Nach Alzheimer ist Parkinson die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Die Physiotherapeut*innen und Yogalehrer*innen Lena Braun und Daniel Völker erklären, was man über die Erkrankung wissen sollte – und worauf es in der Yogapraxis für Betroffene ankommt.
Text: Lena Braun und Daniel Völker / Titelbild: somedazeare von baseimage via Canva
Oft beginnt es mit so banalen Symptomen wie Müdigkeit, Muskelschmerzen, Sehstörungen oder einer diffusen Zittrigkeit. Doch für etwa 400 000 Menschen in Deutschland lautete irgendwann die Diagnose: Morbus Parkinson. Meistens geschieht das laut Deutscher Parkinson-Gesellschaft zwischen dem 55. und dem 60. Lebensjahr, bei jedem zehnten Betroffenen aber schon vor dem 40. Geburtstag. Die Symptome entwickeln sich oft nur sehr langsam und können von Person zu Person unterschiedlich sein, doch die Perspektive ist zunächst furchteinflößend: Parkinson ist nicht heilbar und verursacht einen langsamen Abbau von bestimmten Nervenzellen, insbesondere im Mittelhirn – mit der Konsequenz, dass man allmählich die Kontrolle über den eigenen Körper verliert.
Was bei Parkinson im Körper passiert
Weil die betroffenen Nervenzellen den Botenstoff Dopamin produzieren und dann zu wenig Dopamin vorhanden ist, gerät das System aus dem Gleichgewicht und die komplexen Schaltkreise wichtiger Hirnregionen funktionieren nicht mehr so, wie sie sollten. Zentral sind dabei die sogenannten Basalganglien, Kerngebiete des End-, Zwischen- und Mittelhirns, die vor allem für die Bewegungsplanung, -steuerung und -modulation zuständig sind, die aber auch wichtige Aspekte unseres Fühlens und Verhaltens regeln. Entsprechend vielseitig sind die Symptome: Am häufigsten sind Zittern (Tremor), ein erhöhter Muskeltonus mit Steifigkeit der Muskeln (Rigor), verlangsamte Bewegung (Bradykinese) sowie Instabilität und Gleichgewichtsstörungen. Betroffene zeigen vielfach einen nach vorne geneigten Oberkörper, ihre Hüftbeweglichkeit ist eingeschränkt und sie gehen unsicher in kleinen Trippelschritten, ohne die Arme mit zu bewegen. Neben solchen motorischen Aspekten können Symptome wie Müdigkeit, Depressionen, Angststörungen oder Schmerzen Parkinson-Patient*innen das Leben schwer machen.
Mit Parkinson leben
Die Parkinson-Forschung hat in der jüngeren Vergangenheit riesige Fortschritte gemacht. In erster Linie wird die Krankheit mit Medikamenten behandelt, die den Dopaminmangel ausgleichen und die neurologischen Störungen wirksam eindämmen können. Auch psychologische Unterstützung, Physio- oder Ergotherapie und überhaupt viel Bewegung tragen dazu bei, dass viele Patient*innen gut mit der Erkrankung klarkommen und ihr Verlauf sich verlangsamt. Das ermöglicht vielen über lange Jahre eine gute Lebensqualität. Dass auch Yoga ein sinnvoller Baustein in einer ganzheitlichen Strategie sein kann, rückt erst in letzter Zeit in den Fokus – und wird jetzt auch zunehmend durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt.

Yoga und Parkinson – Symptomlinderung durch Praxis
So zeigt eine 2013 durchgeführte, mit Magnetresonanztomografie (MRT) gestützte Studie, dass schon ein achtwöchiges Yogaprogramm die Vernetzung der grauen Substanz im Gehirn stärkt. Diese Netzwerke spielen bei Morbus Parkinson eine wichtige Rolle. Darüber hinaus verbessert Yoga laut einer spanischen Studie von 2023 die Balancefähigkeit der Patient*innen. US-amerikanische Forscher*innen zeigten 2020, dass es bei wöchentlicher Praxis auch depressive Symptome von Betroffenen lindern kann. Eine weitere Untersuchung ergab 2019, dass Yoga sowohl die motorischen Fähigkeiten als auch die Lebensqualität bei Parkinson deutlich steigern kann. Die Autor*innen dieser Studie aus Hongkong betonen, dass dafür eine regelmäßige, auf Achtsamkeit ausgerichtete Praxis entscheidend ist.
All das unterstreicht etwas, das wir aus unserer eigenen Yogapraxis kennen: Regelmäßig und achtsam geübt kann Yoga sehr viel mehr sein als eine funktionale Gymnastik. Es wirkt ganzheitlich im gesamten Körper, in Seele und Geist – und das ist gerade bei einer so vielschichtigen Erkrankung wie Parkinson ein Vorteil von unschätzbarem Wert. Die Ziele sind dabei klar: Es geht um eine bessere Körperhaltung, das Training des Gleichgewichts, die Kräftigung der unteren Extremitäten, aber auch um den Abbau von Stress, die Linderung von Ängsten und Depressionen und darum, wieder mehr in die eigene Kraft und Eigenverantwortung zu kommen – mit anderen Worten: darum, in Bewegung zu bleiben.
Freezing – wenn plötzlich nichts mehr geht
Manchmal kann es bei Parkinson zu plötzlichen Wechseln zwischen guter Beweglichkeit und Unbeweglichkeit kommen. Das tritt häufig beim Gehen auf: Man bleibt “wie festgefroren” stehen und hat Schwierigkeiten, weiterzugehen. Mehrere Faktoren können dieses Phänomen begünstigen: komplexe Bewegungen, Richtungswechsel, aber auch enge Räume, Stress, Angst oder die Kombination aus motorischen und kognitiven Aufgaben (z.B. sprechen und etwas tragen). Deshalb sollte man im Yoga darauf achten, ausreichend Platz zu haben, sich nicht eingeengt zu fühlen und nicht überfordert zu werden.
Eine für Parkinson angepasste Praxis
Trotzdem bleibt Parkinson eine chronische und progressive Krankheit und das bedeutet: Die Ausprägung der Symptome nimmt mit der Zeit zu. Die Mediziner*innen Margaret Hoehn und Melvin Yahr unterteilten den Verlauf in fünf Stadien – und die Yogapraxis sollte sich natürlich nicht nur an die individuelle Ausprägung der Symptome anpassen, sondern auch an diese Stadien und ihre besonderen Merkmale.
Yoga im Frühstadium: Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit
Im frühen Stadium 1 der Erkrankung liegt der Fokus darauf, das Selbstmanagement zu unterstützen, Inaktivität vorzubeugen und die allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit zu erhalten und zu verbessern. Dazu eignen sich ganz besonders Stehhaltungen wie Virabhadrasana I und II (Krieger) sowie Trikonasana (Dreieck), die mit großen Armbewegungen kombiniert werden können, um das Gleichgewicht zusätzlich zu stärken. Bei Bedarf kann man sich an einem Stuhl oder an der Wand festhalten. Auf diese Weise kräftigt man die Beinmuskulatur, verbessert die Flexibilität der Hüften und fördert die Aufrichtung und Stabilität des Oberkörpers.
Yoga im mittleren Stadium: Förderung des Gleichgewichts
In den mittleren Stadien 2-4 besteht das Ziel darin, die Alltagsfähigkeit zu erhalten. Das wird zum Beispiel durch aktive Positionswechsel und die Förderung des Gleichgewichts erreicht. Sinnvoll sind zum Beispiel Übungen, bei denen man sich am Stuhl festhalten und den Transfer zwischen Boden und Stand üben kann, etwa eine abgewandelte Version des Sonnengrußes. In Übungen wie Setu Bandhasana (Schulterbrücke) werden die Hüftbeuger und die Brustwirbelsäule mobilisiert, was die Haltung und Beweglichkeit verbessern und erhalten hilft.

Zwei Tipps gegen zitternde Hände:
Meditation oder auch Yoga Nidra können die Entspannung fördern und sind ein wichtiger Bestandteil einer ganzheitlichen Praxis. Doch häufig stört das Zittern der Hände die Konzentration. Das Gewicht kleiner Sandsäcke auf den Händen kann hier helfen, das Zittern zu minimieren.
Zweite Möglichkeit: Die Hände bewusst bewegen und in die Meditation mit einbeziehen, zum Beispiel indem man sie einatmend weit öffnet und ausatmend schließt. Zweiteres ist auch eine gute Möglichkeit für eine beruhigende Mini-Mediation mitten im Alltag.
Yoga im späten Stadium: Vermeidung von Kontrakturen
Im fortgeschrittenen Stadium 5 liegt der Schwerpunkt auf dem Erhalt der Vitalfunktionen und der Vermeidung von Kontrakturen. Geeignet sind hier Übungen im Sitzen auf einem Stuhl oder in der Rückenlage auf dem Boden, bei denen der Fokus auf der Atmung, insbesondere der Einatmung, liegt. In allen Stadien empfiehlt sich eine Brahmana-Praxis, das bedeutet: ein energetisierendes, kräftigendes Üben. Dafür werden Asanas eher dynamisch ausgeführt, anstatt sie statisch zu halten. Ein weiterer Akzent liegt auf der Öffnung des Brust- und Schulterbereichs, es sollten also auch immer leichte Rückbeugen in der Praxis zu finden sein.
Atmung bei Parkinson
Ganz wichtig ist auch Pranayama: Eine betonte Einatmung hilft, die Energie ins Fließen zu bringen und kann Antriebslosigkeit, depressiver Verstimmung und der allgemeinen Bewegungsarmut entgegenwirken. Ein gutes Beispiel dafür ist Chandra Bedhana (Mondatmung): Diese Technik hat zugleich eine energetisierende und kühlende Wirkung und kann helfen, Unruhe zu reduzieren. Eine ruhige, gleichmäßige Atmung und ausgleichende Übungen wie Nadi Shodhana tragen dazu bei, das Nervensystem zu regulieren, was oft auch einen positiven Einfluss auf den Tremor hat.
Hier geht’s zum zweiten Teil dieses Artikels mit noch mehr Tipps für die Yogapraxis bei Parkinson und einer beispielhaften Stuhlyoga-Sequenz für die Stadien 2 bis 3:

Lena Braun ist Physiotherapeutin (M.Sc. Neuroorthopädie), Yogalehrerin und Yogatherapeutin in Ausbildung. In ihrem Münchner Studio ana.akazi unterrichtet sie Menschen mit körperlichen Einschränkungen.

Daniel Völker ist Physiotherapeut, Medizinpädagoge und Heilpraktiker. Er unterrichtet in Berlin Physiotherapeuten im Fachbereich Neurologie, Psychiatrie und Bewegungstherapie und gibt therapeutische Yogastunden.
Tipp: Gemeinsam haben Lena Braun und Daniel Völker ein Buch über Grundlagen und Didaktik von therapeutischem Yoga geschrieben. Es beschreibt, wie Yoga bei Erkrankungen wie MS, Long COVID, Parkinson oder HWS-Syndrom Beschwerden lindern und die Lebensqualität verbessern kann. Therapeutisches Yoga. Evidence based practice und Assessments in Neurologie, Orthopädie und Innerer Medizin (Elsevier, 55 Euro)
Yoga kann die körperliche und mentale Gesundheit auf vielseitige Art unterstützen. Weitere spannende Informationen dazu findest du hier:


































