigens auch gegen Schlafstörungen.

Dharana

Körperlich gestärkt und beruhigt durch Asana und Pranayama kann nun Dharana weiterhelfen, die yogische Gedankenlenkung. Hier geht es darum, nicht länger grässliche Zukunftsbilder aufzubauen, sondern positive Impulse zu setzen. Angenommen, du machst eine Diät, sitzt vor einer Torte, starrst sie an und wiederholst: “Ich will keine Torte, ich will nicht dick sein, ich will nicht schwach sein.” Indem du dich dem Anblick aussetzt, aber nicht nachgeben möchtest, vergeudest du wertvolle Kraft. Gehe stattdessen raus und beschäftige dich mit etwas anderem, dann vergisst du die Torte einfach und willst sie auch nicht. So ist es auch mit der Angst: Wenn wir lernen, unsere Wahrnehmung in eine bestimmte Richtung umzulenken, bleiben wir trotz aufkeimender Angst handlungsfähig und aktiv.

Dabei ganz wichtig: Das Unterbewusstsein versteht kein “nicht”. Statt sich also vorzunehmen, jetzt besser keine Angst zu haben, oder sich angsterfüllte Zukunftsbilder auszumalen, um sie sofort wieder abzulehnen, müssen wir unseren Geist und unsere Konzentration auf etwas Positives ausrichten. Es kommt auf die Perspektive an: Statt “gegen die Angst” (Torte) sagst du “für die Freiheit” (Spaziergang). Dafür bieten sich verschiedene Methoden an, etwa Traumreisen, Autosuggestion, Mantras, Affirmationen oder Positive Thinking.

Übung: Was ist ein wiederkehrendes Angstbild für dich? Vielleicht: “Ich bin zu dick, ich sehe mich aufgequollen und unglücklich in einem schlecht sitzenden Kleid”? Oder: “Ich drehe durch, wenn ich wegen des Virus wochen- oder gar monatelang Ausgangssperre habe”? Wenn wir diese Erwartung ständig vor dem geistigen Auge haben, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass es genau so kommt: Es ist bewusst oder unbewusst das Ziel, auf das wir zusteuern. Wie aber würde diese Szene aussehen, wenn alles gut wäre? “Ich trage ein schönes Kleid, das mir schmeichelt, und ich fühle mich gut.” Oder: “Ich komme in dieser Zeit zur Ruhe. Ich sehe mich beim Spazierengehen: Mein Gang ist kraftvoll, ich lächle und wirke zufrieden.”

Stelle dir dieses Bild möglichst detailliert vor. Konzentriere dich darauf, bis du es im Hier und Jetzt genauso plastisch erlebst, wie du auch die Angst plastisch erlebst. Dafür brauchst du vielleicht etwas Zeit und Geduld. Trauer, Tränen und Ängste können aufkeimen, weil es so unrealistisch erscheint. Bleibe dennoch beharrlich. Deine vorgestellte Szene ist nicht jenseits der Welt, sie ist möglich. Und wenn du sie genau gesehen und die positiven Aspekte daran erkannt hast, sind das neue Ziele und du kannst sie erreichen.


Die Mainzer Yogalehrerin ANNA KRAMER coacht Menschen mit einer Kombination aus Yoga und der Mind-Walking-Methode. Aus ihrer langjährigen Erfahrung mit Angstpatient*innen hat sie gemeinsam mit der Yogalehrerin Karo Wagner ein Buch gemacht: “Yoga bei Angst und Panikattacken. Selbsthilfe und Heilung” (Via Nova, 2019). Mehr über die beiden und Yoga gegen Ängste findest du auf mindwalking.de und haeppyday.com.

Öfter mal loslassen: So übst du Hingabe im Alltag

Hingabe / loslassen
Foto: Elena Nikonova / Getty Images via Canva

Bedeutet Hingabe ans Leben, dass wir unseren Verpflichtungen nachkommen, alle Bälle in der Luft halten und vollen Einsatz bringen sollten? Unsere Expertin für Yogaphilosophie im Alltag hält das für ein grobes Missverständnis. Sie ermutigt zu täglichen kleinen Hingabe-Übungen, die vor allem eins bewirken: Erholung im Hier und Jetzt.

Text: Rina Deshpande / Titelbild: Elena Nikonova von Getty Images via Canva

In “surrender“, dem gebräuchlichsten englischen Wort für das, was wir im deutschen Yoga mit “Hingabe” beschreiben, schwang für mich lange Zeit eine Geste der Unterwerfung mit: die Schlachten sind gekämpft und nach großen Anstrengungen, Schmerzen und Verlusten bleibt nur noch eines: loslassen und sich ergeben. Auch die deutschen Begriffe “Ergebung” und “Hingabe” wurden historisch oft mit Niederlage oder Unterordnung gleichgesetzt. Diese westliche Prägung verfälscht die Bedeutung dessen, was wir im Yoga unter Hingabe verstehen, erheblich. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich das Konzept “Hingabe” in meinem eigenen Leben und Üben eher in Form häufigerer, rhythmisch wiederkehrender Praktiken erforscht habe.

Im Hamsterrad

Engagierte, inspirierte Menschen sind es gewohnt, nach vorn zu schauen, immer neue Projekte anzustoßen und voranzutreiben, soziale Meilensteine zu setzen und sich Lob und Auszeichnungen zu erwerben. Körper und Geist entwickeln sich dabei weiter und gewinnen an Kraft, aber wenn wir uns nicht genügend Raum lassen, entstehen bei dieser Art von persönlicher Entwicklung oft auch Spannungen.

Ich habe das selbst so erlebt: Seit ich 18 Jahre alt war, habe ich selbst für meinen Lebensunterhalt gesorgt. Zwischen 9 Uhr abends und 1 Uhr früh arbeitete ich in einem Studenten-Zentrum, während ich tagsüber an der Uni Leistung bringen musste, um mein Stipendium nicht zu verlieren. Nach meinem Abschluss habe ich mich sogar noch mehr reingehängt. Ich bereue all das nicht, ich habe dabei viele sinnvolle Dinge gelernt und getan, aber es gab auch immer wieder Phasen,wo der Stress sehr ungute Formen annahm. Und obwohl ich willentlich nicht loslassen und mich ergeben wollte: Mein Körper forderte es ein und erzwang eine Art von Hingabe, mit der ich alles andere als einverstanden war – ich wurde immer wieder krank.

Stress / Loslassen
Foto: pixelshot via Canva

Warum läuft das so? Warum machen wir nicht ganz einfach öfter mal Pause? Soziale Normen, Erziehung und die moderne Technologie sind einige der Gründe dafür. Als Kind und Jugendliche habe ich in meinem Elternhaus und in der Schule gelernt, dass ich das Leben erst genießen darf, nachdem ich meine Hausaufgaben und andere Pflichten erledigt hatte. Das hat natürlich einen gewissen Wert, ich habe mir zum Beispiel nie angewöhnt zu prokrastinieren und dann in Last-Minute-Arbeiten zu versinken.

Zugleich hat sich aber die Vorstellung bei mir eingebrannt, dass Ruhe und Entspannung nur dann stattfinden dürfen, wenn wirklich alle Arbeit getan ist. Das mag für kleinere Kinder, deren Pflichten in der Regel überschaubar sind, noch sinnvoll sein, aber schon als junge Erwachsene hatten sich bei mir eine Menge Verantwortungen angesammelt: Studium, Nebenjob, meine Wohnung mitsamt der zu bezahlenden Rechnungen und dem Haushalt … Die Momente, wo alle Pflichten erledigt sind, wurden schlicht immer seltener.

Ein weiterer Faktor ist die moderne Kommunikationstechnologie, die auf verschiedenen Ebenen Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit und -Performance einfordert. Sogar Freizeit und Urlaub sollen auf eine gewisse Art in den sozialen Medien “vorzeigbar” sein – und entwickeln sich dann häufig zum genauen Gegenteil von Rückzug und Erholung. Bei mir führte dieser Mix aus Erziehung und digitaler Vernetzung dazu, dass ich ständig am Rotieren war und meine gesamte Energie aufwenden musste, um in diesem Hamsterrad zu bestehen. Irgendwann wurde mir klar, dass das eine ziemlich verquere Form von Hingabe ist. Und je mehr ich unterrichte und forsche, desto deutlicher sehe ich diese erschöpfenden Muster auch bei meinen Mitmenschen.

Leben heißt: Rhythmus

Ein weiterer Grund, warum wir die Zügel des Lebens oft nicht loslassen können und uns dem, was ist, hingeben, liegt in der Furcht vor Kontrollverlust, vor allem dann, wenn wir so motiviert und engagiert sind, wie ich es beschrieben habe. Wenn wir täglich mit so vielen Bällen jonglieren – die Familie unterstützen, im Job vorankommen, die Rechnungen zahlen, ein Essen auf den Tisch bringen – was passiert dann, wenn wir auf einmal loslassen? Fallen uns all die Jonglierbälle dann nicht auf den Kopf? Genau aus diesem Grund empfehle ich, Hingabe weder als vollen Einsatz noch als Praxis des Loslassens zu sehen, sondern als eine fortwährende, rhythmische Praxis, die wir jeden Tag in vielen kleinen Momenten üben.

Lebensrhythmus
Foto: undefined undefined / Getty Images via Canva

Genau das gibt uns nämlich schon unser Herzrhythmus vor: Das Herz von Menschen und Tieren ist, einer wunderbaren, universellen Intelligenz folgend, so programmiert, dass es nach jeder Systole (Kontraktion und Pumpbewegung) eine Diastole (Entspannung und Rückfluss) erlaubt. Diese Begriffe aus der Herzmedizin beschreiben etwas, das in jedem von uns ein Leben lang, Tag und Nacht abläuft: Die Herzkammern müssen ebenso sehr erschlaffen und sich mit Blut anfüllen, wie sie sich zusammenziehen und das Blut weiterpumpen müssen. Folgen sie diesem Muster nicht, wird es schnell lebensbedrohlich. Eigentlich ist es überall so: Auch der Mond nimmt unaufhörlich zu und dann wieder ab, auf Flut folgt Ebbe, wir atmen ein und aus, wir treiben Dinge voran und lassen sie auch wieder los – es ist ganz einfach der Rhythmus der universellen Lebenskraft.

Und damit kommen wir zum Yoga. Ich habe es mir zu Aufgabe gemacht, eine Brücke zu bauen zwischen den alten Lehren des Yoga, mit denen ich als indischstämmige US-Amerikanerin aufgewachsen bin, und der modernen westlichen Kultur und Wissenschaft. Daher weiß ich: Es ist zwar schwierig, alte Gewohnheiten abzulegen und neue einzuüben, aber die modernen Erkenntnisse der Neuroplastizität beweisen, dass es alles andere als unmöglich ist: Wir können immer umlernen. Lasst uns also neu definieren, was es bedeutet, sich dem Leben hinzugeben, lasst uns erforschen, was wir dabei entdecken und gewinnen können, wenn wir Hingabe nicht als “vollen Einsatz” verstehen, sondern in kleinen, rhythmischen Übungen praktizieren, die uns durch unseren Alltag begleiten.

Hingabe-Übungen für den Alltag

1. Bestandsaufnahme: Beobachte dich während des Tages: Wann machst du wirklich Pause und machst Platz für Ruhe und Erholung? Damit meine ich nicht, dass du nach der Arbeit die Kinder von der Schule abholst, ein Video über Selbstverwirklichung auf Youtube anschaust oder lieben Menschen WhatsApp-Nachrichten schreibst, denn all das bedeutet, dass du geistig und körperlich weiter auf hohen Touren läufst. Allein diese ehrliche Bestandsaufnahme könnte dazu führen, dass du Mitgefühl für deinen hart arbeitenden Geist und Körper entwickelst
und dich dafür zu interessieren beginnst, wie und wo du im Alltag loslassen und dich dem Moment hingeben könntest. Schau auf dich selbst wie auf ein kleines Kind oder ein Haustier,
das – genau wie du – Zeiten der Ruhe und Entspannung braucht, um gesund zu sein und sich gut zu entwickeln.

2. Mini-Hingabe-Moment jetzt gleich: Übe gleich jetzt mit mir. Leg das Heft oder das Gerät, auf dem du liest, beiseite, lass deine Handflächen entspannt auf deinen Oberschenkel ruhen und atme mindestens drei Mal bewusst ein und aus, bevor du weiterliest.

3. Hingabe im Gespräch: In politisch aufgeheizten Zeiten gleiten Gespräche nicht selten in belehrende Vorträge ab, anstatt gemeinsame, verbindende Erfahrungen zu sein. Mach dir bewusst, ob du auch etwas erfahren willst, oder dir in Wirklichkeit nur wünschst, dass dein Gegenüber deine Überzeugungen bestätigt? Was könntest du lernen, wenn du dir vornimmst, einfach mal aufmerksam und vorbehaltlos zuzuhören?

4. Hingabe in der Stellung des Kindes: Kinder sind unglaublich leicht zu
beeindrucken und sie wachsen unaufhörlich – ganz egal ob sie gerade spielen oder sich ausruhen. Balasana, die Stellung des Kindes, erinnert uns mit ihrer physischen Form des Loslassens und der Hingabe daran, dass all das, was wir lernen und tun, auch in unser System integriert werden muss.

5. Hingabe-Geste: Namaskara, die leichte Verneigung mit aneinander gelegten Händen,
ist eine hinduistische Geste, mit der wir unsere Demut gegenüber göttlichen Mächten zum Ausdruck bringen. Vor dieser allwissenden, das Universum seit Jahrtausenden belebenden Kraft sind wir selbst als erwachsene Menschen wie Kinder.

Yogische Hingabe

Hingabe: Balasana
Foto: Elina Fairytale via Canva

In der Philosophie des Yoga bedeutet Hingabe eine alte, sehr nützliche Praxis von Loslassen, Akzeptanz und Ruhe. Das kann zum Beispiel die Form eines Ruhens in friedlicher Präsenz annehmen, wie sie die Bhagavad Gita beschreibt:

Nach hinduistischem Verständnis ist Yoga eine spirituelle Praxis. Das bedeutet: Wenn wir uns hingeben, verlieren wir nicht die Kontrolle. Vielmehr geben wir die Illusion auf, das Leben überhaupt kontrollieren zu können. Stattdessen üben wir uns darin, in Gott oder anders gesagt in eine universelle, höhere Kraft zu vertrauen. So wie das Herz darauf vertraut, dass auf jede Kontraktion eine Entspannung folgt, die es wieder mit frischem Blut füllen wird. Aufs Leben übertragen bedeutet das, dass wir uns zwar ernsthaft bemühen und unser Bestes geben, uns zugleich aber immer wieder daran erinnern, dass da noch eine viel größere Macht am Werk ist. Mit anderen Worten: Hingabe zu üben bedeutet, Bescheidenheit zu üben.

In dieser Zweiheit von Anstrengung und Loslassen liegen auch große Vorzüge für Körper und Geist. Denn auch wenn wir es uns oft nicht eingestehen wollen: Wir brauchen Phasen der Ruhe, des Loslassens und Abwartens. In Phasen des Stillhaltens können wir – zum Beispiel nach einem Knochenbruch – regenerieren und heilen. Nur so werden wir die Stabilität finden, die wir brauchen, um uns für neue Erfahrungen zu öffnen. Während ich diese letzten Sätze schreibe, wird mir klar, dass ich schon eine ziemlich lange Zeit an meinem Schreibtisch sitze und konzentriert arbeite. Bevor ich mir meinen Text noch einmal durchlese und an ihm feile, werde ich also meinen eigenen Ratschlägen folgen: Ich lasse erst mal wieder los, gebe mich ganz der Gegenwart hin und bin präsent. Nach dieser Pause geht es mit neuer Frische weiter …


Rina Deshpande lehrt, erforscht und schreibt seit über 15 Jahren über Yoga und Achtsamkeit. Ihre Artikel erschienen bei uns, Huffington Post, Self Magazine und vielen anderen. Außerdem hat sie 2022 ein Kinderbuch verfasst und selbst illustriert: “Yoga Nidra Lullaby“. Erfahre mehr über Rina und besuche sie auf ihrer Website oder ihrem Instagram-Account @rinathepoet


In diesem Artikel von Rina Deshpande erfährst du, warum es auch gut ist, ab und an seine Sinne zurückzuziehen:

Dem Thema Hingabe haben wir ein komplettes Heft gewidmet. Hier kannst du das YOGAWORLD JOURNAL 03/2024 nachbestellen:

Gesunder Darm, starkes Immunsystem: Probiotika, Ernährung und Yoga für die kalte Jahreszeit

Immunsystem und Probiotika

So stärkst du dein Immunsystem im Winter: Tipps für einen gesunden Darm und ein starkes Wohlbefinden. Der Winter stellt unser Immunsystem jedes Jahr auf die Probe: Kalte Temperaturen, weniger Sonnenlicht und der Dauerlauf durch Erkältungswellen können eine echte Herausforderung sein. Umso wichtiger ist es, deinem Körper in dieser Zeit etwas Gutes zu tun – von innen heraus. Dabei spielt dein Darm eine Schlüsselrolle. //anzeige

Titelbild: Latino Life via Canva

Ein gesunder Darm stärkt nicht nur die Abwehrkräfte, sondern sorgt auch für mehr Wohlbefinden. Hier erfährst du, wie du dein Immunsystem mit Yoga, Ernährung und hochwertigen Probiotika wie AVEA Biomind und Essentials unterstützen kannst.

Warum ein gesunder Darm so wichtig ist

Wusstest du, dass rund 70 Prozent deiner Immunzellen im Darm sitzen? Dein Darm ist damit ein echtes Powerzentrum für deine Gesundheit. Eine intakte Darmflora – das komplexe Zusammenspiel aus Bakterien und Mikroorganismen – hilft deinem Körper, schädliche Keime abzuwehren, und trägt dazu bei, dass du dich fit und energiegeladen fühlst.

Doch Stress, unausgewogene Ernährung oder Antibiotika können das Gleichgewicht im Darm stören. Das kann nicht nur zu Beschwerden wie Reizdarm oder einem empfindlichen Magen-Darm-System führen, sondern auch dein Immunsystem schwächen. Eine regelmäßige Darmsanierung ist daher besonders in der kalten Jahreszeit sinnvoll, um die Balance wiederherzustellen.

Mit Yoga und Bewegung das Immunsystem ankurbeln

Immunsystem und Probiotikaplus Yoga
Foto: Alena Ozerova via Canva

Auch Bewegung spielt eine zentrale Rolle, um dein Immunsystem zu stärken. Besonders Yoga hat viele positive Effekte:

  • Es reduziert Stress, der die Darmgesundheit negativ beeinflussen kann.
  • Es fördert die Durchblutung und regt den Stoffwechsel an – auch im Dünndarm.
  • Atemübungen wirken wohltuend auf das Nervensystem und die Verdauung.

Eine tägliche Yogapraxis von 15 bis 20 Minuten reicht oft schon aus, um den Körper zu unterstützen. Übungen wie der Sonnengruß oder Drehhaltungen massieren zusätzlich die Bauchorgane und fördern die Verdauung.

Ernährungstipps: Gut essen für einen gesunden Darm

Der Winter ist die perfekte Zeit, um deine Ernährung anzupassen. Besonders ballaststoffreiche Lebensmittel wie Gemüse, Hülsenfrüchte oder Vollkornprodukte unterstützen eine gesunde Darmflora. Gärprodukte wie Sauerkraut oder Kombucha liefern natürliche Probiotika und helfen dabei, deine Darmbalance zu stabilisieren. Achte auch darauf, deinen Darmflora-Aufbau gezielt zu unterstützen. Hier kommen hochwertige Produkte wie AVEA Biomind ins Spiel.

AVEA Biomind: Für einen gesunden Darm und mehr Wohlbefinden

Probiotika Testsieger: Avea Biomind
Foto: AVEA

AVEA Biomind ist mehr als nur ein Probiotikum – es ist ein durchdachtes Produkt, das modernste Technologie mit wissenschaftlich fundierten Inhaltsstoffen kombiniert:

  • Innovative Duocap-Technologie: Dank eines einzigartigen Doppelkapsel-Systems überleben die enthaltenen 10 probiotischen Bakterienstämme die Magensäure und gelangen sicher in den Darm. Die äußere Kapsel löst sich im Magen auf und setzt Panax Ginseng frei, während die innere Kapsel erst im alkalischen Milieu des Dünndarms die probiotischen Kulturen freisetzt. So wird die Darmgesundheit genau dort unterstützt, wo sie am meisten gebraucht wird.
  • Inhaltsstoffe mit Mehrwert: Neben den probiotischen Stämmen enthält Biomind auch Panax Ginseng, ein Adaptogen, das Stress reduziert und das darmspezifische Immunsystem unterstützt. Ergänzt wird die Formel durch die Vitamine B6 und B12, die essenziell für die Energieproduktion und die Unterstützung der Hirn-Darm-Achse sind.
  • Ganzheitliche Wirkung: Ein gesunder Darm hat einen direkten Einfluss auf deine kognitive Gesundheit. Biomind fördert die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn, reduziert Entzündungen und unterstützt dein mentales Wohlbefinden.

Dank der Zusammenarbeit mit dem führenden Probiotika-Experten Nordbiotic setzt Biomind neue Maßstäbe in der Unterstützung von Darmflora-Aufbau und -gesundheit. Kein Wunder, dass dieses Produkt von der Vogue als Probiotika Testsieger ausgezeichnet wurde.

AVEA Essentials: Nährstoffe für dein Immunsystem und mehr

Avea Essentials - für dein Immunssytem
Foto: AVEA

Neben einem gesunden Darm braucht dein Körper auch die richtige Versorgung mit Mikronährstoffen, um fit durch den Winter zu kommen. Hier kommt AVEA Essentials ins Spiel – eine hochwirksame, komplett vegane Ergänzung, die dir alle wichtigen Nährstoffe liefert:

  • Hochwertige Inhaltsstoffe: Jede Tagesportion enthält fünf essenzielle Mikronährstoffe und Fettsäuren, darunter vegane Omega-3-Fettsäuren aus Algen, Magnesium Bisglycinat, Zink Picolinat sowie die Vitamine D3 und K2.
  • Gezielte Unterstützung: Omega-3-Fettsäuren fördern die Gehirn- und Sehfunktion, während Magnesium Muskelkraft und Entspannung unterstützt. Die Kombination aus Vitamin D und K trägt zur Knochengesundheit bei, während Zink und Vitamin D das Immunsystem stärken und Infektionen vorbeugen können.
  • Reduktion von Müdigkeit: Magnesium und Omega-3-Fettsäuren verbessern die Energieproduktion und reduzieren das Gefühl von Erschöpfung – ideal für die dunklen Wintermonate.

Mit den praktischen Sachets von Essentials kannst du sicherstellen, dass dein Körper täglich optimal versorgt ist – egal, wie stressig dein Alltag ist.

Starte jetzt stark in den Winter

Probiotika für dein Immunsystem
Foto: mihailomilovanovic von Getty Images Signature via Canva

Ein gesunder Darm und die richtige Nährstoffversorgung sind der Schlüssel zu einem starken Immunsystem – und damit zu einem gesunden, entspannten Winter. Kombiniere Yoga, eine darmfreundliche Ernährung und hochwertige Produkte wie AVEA Biomind und Essentials, um dein Immunsystem gezielt zu stärken.

Probiotika kaufen und deine Gesundheit fördern: Mit den Produkten von AVEA gehst du den ersten Schritt in Richtung Wohlbefinden. Schau gleich im AVEA-Shop vorbei und finde die ideale Unterstützung für dich und deinen Winter.

Dein Darm wird es dir danken!

Dies.Das.Asanas mit Jelena Lieberberg – Vishvamitrasana

Dies.Das.Vishvamitra: Jelena Lieberberg

Anders als sonst zeigt unsere Kolumnistin dir diesmal keine kreative Variante, sondern eine klassische Asana. Allerdings sieht man die nur selten im Yogaunterricht, denn sie hat es in sich. Jelena findet: Ausprobieren lohnt sich trotzdem! Denn man kann durch Vishvamitrasana eine Menge über die Kräfte- und Gewichtsverteilung im Körper lernen.

Text: Jelena Lieberberg / Foto: Sofia Gomez Fonzo

Vielleicht kann sich der eine oder die andere von euch daran erinnern, dass ich euch im vergangenen Jahr den kleinen Weisen vorgestellt habe, eine Abwandlung der hier gezeigten Asana, bei der die Intensität durch das gebeugte hintere Bein etwas verringert wird. Dieses Mal lade ich dazu ein, dich der klassischen, gestreckten Variante von Vishvamitrasana zu widmen. Sie ist nach König Vishvamitra benannt, einem der wichtigsten Weisen (Rishis) des alten Indien. Als ich diese Haltung vor vielen Jahren bei einer Instagram-Challenge gesehen habe, war ich sofort geflasht: Ich wollte unbedingt herausfinden, wie es möglich ist, lächelnd und mit Leichtigkeit in diesem Spagat zu schweben. Nach anfänglichem Kopfschütteln und mehrfachem Umfallen war meine Neugier geweckt und ich hüpfte immer wieder auf meine Matte, bis ich irgendwann den Dreh raus hatte.

Die Asana ist ein großartiger Energie-Booster: Fast alle wichtigen Muskelgruppen und Gelenke sind im Einsatz und müssen sich aufeinander einstellen. Regelmäßiges Üben hilft, Muskelkraft und Flexibilität zu entwickeln, die Drehung der Wirbelsäule löst Verspannungen im unteren Rücken und mobilisiert den Brustkorb, wodurch eine tiefere Atmung gefördert wird.

Macht das Spaß?

Auf jeden Fall. Allerdings ist es ein ziemlich kniffliges Körperpuzzle, da wir Balance spüren müssen und gleichzeitig aktiv unsere Range of Motion erforschen, das individuelle Ausmaß aktiver Beweglichkeit.

Muss ich das können?

Auf keinen Fall! Die Asana ist eher etwas für geübte Yogi*nis, die neue Herausforderungen suchen. Allerdings lohnt es sich für alle, die Wirbelsäule nicht nur zu beugen und zu strecken (Flexion und Extension), sondern im Yoga auch andere Bewegungsmöglichkeiten zu erkunden und zu vertiefen. In diesem Fall ist das eine intensive Seitdehnung mit Rotation.

Was muss ich dafür tun?

Um geschmeidig in diese Position zu gelangen, lohnt es sich, 30–45 Minuten in ein spezifisches Warm-up zu investieren. Besonders die Beinrückseiten und die Flanken sollten gut aufgewärmt und mobilisiert sein. Dazu kannst du dynamische Dehnungen, Sonnengrüße und Krieger-Variationen üben, aber auch länger gehaltene Asanas wie Pyramide, Grätsche, Halber Spagat, Spagat oder Kompass.

Dies.Das.Vishvamitra: Jelena Lieberberg

Step by step

1. Beginne im Vierfüßlerstand. Wenn du Unterstützung bei der Balance brauchen kannst, dann platzierst du dich neben einer Wand, dabei beginnst du mit der Wand rechts von dir.

2. Ziehe deinen rechten Fuß nach vorne und setze ihn außen neben der rechten Hand auf. Strecke dein linkes, hinteres Bein und stelle den Fuß parallel zum kurzen Mattenrand auf. Schiebe dabei, so gut es geht, die Außenkante Richtung Matte.

3. Drehe den Oberkörper in seiner gesamten Länge nach links, dabei hebt die linke Hand vom Boden ab. Dann wendest du den Blick nach unten und greifst die Außenkante deines rechten Fußes mit der linken Hand.

4. Aktiviere bewusst die rechte Schulter (die über deiner Stand-Hand), um dich zu stabilisieren, bevor du nun langsam das rechte Bein streckst. Dabei weitet sich zugleich dein Brustkorb nach links und oben. Deinen Blick richtest du nach vorn oder in Drehrichtung gen Himmel.

5. Nach etwa 5 Atemzügen wendest du den Körper wieder Richtung Matte und setzt den rechten Fuß zurück auf den Boden. Dann wiederholst du das Ganze auf der anderen Seite.

Tipp: Falls dir diese Variante einfach erscheint, dann probiere es mal so: Setze den rechten Fuß in Step 2 nicht außen, sondern innen an die Hand, sodass du das Bein in der Haltung vor dem Arm hast.


JELENA LIEBERBERG ist Osteopathin und Yogacoach in Berlin. Ihre eBooks, Retreats und Workshops findest du unter kickassyoga.com oder besuche Jelena auf Insta @kickassyoga.


Für Stabilität und Beweglichkeit ist es von Vorteil, den Körper regelmäßig zu dehnen. Hier zeigt dir Jelena mit dem PNF-Stretching eine gesunde Variante.

Wärmt von innen: Ayurvedische Kartoffelsuppe von Dana Schwandt

Kartoffelsuppe Dana Schwandt

Leckerschmecker Kartoffelsuppe! Sie ist einfach und schnell zubereitet, schön cremig und sorgt für ein wohlig-warmes Gefühl in deinem Bauch. Genau das Richtige für graue Schmuddelwettertage.

Das Rezept für diese wärmende Kartoffelsuppe stammt von Dana Schwandt. Sie ist Ayurveda-Expertin und Lifecoach: In ihrem Buch “EASY AYURVEDA – DAS KOCHBUCH” will sie zeigen, wie einfach du die ayurvedische Küche in deinen Alltag integrierst. Denn für jedes Gericht brauchst du höchstens vier Zubereitungsschritte.

Kartoffelsuppe Rezept von Dana Schwandt

Danas Tipp: Achte darauf, die Kartoffelsuppe in Step 3 wirklich nur ganz kurz zu pürieren, ansonsten wird sie durch die Stärke in den Kartoffeln sehr kleisterig. Alternative: Püriere die Suppe nicht ganz, sondern lass noch ein paar Stücke darin. Ich mag sie so besonders gerne und nehme mir meine Portion ab, bevor ich den Rest für die Familie glatt püriere.

Zutaten für ayurvedische Kartoffelsuppe

Die angegebenen Mengen reichen für 4 Personen als Vorspeise und für 2 Personen als Hauptgericht.

1 EL Ghee
500 g Kartoffeln (geschält und klein geschnitten)
3 TL Brühenpaste oder -pulver
2 TL Majoran
1 TL Curry
Salz · schwarzer Pfeffer
Olivenöl und Kürbiskerne (grob gehackt) nach Belieben

Zubereitung Kartoffelsuppe in 4 Schritten

1. In einem großen Topf das Ghee erhitzen und darin die Kartoffeln kurz andünsten.
2. 4 Tassen Wasser, Brühenpaste, Majoran und Curry hinzufügen und alles aufkochen. Die Suppe bei schwacher Hitze köcheln lassen, bis die Kartoffeln weich gegart sind.
3. Die Suppe mit dem Stabmixer kurz pürieren.
4. Die Kartoffelsuppe mit Salz und Pfeffer abschmecken. Auf Teller verteilen und nach Belieben mit etwas Olivenöl beträufelt und mit einigen Kürbiskernen bestreut servieren.

Tipp: Kartoffelsuppe Variationen

Probiere mal aus, ein Viertel der Kartoffeln durch Karotten zu ersetzen – schmeckt auch sehr fein. Gib etwas mehr Schärfe dazu wie zum Beispiel Curry oder Ingwer.


Für Autorin Dana Schwandt von Ichgold hat das Interesse für den ayurvedischen Lebensstil vor vielen Jahren begonnen. Die Yogalehrerin wollte insbesondere die ayurvedische Ernährung, die darauf aus ist, Geist und Körper in das perfekte Gleichgewicht zu bringen, in ihren Alltag integrieren. Die klassische Kartoffelsuppe ist natürlich auch in dem Buch zu finden. Mehr zu Dana findest du auch auf Insta @danaschwandt

Dana Kartoffelsuppe Schwandt Easy Ayurveda

Dana Schwandt
EASY AYURVEDA – DAS KOCHBUCH

176 Seiten, Hardcover
€ 24,99 (D) / € 25,70 (A)
ISBN 978-3-96584-002-7
Erschienen: 6.Januar 2020

Foodfotografie: Julia Hoersch
Peoplefotografie: Grit Siwonia

Neustart für den Vagusnerv – Home Practice mit Kari Zabel

Vagusnerv-Kari-Zabel-Klopf-Massage

Entspannung ist eine der wichtigsten Motivationen, die Menschen zum Yoga bringt. Eine zentrale Rolle dafür spielt der Vagusnerv: Er gilt als “Wundernerv” für innere Ruhe, Regeneration und Heilung. Mit dieser einfachen Sequenz kannst du ihn gezielt stimulieren.

Sequenz: Kari Zabel / Fotos: Christian Boehm

Darum geht’s:

Der Vagusnerv entspringt im Hirnstamm, verläuft beidseitig am Hals zwischen Carotis-Arterie und Halsvene und windet sich von dort aus in zahlreichen Verästelungen durch den gesamten Rumpf und einen Großteil der inneren Organe. Er ist der größte Nerv im parasympathischen Nervensystem, dem für Ruhe und Erholung zuständigen Teil des zentralen Nervensystems. Ist der Parasympathikus aktiv, werden Herzschlag und Atem verlangsamt, der Blutdruck sinkt, die Verdauung wird begünstigt und wir fühlen uns entspannt.

Indem wir den Vagusnerv gezielt stimulieren, können wir die vom Sympathikus gesteuerten körpereigenen Stressreaktionen abmildern und heilende Prozesse ankurbeln. Ganz besonders hilfreich ist das bei hormonellen Dysbalancen, Nebennierenschwäche (Adrenal Fatigue), Autoimmun-Erkrankungen und Verdauungsstörungen.

Bevor du beginnst:

Die gesamte Sequenz wird im Sitzen geübt. Wichtig dabei ist eine gut aufgerichtete, aber entspannte Haltung. Dazu kannst du dich gerne auf einen Hocker oder Stuhl setzen. Wenn du magst, schließt du während des Übens sanft deine Augen und spürst nach innen.

1. Vorbereitung

Vagusnerv Kari Zabel: Schulternkreisen

Nimm eine bequeme Sitzhaltung ein und richte deine Wirbelsäule möglichst entspannt auf. Dann rolle deine Schultern einige Male nach oben und unten und lasse sie sanft kreisen. So wärmst du Nacken- und Schultermuskulatur auf und bereitest die Region auf die Übungen zur Stimulation des Vagusnervs vor.

2. Ohrenkreisen

Vagusnerv Kari Zabel: Ohrenkreisen

Lege die Fingerspitzen deiner Zeige- oder Mittelfinger an die flache Partie deiner Ohren, direkt vor der Öffnung des Gehörgangs. Übe einen sanften Druck aus und beginne, deinen Oberkörper sanft nach rechts und links zu wiegen, dabei stellst du dir vor, dass die Bewegung von deinen Fingern ausgeht. Atme dabei ruhig und im Rhythmus mit deinen Bewegungen.

(30 Sekunden oder 5–6 sanfte Atemzüge)

3. Sanftes Ausstreichen

Vagusnerv Kari Zabel: Sanftes Ausstreichen

Streiche nun mit den Fingerspitzen sanft an den Seiten des Halses entlang. Dabei setzt du unterhalb der Ohren an und streichst bis zu den Schlüsselbeinen, wo der Vagusnerv entlang der Carotis-Arterie verläuft. Atme auch hier ruhig und bewusst und spüre nach innen.

(30 Sekunden oder 5–6 sanfte Atemzüge)

4. Klopf-Massage

Vagusnerv Kari Zabel: Klopf Massage

Atme sanft ein und beginne mit deinen Fingerkuppen sanft über deine Brust zu klopfen. Beim nächsten Atemzug wanderst du weiterhin klopfend abwärts zu Brustbein und Solarplexus. Einen weiteren Atemzug lang massierst du sanft klopfend deinen Bauch. Diesen Ablauf – jeweils einen Atemzug lang Brust, Solarplexus, Bauch – wiederholst du 2–3 Mal.

5. Gebundene Nackendehnung

Vagusnerv Kari Zabel: gebundene Nackendehnung

Ausgehend von einer Haltung, bei der beide Hände auf den Oberschenkeln liegen, schlingst du nun deine rechte Hand hinter dem Rücken knapp oberhalb des Ellenbogens um deinen linken Arm. Atme langsam ein und neige deinen Kopf dann mit der Ausatmung nach links. Halte die Augen dabei geöffnet und richte deinen Blick etwa 10 Zentimeter oberhalb der linken Schulter aus. Die Augen sind mit dem Vagusnerv verbunden und unterstützen die Stimulation.

(30 Sekunden oder 5–6 sanfte Atemzüge)

6. Nackendehnung mit leichtem Druck

Vagusnerv Kari Zabel: Nackendehnung mit leichtem Druck

Ausgehend von der vorigen Dehnungshaltung mit dem nach links geneigten Kopf hebst du jetzt den linken Arm, streckst ihn nach oben, beugst den Ellenbogen und legst deine linke Hand von oben auf das rechte Ohr. Der Blick geht weiterhin oberhalb der Schulter entlang zur Seite.

(30 Sekunden oder 5–6 sanfte Atemzüge)

Anschließend übst du beide Varianten der Nackendehnung (Übung 5 und 6) seitenverkehrt.

7. Augenübungen

Vagusnerv Kari Zabel: Augenübungen

Auch hier nutzen wir Augenbewegungen, um den Vagusnerv zu stimulieren. Richte dich noch einmal bewusst im Sitzen auf und kreuze deine Hände über der Brust. Achte darauf, deinen Kopf nicht zu bewegen, während du nun nacheinander nach rechts, nach unten, nach links und nach oben schaust. Schließe deine Augen einen Moment und entspanne sie, bevor du 4 weitere Runden der Augenbewegungen übst.

8. Tiefe Nackendehnung

Vagusnerv Kari Zabel: tiefe Nackendehnung

Verschränke deine Hände hinter dem Rücken, beuge deine Ellenbogen und lege die Hände an die rechte Taille. Achte darauf, dass deine Wirbelsäule aufgerichtet ist, ohne die Rippen nach vorn zu schieben. Aus dieser Haltung neigst du deinen Kopf nach rechts. Bleibe etwa 30 Sekunden oder 5–6 sanfte Atemzüge lang in dieser Dehnung, dann löst du sie behutsam auf und wechselst zur anderen Seite.

Halte einen Moment lang inne. Welche der bisherigen Übungen hat dich am meisten angesprochen? Bei welcher hattest du das Gefühl, dein Nervensystem besonders wirksam zu beruhigen und aus deinem Stressmuster herauszufinden? Wenn du magst, wiederholst du diese Übung noch einmal.

9. Katze-Kuh

Vagusnerv Kari Zabel: Katze-Kuh

Zum Abschluss mobilisiert und lockerst du die gesamte Wirbelsäule mit einer sanft fließenden Bewegung: Beginne im Vierfüßlerstand mit neutraler Wirbelsäule. Dann rundest du in der Ausatmung den Rücken nach oben und senkst den Kopf. Mit der Einatmung hebst du den Kopf, weitest die Brust und kommst ins Hohlkreuz. Lasse die Bewegung wirklich deiner Atmung folgen (nicht umgekehrt) und wiederhole die Bewegung so oft, wie sie dir guttut.

10. Stellung des Kindes

Vagusnerv Kari Zabel: Stellung des Kindes

Schließe die Praxis ab, indem du aus der Katze-Kuh-Bewegung mit einer Ausatmung das Becken nach hinten auf die Fersen und die Stirn zum Boden sinken lässt. Dabei kannst du die Arme wie hier gezeigt längs des Körpers nach hinten ablegen oder mit den Händen ein Kissen für deine Stirn bilden. Spüre deine Atmung am Rücken. Dann spüre sie am Bauch. Lass dir so viel Zeit, wie du möchtest, bevor du dich wieder aufrichtest und behutsam die Augen öffnest.

Weitere Tipps zur Stimulation des Vagusnervs

Summen und Brummen: Sanfte Töne, die in Kopf und Brust vibrieren, sind eine wunderbare Ergänzung zum Klopfen und Ausstreichen – oder eine eigene Praxis für zwischendurch.

Beruhigendes YogaYin und Restorative Yoga, Pranayama und regelmäßige Meditationen bringen das Nervensystem in die Balance.

Rausgehen: Spaziergänge, Waldbaden, Gärtnern, Radeln – Zeit in der Natur wirkt ganz unmittelbar entspannend.

Gurgeln: Ähnlich wie das Summen in Kehle und Brust bewirkt Gurgeln eine Stimulation des Vagusnervs in der Rachenregion.

Lachen: Wann hast du zum letzten Mal herzhaft gelacht? Tu es öfter!
Schau lustige Filme und umgib dich mit Menschen, die dich zum Lachen bringen. Das macht nicht nur gute Laune, es wirkt auch unmittelbar aufs Nervensystem.


Kari Zabel ist Jivamukti-Yogalehrerin, Wellness-Trainerin und Functional Medicine Nutritionist. Ihre individuell abgestimmte 1-zu-1-Arbeit beinhaltet unter anderem funktionelle Labortests zu Hormon- und Cortisolspiegel und Tests zur Verdauungsgesundheit. Die gebürtige US-Amerikanerin lebt in München, unterrichtet aber auch jährlich etwa zehn Retreats im Ausland. Mehr zu Kari Zabel findest du auf ihrer Website und auf Instagram @karimzabel


Hier findest du noch mehr Informationen zum Vagusnerv:

Geben Ziele dem Leben einen Sinn? Ein kleiner Perspektivenwechsel …

Es ist jedes Jahr das gleiche Spiel: Ein neues Jahr beginnt und wir bemühen uns, unsere kleinen wie großen Lebensziele neu zu definieren. Doch geben Ziele dem Leben wirklich einen Sinn? So sehr, wie wir ihnen oft nachjagen, könnte man das annehmen: Karriere machen, die große Liebe finden, die Welt bereisen, Erfüllung erfahren – darum geht es doch, oder? Vielleicht ist es Zeit für einen kleinen Perspektivenwechsel …

Text: Carmen Schnitzer / Titelbild: Eberhard Grossgasteiger via Unsplash

“Die Erde könnte sich alleine gefühlt haben, und dann hat sie’s probiert und probiert, bis Leben auf die Erde kam.” Ein Zitat aus dem YouTube-Video “Kinder erklären den Sinn des Lebens”, hochgeladen von einem User namens Ron0964. Auffällig ist, wie oft in dem Achtminüter das Wort Liebe fällt, wie oft von der Verbindung mit anderen und der Umwelt die Rede ist – und selbst Achtsamkeit kommt vor, wenn man so will (“Barfuß laufen!” “Abenteuer!”). Wofür wir auf der Welt sind? “Um mit der Mama zu kuscheln.” “Um die Natur zu beschützen.” “Um gut zu leben.” “Um anderen Menschen Freude zu machen.” Oder so schlicht wie schön: “Ich glaube, wir sind auf der Erde, weil wir aus Liebe sind.”

Die Botschaften sind so herzerwärmend wie philosophisch, so schlicht wie wahr, dass einem glatt der Gedanke kommen kann: Was bitte passiert mit uns, dass wir uns von diesem kindlichen Urwissen mit der Zeit so stark entfernen? Irgendwie irgendwann sind die meisten von uns an einen Punkt gekommen, an dem “etwas erreichen” zu einer unserer wichtigsten Antriebsfedern wurde, aus der wir eine vermeintliche Sinnhaftigkeit ziehen, die letztlich keine ist.

Ziele und ihre Grenzen

Googelt man “So erreichst du deine Ziele”, erhält man über 900.000 Treffer, gibt man es auf Englisch ein, “How to achieve your goals”, dann kann man noch drei Nullen dranhängen. Und ja, Ziele zu haben ist wichtig, da ist man sich in der psychologischen Forschung weitgehend einig. Denn ohne sie gibt es keine Orientierung, keine Weiterentwicklung – und damit Stillstand. Als Kleinkinder lernen wir zum Beispiel laufen, sprechen, selbstständig essen, später dann absolvieren wir Schulabschlüsse, Aus- und Weiterbildungen, gründen Familien, gehen auf Reisen, übernehmen Ehrenämter und, und, und. Tun Dinge, die uns motivieren, jeden Tag aufzustehen und die wir für bedeutsam halten.

Tatsächlich findet man abseits der üblichen “So wirst du happy”-Coachingseiten aber immer wieder den Hinweis, man solle seine Ziele ruhig öfter mal aus den Augen verlieren, wolle man ein erfülltes, ein glückliches Leben führen. Auch der renommierte Hirnforscher Gerald Hüther stellt in einem Podcast auf zukunftsinstitut.de fest: “Ziele haben immer diese unangenehme Eigenschaft, dass man sie erreichen kann.”

Foto: Yulia Gadalina via Unsplash

Was kommt nach dem Ziel?

Was er damit meint: Die Bedeutsamkeit – und damit der Sinn – eines Zieles nimmt ab, sobald wir am angestrebten Punkt angekommen sind. Mit der Zeit wird das Erlangte zur Selbstverständlichkeit, ein neuer Motivator muss her. In einer im Zusammenhang mit der Glücksforschung gern zitierten, 2010 veröffentlichten Studie hatten die Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und Angus Deaton zum Beispiel herausgefunden, dass das subjektive Glücksempfinden bis zu einem Jahreseinkommen von 75.000 US-Dollar (damals ca. 60.000 Euro) steige, danach aber nicht mehr zunehme.

Mittlerweile gibt es Forschungen, die diese Grenze (die sich so natürlich nicht auf jedes Land der Erde übertragen lässt) deutlich weiter oben ansetzen, die Kernaussage aber bleibt: Irgendwann geht es nicht mehr weiter, irgendwann ist das Ziel erreicht, ein neues muss her. Man gucke sich dann um und finde schließlich “meistens etwas bedeutsam, was man bei der Verfolgung des ersten Zieles besonders stark vernachlässigt” habe, so Hüther im genannten Podcast.

Wenn das Ziel neue Fragen aufwirft

Wer sich jahrzehntelang für die Familie aufgeopfert hat, möchte vielleicht endlich beruflich durchstarten, während derjenige, der einen Großteil seiner Energie in seinen Job gesteckt hat, um einen gewissen Wohlstand zu erreichen, sich nun womöglich mehr auf Liebe und Freundschaften konzentriert … oder auf das, was ihm zwar weniger Geld, dafür wirkliche Erfüllung bringt. Nicht selten haben zum Beispiel die Frauen, die wir auf unserer “Women in Business”-Seite des Print-Magazins porträtieren, steile Karrieren gemacht, die sie irgendwann hinter sich ließen, um sich ganz der Weitergabe von yogischem Wissen zu widmen. Gut möglich, dass du auch so jemanden kennst – oder dich gerade selbst ertappt fühlst …?

Nun ist ein Jahreseinkommen, das einem ein komfortables Leben ermöglicht, natürlich nicht wirklich “unangenehm”, um kurz auf Hüthers Zitat zurückzukommen, genauso wenig wie der Erhalt eines Abitur-Zeugnisses oder das Erreichen des Wohlfühlgewichts – allein: Ein Garant für tiefe, langfristige Erfüllung sind sie nicht.

Lieber die Ziele aus den Augen verlieren?

Dennoch sei an dieser Stelle kurz eine interessante Studie der Universität Zürich von 2011 erwähnt, derzufolge es für Abnehmwillige sinnvoll ist, nicht auf eine konkrete Kilozahl als Ziel hinzuarbeiten, sondern sich stattdessen auf seine geänderten Lebens- und Essgewohnheiten zu fokussieren. Probandinnen, die Letzteres befolgten, ihr eigentliches Ziel also “aus den Augen verloren”, waren langfristig erfolgreicher, was ihre Gewichtsreduktion anging, und konnten mit zwischenzeitlichen Rückschlägen besser umgehen als die mit der fixen Kilozahl im Kopf, die schneller in alte Muster zurückfielen – und dann womöglich frustriert waren.

Denn, so eine These der Professoren Dilip Soman und Amar Cheema in einer 2004 im Journal of Consumer Research veröffentlichten Studie: Wer ein Ziel, das er sich gesetzt hat, nicht erreicht, leidet meist mehr als der, der erst gar keines hatte. Das Selbstbild bekomme zum Beispiel Risse, oder der*die Betreffende lasse sich hängen und entferne sich weiter vom Erstrebten als zuvor. Dass das Nicht-Erreichen eines “Zieles” aber auch positive Aspekte haben kann, dazu später mehr.

Kurz noch zum oben genannten Beispiel derjenigen Frauen aus der Zürich-Studie, die sich nicht auf ihr Traumgewicht konzentriert und es gerade deshalb erreicht haben – hier könnte man, frei nach dem chinesischen Philosophen Konfuzius (ca. 551–479 v. Chr.) sagen: Der Weg ist das Ziel und das Ziel ist der Weg – der mit dem Erreichen der gewünschten Kilozahl weitergegangen werden muss, möchte man diese halten. Ankommen, aber nicht anhalten sozusagen. Dennoch, machen wir uns nix vor: Dass das persönliche Traumgewicht zwar eine nette Sache ist, als tieferer Sinn des Lebens jedoch nicht taugt, darüber sind wir uns vermutlich einig. Da muss es doch mehr geben …

Bewahren statt Streben

Foto: Karen Cantu via Unsplash

Mit zunehmendem Alter, so das Ergebnis der Studie “Nie zu alt? Älterwerden zwischen Offenheit und Bewahrung” des Züricher Gottlieb Duttweiler Institutes (GDI) von 2020, verlieren materielle, status- und wachstumsgeprägte Ziele wie Familiengründung, Karriere oder Hausbau (oder Gewichtsreduktion aufgrund von Schönheitsidealen) an Bedeutung, stattdessen rücken die in den Fokus, die auf das Bewahren eines bereits gegebenen Zustandes setzen: Gesundheit etwa oder ein langes Leben. Altersunabhängige Ziele dagegen sind (Beziehungs-) Glück, Reisen und erstaunlicherweise Auswandern, für das sich auch die älteren Befragten offen zeigten.

Ein Forschungsteam um den US-Psychologieprofessor Ben Wilkowski machte indes auf der Suche nach Antworten auf die Frage “Was wollen Menschen?” vier Kernziele aus, die man unter den Schlagworten Prominence (Wichtig sein: sozialer Status, Respekt, Bewunderung), Inclusiveness (Verbundenheit: Freundschaft, Loyalität, soziales Engagement), Negativity Prevention (das Vermeiden von Unannehmlichkeiten wie Ärger, Stress oder Ablehnung) und Tradition (Kultur, Disziplin, Religion) zusammenfasste, wobei wir uns je nach Charakter und Lebenserfahrungen zu dem einen mehr, zu dem anderen weniger hingezogen fühlen dürften.

Was bewirken wir in der Welt?

Aus yogischer Perspektive sicher am interessantesten ist der Punkt Verbundenheit, wobei man ihn aus diesem Blickwinkel heraus noch weiter fassen darf – als Verbundenheit nämlich, die über bloße Freundschafts- und Liebesbeziehungen hinaus Bedeutung hat. Wenn wir uns als Teil eines großen Ganzen begreifen, als Teil der irdischen Welt und des Universums, dann versteht es sich von selbst, dass die Ziele in unserem Leben, der Sinn und Zweck unseres Daseins nicht allein – im Grunde eigentlich gar nicht – auf persönlichen Erfolgen und Errungenschaften fußen können. Dass wir dementsprechend unser Tun auch und insbesondere danach ausrichten sollten, was es in der Welt bewirkt.

Auch im Gerald-Hüther-Gespräch kommt schließlich das Thema Gemeinschaft zur Sprache. Er plädiert dafür, zusammen etwas zu “verfolgen, was man nicht erreichen kann – und was einem aber trotzdem sehr am Herzen liegt”, um aus der Spirale herauszukommen, die unsere Gesellschaft von Ziel zu Ziel hetzen lässt, wo sie sich nach dem Erreichen (etwa eines gewissen Wohlstandes) stets neuer Unsicherheit und Sinnsuche ausgesetzt sieht. Dabei spricht er von gemeinsamen “Anliegen”. Ein Wort, das auch Yoga-Vidya-Gründer Sukadev Bretz in einem auf wiki.yogavidya.de zu findenden Vortrag benutzt und dem Begriff “Lebensziel” vorzieht. Er richte sein Leben darauf aus, “anderen Menschen Gutes zu tun. […] Neues zu lernen, Fähigkeiten zu kultivieren, Erfahrungen zu machen. Neugierig zu sein.” Oder schlicht auf “Gottverwirklichung”.

Anliegen statt kurzfristige Ziele

Mit “Anliegen” habe man, so Gerald Hüther, hierzulande “nicht so sehr viel Erfahrung, weil wir natürlich immer sehr schnell in diese Zielorientierung gehen.” Die gelte es zu überwinden. Ein solches Anliegen könne zum Beispiel sein, niemals die eigene oder die Würde eines anderen Menschen zu verletzen. Oder aber, sich für den Erhalt der Artenvielfalt auf diesem Planeten einzusetzen. Das könne das ganze Leben bestimmen, auch wenn es im Zusammenleben unvermeidbar sei, dass es etwa zu Beschädigungen der Würde komme. Auch werden wir es wohl nicht erleben, dass der Mensch die Umwelt gar nicht mehr verschmutzt.

Nichtsdestotrotz bekäme auf diese Weise das Leben “eine Orientierung, die über das Erreichen kurzfristiger Ziele hinausreicht.” Aus neurobiologischer Sicht wirke ein solches “mit voller Kraft und vollem Herzen angestrebtes Anliegen kohärenzstiftend”. Sprich: Es bringt das Hirn, auf das tagtäglich jede Menge Chaos einprasselt, zur Ruhe, erleichtert ihm seine Arbeit und schafft eine gewisse Form von Ordnung, Halt und damit Zufriedenheit. Vielleicht sogar Glück. Vielleicht sogar Sinnhaftigkeit.

Wie Sinn uns Kraft gibt

Foto: Eberhard Grossgasteiger via Unsplash

Wenn wir uns den konfuzianischen Weg, der das Ziel ist, bildlich vorstellen, könnte man vielleicht sagen: immer der Sonne nach! Die strahlt mal hell, ist mal von Wolken verdeckt, je nach Tageszeit in unterschiedlichen Himmelsrichtungen zu sehen, aber sie ist immer da – um zu wärmen und Verbindung zu schaffen. Apropos, Stichwort Kohärenz, siehe oben: Wer sein Leben als kohärent empfindet, darin also Sinnzusammenhänge findet, auch solche, die über die eigene Existenz hinausgehen, dessen Resilienz, sprich seelische Widerstandsfähigkeit, ist in der Regel ausgeprägter als bei denjenigen, denen ein solches Kohärenzempfinden fehlt.

Dem israelisch-US-amerikanische Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1923–1994) zufolge basiert dieses Gefühl auf drei Faktoren: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit. Soll heißen: Wenn ich Herausforderungen, mit denen ich konfrontiert werde, nachvollziehen und sie in mein Leben einordnen kann, wenn ich überzeugt davon bin, mein Dasein selbst (mit-)gestalten zu können und dafür die passenden Ressourcen zur Verfügung zu haben, wenn ich fest daran glaube, dass das, was ich tue, auch wenn es Mühe kostet, einen Sinn hat – und wenn ich mir darüber hinaus Einwirkungen von außen und innen erklären kann, dann fühle ich mich seelisch gesund und stabil genug, mein Leben zu meistern, auch wenn es Widerstände gibt.

Ziele? Jein, danke!

Fazit: Kurzfristige Ziele, sofern wir sie nicht verbissen und stur “geradeaus” verfolgen, sondern mit einer gewissen Offenheit nach “links und rechts”, können unser Leben zwar bis zu einem gewissen Grad strukturieren und eine grobe Form von Orientierung schaffen, für ein nachhaltiges Gefühl von Sinnhaftigkeit braucht es allerdings etwas, was über unser eigenes kleines Dasein hinausgeht. Ein Ideal, dem anzunähern wir uns stetig bemühen, in dem vollen Bewusstsein, dass wir es nie erreichen werden. Lassen wir das Schlusswort den kleinen Philosophinnen und Philosophen vom Beginn dieses Artikels: “Wir sind auf der Welt, weil wir ein Teil der Geschichte vom Leben sind.” Und: “Für mich ist der Sinn des Lebens die Liebe.”


Carmen_Schnitzer, Autorin Yoga Journal

Carmen Schnitzer arbeitet als Journalistin und schreibt seit Jahren für das YOGAWORLD JOURNAL. Eines ihrer langfristigen Ziele: Sie möchte dazu beitragen, dass Menschen “bunter” denken. Erfahre mehr über die Autorin und besuche ihre Facebook-Seite.


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Den Boden bereiten: Tipps für deine Sankalpa-Praxis

Der Jahresbeginn ist die Zeit der guten Vorsätze. Vielleicht kennst du die Sankalpa-Praxis, um Intentionen ins Leben zu tragen? Was dabei in Yogakreisen häufig übersehen wird: Nach hinduistischer Überzeugung gehört dazu nicht nur aufrichtige Hinwendung, sondern auch eine bewusste Vorbereitung.

Text: Rina Deshpande / Titelbild: Arthon Meekodong via Canva

Als Autorin beginnt meine Arbeit an einem Artikel wie diesem schon lange bevor ich mich hinsetze und anfange zu schreiben. Ich habe vielleicht schon früh eine vielversprechende Idee, aber ich weiß auch: Wenn ich es versäume, ein gutes Umfeld vorzubereiten und zu kultivieren, dann werde ich mit meinem Text Schwierigkeiten haben. Nur wenn ich mir etwas Zeit nehme, um Ordnung rings um mich zu schaffen und mein Inneres zu klären, finde ich auch die nötige Willenskraft und Flexibilität, die ich brauche, wenn (wie fast immer beim Schreiben) früher oder später Hindernisse auftauchen. Ich räume also meinen Arbeitsplatz auf, mache es mir schön und genauso bereite ich auch meinen Körper und meinen Geist vor. Es ist, als ob ich den Boden bereiten würde, bevor ich neue Pflanzen aussäe.

Auch mit dem Prozess, eine ernsthafte Intention zu formulieren und im Geist zu verankern, den wir im Hinduismus und im Yoga als Sankalpa kennen, verhält es sich so: Wie beim Gärtnern wollen wir etwas ins Leben und zum Blühen bringen und dafür braucht es den richtigen Boden und aufmerksame Pflege. Sankalpa ist ein sehr altes Konzept und wird im Hinduismus auf viele Praktiken und Rituale angewandt. Zum Beispiel beginnen wir das Gebetsritual, die Puja, oft mit Mantra (Wiederholung heiliger Silben) oder anderen Formen von Bhakti (hingebungsvollem Glauben).

Was bedeutet Sankalpa?

Sankalpa wird manchmal synonym zum Begriff “Intention” verwendet, aber es ist viel mehr als ein Wunsch oder ein Vorsatz. Zur Sankalpa-Praxis gehört auch, dass man seine inneren und äußeren energetischen Knoten auflöst und zu dem vordringt, was wirklich aus dem Herzen kommt. Diesen frischen spirituellen Samen der Veränderung kann man dann einpflanzen und pflegen.

Auf diese Weise unterstreichen wir, dass es sich nicht einfach um irgendeine Verrichtung handelt, sondern dass mehr dazu gehört, eben Sankalpa: ein aufrichtiger Vorsatz, fast so etwas wie ein Gelöbnis. Mit ihm erkennen wir an, dass im Lauf unseres Gebetsrituals, wie eigentlich überall im Leben, mit einiger Wahrscheinlichkeit Schwierigkeiten auftauchen werden. Gleichzeitig versichern wir uns aber selbst, dass wir alles, was uns zur Verfügung steht, all unsere tief im Herzen empfundene Entschlossenheit und Achtsamkeit, aufbringen werden, um diese Zeremonie zu Ehren des Göttlichen und unserer Ahnen zu vollenden.

Hier ist ein ausführlicher Artikel zu Sankalpa und 5 Schritte auf dem Weg dorthin.

Reinigung

Aber schon vor dieses Sankalpa, das das eigentliche Tun mit unserer Hingabe und Willenskraft untermauert, setzen die Hindu-Traditionen vorbereitende Schritte. Mit ihnen sollen wir uns selbst reinigen und einen Raum schaffen, in dem sich unsere Intention gut entfalten kann. In der östlichen Tradition nehmen wir zunächst ein “Kopf-Bad“. Das heißt: Wir waschen uns von Kopf bis Fuß (denn historisch war das Waschen und Ölen des Haars ein geheiligtes Ritual, das man nicht täglich ausführte). Dann ziehen wir frische Kleidung an. Wir nehmen sattvische (also reine, ausgewogene) Nahrung und Getränke zu uns und wir versuchen, unsere Praxis auf eine glücksversprechende Tageszeit zu legen.

Auch der Ort, an dem wir beten, sei es nun zu Hause, in einem Tempel oder irgendwo anders, wird normalerweise zuvor gründlich gereinigt. Schon die Bhagavad Gita erklärt, dass die Reinigung unserer äußeren Umgebung und unseres Körpers auch helfen kann, den Geist von Schmutz und Ballast zu befreien. Das erleichtert es uns, reine, wirklich vom Herzen kommende Intentionen freizusetzen. Und erst an diesem Punkt beginnt Sankalpa.

Wie man sich bettet, so liegt man

Sankalpa: Ordnung
Foto: Pexelshot via Canva

Ein einfaches Beispiel illustriert das vielleicht: Stell dir vor, du bist spätabends von der Arbeit zurückgekommen. Du fühlst dich müde und erschöpft von dem langen Tag und sehnst sich nach nichts anderem als einer guten Nacht, damit du ruhig schlafen und dich erholen kannst. Aber dann stellst du fest: Dein Bett ist nicht gemacht. Die Bettwäsche ist völlig zerknittert, die Decke halb aus dem Bezug gerutscht, die Kissen sind schon ewig nicht gewaschen und riechen muffig, ringsum Bücher, Zeitschriften und Krümel.

Du bist so müde, dass du dir sagst: “Oh je, das sieht ja nicht einladend aus, aber was soll’s, ich nehme es jetzt, wie es ist. Ich muss einfach schlafen.” Also legst du dich hin und schläfst auch gleich ein, aber deine Nacht ist nicht wirklich erholsam. Dein Schlaf ist unterschwellig gestört von dieser ungemütlichen Umgebung.

Jetzt stell dir vor, wie es sich anfühlen würde, wenn du dich in ein sauberes Bett legtest: glatte, duftende Wäsche, fluffige Kissen, eine klare, aufgeräumte Umgebung. Du kuschelst dich hinein und sagst dir: “Mein Bett fühlt sich einfach himmlisch an. Ich bin so glücklich. Sicher werde ich wunderbar schlafen.” Auf Sankalpa bezogen bedeutet das: Deine Intentionen werden sich nicht so gut entfalten können, wenn sie in eine unvorbereitete, unreine Umgebung kommen, ihr Potenzial ist reduziert.

Genauso macht es umgekehrt eine sorgfältig bereitete, geklärte Umgebung wahrscheinlicher, dass freudvolle Intentionen entstehen und du sie voller Zuversicht in dir verankern und gedeihen lassen kannst. Es ist genau wie bei einem sauberen, angenehmen Bett: Du fühlst dich wohl und bist dir sicher, dass du wunderbar schlafen wirst, anstatt nur zu denken: “Ich muss jetzt schlafen.” Mit anderen Worten: Die Hindernisse schwinden und deine positiven Wünsche können sich besser manifestieren.

Die Sache mit den guten Vorsätzen

Sankalpa: Vorsätze
Foto: Vlada Karpovich via Canva

Im modernen Yoga wurde die traditionelle Sankalpa-Praxis adaptiert, damit wir bewusst und zielstrebig in ein neues Sonnenjahr oder überhaupt in eine neue Phase oder Jahreszeit starten können – eigentlich so, wie man auch einen spirituellen Vorsatz fasst. Leider zeigt die moderne Forschung aber, dass nur sehr wenige Menschen solche Neujahrsvorsätze dauerhaft umsetzen und tatsächlich Veränderung herbeiführen können.

Gut 80 Prozent verlieren ihre Intentionen im Lauf der Zeit wieder aus den Augen. Bestes Beispiel ist die hemmungslose Schlemmerei während der Feiertage, die wir gerne mit dem Schwur verbinden, im Januar würde sich das dann alles drastisch ändern: viel Sport, viel Yoga, gesunde Ernährung, kein Alkohol. Die meisten starten auch ganz konsequent mit Clean Eating oder was immer sie sich vorgenommen haben, aber nach ein paar Wochen oder Monaten setzt die Eigendynamik der Gewohnheiten wieder ein: Die Intentionen geraten entweder in Vergessenheit oder werden schlechten Gewissens ignoriert.

Woran liegt das?

Ich glaube, die versteckte Schwierigkeit, an einer Intention auch auf Dauer festzuhalten und sie zum Blühen zu bringen, liegt darin begründet, dass die eingepflanzte Saat selbst nur oberflächlich war. Sie kam nicht wirklich tief aus dem Herzen. Ein echtes Sankalpa zu finden und zu kultivieren, eines das das gesamte Jahr über gedeiht, das geht nach meiner Überzeugung nur, wenn du dich vorbereitest. Im Kasten mache ich dir dazu ein paar Vorschläge.

So bereitest du deine Sankalpa-Praxis vor

Bevor du dich auf deine Matte setzt, um mit deinen Intentionen zu arbeiten und sie in ein Sankalpa zu gießen, nimm dir etwas Zeit, um Körper, Geist und deine Umgebung gut darauf vorzubereiten. Die folgenden Tipps unterstützen dich darin, Reinheit und Klarheit in deiner Sankalpa-Praxis zu finden:

• Trage saubere und atmende Kleidung,
in der du dich in deinen Asanas und der Meditation richtig wohlfühlst. Lockere, natürliche Baumwollstoffe sind auch energetisch durchlässiger als enge synthetische Outfits.

• Kläre deine Übungsumgebung. 
Räume so viele Dinge weg, wie möglich. Wenn du den Raum teilst oder Dinge nirgendwo sonst verstauen kannst, dann schaffe eine möglichst klare Ordnung.

• Achte vor der Praxis auf deine Ernährung. 
Wie steht es zum Beispiel mit deinem Frühstück? Viel Zucker und Koffein? Vielleicht kannst du es eintauschen gegen etwas “Reineres”? Ich liebe zum Beispiel den Duft und Geschmack von Kaffee (genau wie meine Familie seit Generationen),
aber ich trinke davor eine Tasse warmes Wasser, um meinen Verdauungstrakt zu besänftigen.

• Achte darauf, was du liest und ansiehst. 
Natürlich ist es wichtig, angesichts der schwierigen, herzzerreißenden globalen Ereignisse gut informiert zu sein. Genauso wichtig ist es aber, gesunde Grenzen dabei zu etablieren, wieviel du scrollst oder ansiehst. Nur so hast du die Kraft für positive Transformation.

• Herzenswünsche identifizieren. 
Wir alle haben Intentionen und Sehnsüchte, die aus dem Denken und dem Ego stammen, und solche, die im Herzen geboren werden. Beim Herausfiltern deiner wahren Herzenswünsche helfen dir Kriya Pranayama, also reinigende Atemübungen, die den Körper mit frischem Sauerstoff versorgen und die Fesseln des Geistes lösen. Zum Beispiel Bhastrika: 27 schnelle Ein- und Ausatmungen.

• Negativ oder positiv? 
Frage dich, ob deine Intentionen aus einer positiven Denkweise kommen, oder ob sie vor allem Negatives vermeiden wollen? Wie beim Beispiel vom ungemachten Bett im Text, kann es deine Intention sein, jetzt nur noch ganz schnell zu schlafen, aber du bleibst dabei in einem negativen Lebenskreislauf. Umgekehrt ist beim Beispiel des gemachten Betts die Intention schon angefüllt mit Freude und Zuversicht. Solche freudvollen Samen des Herzens bringen mehr positive Energie in dein System und helfen dir, deine Intention, deine Bestimmung, lebendig zu halten.

In meiner Familie und in der indischen Kultur, aus der ich stamme, wird Sankalpa seit Generationen praktiziert. Für mich ist es selbst ein Samen, der vor vielen Jahrhunderten eingepflanzt wurde und seither wächst und gedeiht, damit auch ich ihn weiter pflege. Ich fühle mich geehrt, ihn mit dir zu teilen. Mögen auch deinem geklärten Umfeld und deiner von Herzen kommenden Saat der Intention so ein langes Leben beschert sein. Auf dass du sie nicht nur durch das nun beginnende Jahr trägst, sondern ihre Kraft auch andere positiv beeinflusst – vielleicht sogar viele Generationen lang.


Rina Deshpande lehrt, erforscht und schreibt seit über 15 Jahren über Yoga und Achtsamkeit. Ihre Artikel erschienen bei uns, Huffington Post, Self Magazine und vielen anderen. Außerdem hat sie 2022 ein Kinderbuch verfasst und selbst illustriert: “Yoga Nidra Lullabay“. Erfahre mehr über Rina und besuche sie auf ihrer Website oder ihrem Instagram-Account @rinathepoet

Hier bekommst du noch weitere Vorschläge, wie du ins neue Jahr starten kannst: