Ayurveda Ernährungstipps für den Sommer: So kühlst du dich von innen

30 Grad im Schatten, warme Sommerluft und laue Nächte – der Sommer zeigt sich von seiner intensivsten Seite. So sehr wir die sonnigen Tage lieben, manchmal wünschen wir uns doch ein bisschen Abkühlung. Genau dafür haben wir etwas für euch: unser kühlendes Ayurveda-Rettungsprogramm.

Text: Nancy Rones / Titelbild: jakkapan21 von Getty Images via Canva

Von innen kühlen

Heiße Sommertage: Sonnenbaden unter blauem Himmel, Grillpartys mit Freunden, Happy Hour auf der Dachterrasse. Klingt eigentlich super, aber manchmal wirkt all das auch ganz schön aufreibend. Die Folge: ein gereizter, im wahrsten Wortsinn überhitzter, ziemlich unerträglicher Zustand. Jetzt könnte man die Hitze verfluchen und den unangenehmen Zustand irgendwie aushalten. Oder man beherzigt die Weisheiten des Ayurveda, der 5000 Jahre alten indischen Heilkunst. Ein Sommer-Burn-out lässt sich nämlich leicht vermeiden, wenn man die feurige Pitta-Kraft etwas zügelt. Jeder Mensch trägt diese Energie in sich. Während langer, heißer Sommertage baut sie sich auf, entfacht Aggressionen, Hyperaktivität, Streitsucht, schwächt das Immunsystem und begünstigt Kopfschmerzen, bis man irgendwann nur noch erschöpft ist.

Im Ayurveda geht es darum, die verschiedenen Energien im Gleichgewicht zu halten: feuriges Pitta, luftiges Vata und erdiges Kapha (siehe unten). Diese Balance ist Voraussetzung für körperliche und geistige Gesundheit. Indem man die ayurvedischen Grundsätze in die Ernährung, Lebensweise – und Yogapraxis – integriert, kann man Pitta beruhigen, Hitzeperioden gelassen überstehen und den Sommer einfach nur genießen.

Die 3 Doshas

Mit diesem Überbegriff werden im Ayurveda drei grundlegende Energien bezeichnet. Jedes Dosha beeinflusst verschiedene Körperteile und Funktionen im menschlichen Körper.

Vata ist eine Mischung aus Äther (Raum) und Luft. Es reguliert das Nervensystem und überwacht die mentalen und motorischen Aktivitäten wie Denken, Laufen, sowie Kreislauf und Verdauung.

Pitta besteht aus Feuer und Wasser und ist verantwortlich für die Verdauung (von Nahrung wie auch von Emotionen), für Stoffwechsel, Intellekt, Sehkraft, Blut und Haut.

Kapha kombiniert Wasser und Erde. Es beeinflusst die Struktur und Form des Körpers (Muskel-, Knochen-, Organwachstum und vieles mehr) und ist verantwortlich für die Feuchtigkeit von Gelenken und Haut.

Hier erfahrt ihr noch mehr über Vata, Pitta und Kapha.

Die Zusammensetzung der Doshas ist individuell verschieden, sie begründet die persönliche Konstitution und ist verantwortlich dafür, wie ein Mensch auf Dysbalancen reagiert. Ein Übermaß an Pitta entfacht das innere Feuer, während dominantes Vata ein Gefühl von Unsicherheit und Zerstreutheit erzeugen kann und übersteigertes Kapha leicht zu Trägheit und Gewichtszunahme führt. Über die Lebensgewohnheiten hat man einen gewissen Einfluss auf die Balance der Doshas.

Typische Pitta-Symptome

Aufgrund der persönlichen Konstitution mag es jeder etwas unterschiedlich empfinden. Doch es gibt ein paar typische Hinweise darauf, dass der Pitta-Anteil zu hoch ist:

  • Wut und Gereiztheit
  • Ungeduld und Streitlust
  • ein Drang, sich vergleichen und andere herausfordern zu wollen
  • Verdauungsprobleme (Sodbrennen und Durchfall)
  • trockene, gerötete Augen
  • Dehydrierung
  • übersteigertes Schwitzen
  • unruhiger Schlaf
  • Ausschläge, Akne
  • Entzündung der Magenschleimhaut

Lebensmittel mit adstringierendem (zusammenziehendem), süßem oder bitterem Geschmack haben aus ayurvedischer Sicht anti-entzündliche Wirkung, sie kühlen den Körper von innen und bringen Pitta ins Gleichgewicht.

Adstringierend: 
Granatapfel, Cranberry, Hibiskus, Kichererbsen, grüne Bohnen, Kartoffeln, Alfalfa-Sprossen – all diese Nahrungsmittel haben laut Ayurveda eine gefäßverengende, trocknende Wirkung. Das ist hilfreich, wenn man leicht schwitzt. Die typisch adstringierende Wirkung, die den Mund trocken und leicht pelzig macht, wird durch pflanzliche Wirkstoffe, so genannte Polyphenole, erzeugt, die auch für ihre antioxidanten und entzündungshemmenden Eigenschaften bekannt sind.


Süß:

Die ayurvedischen Qualitäten von Süße – dick, feucht und kühl – wirken erdend, sie schenken Wohlbehagen und bremsen einen überreizten Organismus etwas herunter. Süße Nahrungsmittel wie Datteln, Mangos, Avocado, Basmati-Reis, Kokosöl oder Milch können neueren Studien zufolge sogar unmittelbare Glücksgefühle auslösen.


Bitter:

Aus ayurvedischer Sicht regen bittere Lebensmittel wie Aloe Vera, Kurkuma, Schwarztee, Kaffee, Löwenzahn und Spinat die Verdauung an. Dadurch werden Giftstoffe ausgeschieden, die Hitze und Entzündungen hervorrufen. Der Inbegriff bitterer Nahrungsmittel ist dunkles Blattgemüse. Es ist reich an Ballaststoffen, Magnesium und Sauerstoff und soll laut Ayurveda dafür sorgen, dass das Blut von Hitze erzeugenden Säuren gereinigt wird.

Doch nicht nur Lebensmittel helfen von innen zu kühlen. Hier verraten wir, wie “Kühl atmen” und Meditation gegen die Hitze helfen.


Die Autorin dieses Artikels, Nancy Rones, arbeitet als freiberufliche Journalistin. Ihre Spezialgebiete sind Gesundheit und Lifestyle.


Noch mehr zu Ayurveda in der YogaWorld Podcast-Folge mit Dr. Annette Müller-Leisgang:

6 schöne Vollmond Rituale

Kleine Rituale helfen uns an diesen meist aufreibenden Tagen innezuhalten und uns geerdet zu fühlen. Wir haben dir sechs Vollmond-Rituale herausgesucht, die sich super für solche Mond-Tage eignen.

Titelbild: Cup of Couple via Pexels

1. Räuchern

Wusstest du, dass du mithilfe von Räucherpflanzen einen Raum reinigen und ihn von seiner alten Energie befreien kannst? Zu den heiligsten und bekanntesten Räucherwerken gehören ein Bündel Salbei und das Räucherholz Palo Santo. Beide werden in Nord- und Südamerika schon seit Menschengedenken zu genau diesem Zweck verwendet.

Und so geht’s: Entzünde dein Räucherwerk an einer Kerze und laufe so wedelnd von Zimmer zu Zimmer. So lassen sich auch dunkle Ecken ganz leicht ausräuchern. Während dem Rundgang solltest du die Fenster geschlossen halten. Erst wenn du dein Bündel oder Holz in einer feuerfesten Schale mit etwas Sand gelöscht hast, kannst du die Fenster weit öffnen. So schweben alle verbrauchten Energien, die der Rauch eingefangen hat, nach draußen.

2. Mondbaden

Gehe für ein paar Minuten nach draußen und lasse das Licht des Mondes auf deinen Körper scheinen. Suche dir einen gemütlichen Platz unterm Mondlicht und meditiere – je nach Wetterlage ziehst du dich hierfür einfach wieder nach drinnen ans geöffnete Fenster zurück. Hier kannst du dich warm einkuscheln und vielleicht sogar ein paar Kerzen anzünden. Konzentriere dich nun vor allem auf das Loslassen. Spüre, wie das Licht des Mondes in dein Herz strömt, es erwärmt und sich ein angenehmes Gefühl ausbreitet. Atme tief ein und lasse bei der Ausatmung alles los, was du nicht mehr brauchst. 

3. Atmung und Yoga

Vergleichen wir den Wechsel zwischen Voll- und Neumond mit unserem Atemzyklus, sind wir bei Vollmond etwa am Ende der Einatmung. Hier ist die Kraft des Prana am höchsten. Prana ist der Aspekt der Lebensenergie, der nach oben strebt und sich ausdehnt. Das bewirkt, dass wir uns körperlich aktiv fühlen und emotional sind. Zudem kann es an Vollmond-Tagen sein, dass wir uns zu sehr im Kopf befinden und nicht genug geerdet sind. Ganz anders ist das an Neumond-Tagen: Hier haben wir die Lungen mit der Ausatmung quasi vollständig geleert und die Kraft des Apana ist am höchsten. Apana ist der Aspekt der Lebensenergie, der nach unten gerichtete ist und sich zusammenzieht. Dadurch fühlen wir uns geerdet und auch ein bisschen schläfrig und träge – vor allem wenn es um die Bewegung geht.

Im Ashtanga-Yoga rät man von Yoga an Voll- und Neumond gänzlich ab: Um die Verletzungsgefahr möglichst gering zu halten, sind diese Tage übungsfrei. Eine schöne Yogastil für Vollmond-Tage ist jedoch Yin Yoga. Mit seinen ruhigen und passiven Bewegungen erdet er und ist somit ein schöner Ausgleich. Fällt dir das Meditieren schwer? Dann verhilft dir vielleicht die Energie des Neumondes zur Stille. So kannst du die Kräfte des Mondes auf wohltuende und unterstützende Weise für deine eigene Yoga-Praxis nutzen. 

Neben Vollmond Ritualen interessierst du dich auch für Prana, Apana und die Lebensenergie? Dann bist du in diesem Beitrag genau richtig.

4. Notizen verbrennen

Notiere dir 3 Aspekten, die du loslassen möchtest. Da nun die abnehmende Phase des Mondes beginnt, sollten sich auch deine Aspekte auf etwas beziehen, das abnehmen soll. So zum Beispiel eine Krankheit, Sorgen, Gewicht, Schmerzen oder Gedanken. Verbrenne den Zettel schließlich in einer feuerfesten Schale und lasse die Asche vom Wind in die Natur tragen.

Vollmond ist auch ein guter Tag für Affirmationen. Worauf du bei Affirmationen achten solltest, erklärt dir die Psychologin Sarah Crosby in unserem Beitrag zu 3 Schlüsselelemente von Affirmationen.

5. Journaling

Neben dem Loslassen eignet sich der Tag des Vollmondes auch super zum Reflektieren und zum dankbar sein. Was eignet sich hierzu besser als in dein Lieblings-Journal zu schreiben? Wer keines hat, kann den ersten Vollmond Tag auch dafür nutzen, sich ein altes Journal ganz individuell zu bekleben und zu bemalen. Beantworte dir in diesem schließlich folgende Fragen: 

  • Wofür bin ich diesen Monat dankbar?
  • An was bin ich seit dem letzten Vollmond gewachsen?
  • Welche Glaubenssätze möchte ich ändern und wie kann ich diese in positive Affirmationen umwandeln?

6. Kristalle aufladen

Wusstest du, dass du deine Kristalle im Mondlicht aufladen kannst? Doch Vorsicht: Vorher solltest du sie erst entladen und reinigen. Entladen kannst du die Steine, indem du sie unter fließendes Wasser hältst. Eventuell findest du sogar einen fließenden Bach oder eine Quelle in der Natur. Bei der Reinigung gibt es mehrere Wege:

  • Einweichen – Mische in einem Glasbehälter je einen halben Teelöffel Meersalz pro Tasse alkalisches Wasser, die Menge sollte reichen, um den Kristall komplett einzutauchen. Schließe deine Augen, lasse die Hände über der Schüssel schweben und übertrage dem Salzwasser die Absicht, dem Kristall jede negative Energie zu entziehen. Lasse ihn über Nacht in der Lösung liegen und spüle ihn anschließend unter fließendem Wasser ab.
  • Räuchern – Entzünde ein Bündel Salbei oder ein Stück Palo Santo. Nehmen deinen Kristall in die Hand und bewege ihn durch den Rauch.
  • Tönen – Platziere den Kristall in der Nähe einer Klangschale und schlage sie dreimal sanft an. Lasse den Filzschlägel noch mehrmals um den äußeren Rand der Schale kreisen.

    Und nun kommen wir erst zum eigentlichen Aufladen: Lege deine Kristalle über Nacht ins Mondlicht. So können sie sich wieder mit der Erde verbinden.

Du möchtest gerne mehr über die einzelnen Kristalle erfahren? Dann schau doch mal in diesem Beitrag vorbei.

Vielleicht möchtest du dich nach deinem Vollmond-Ritual schön abduschen oder ganz entspannt in die Badewanne springen. Auch hier kannst du deine Gedanken ganz aufs Loslassen ausrichten und eine Art Wasser-Meditation üben. Spüre, wie das Wasser über deinen ganzen Körper rinnt und alles was du nicht mehr brauchst mit sich nimmt. Wieso beziehst du an diesem Tag nicht auch dein Bett frisch? Dann kannst du dich anschließend ganz gemütlich in die frisch duftenden Federn kuscheln.  


Fallen dir noch weitere Vollmond Rituale ein? Teile sie uns gerne in den Kommentaren oder auf unserem Instagram-Kanal mit.

Tantra und Yoga – von Anna Trökes

Shiva Nataraja Statue

Das Image von Tantra ist einseitig (irgendwas mit Sex und Massage?), die philosophische Tradition dagegen reicht tief in die Wurzeln des Yoga hinein – und kann uns zu einem besseren Verständnis der Praxis verhelfen. Wir werfen ein paar Schlaglichter auf die Frage, wie wir Tantra heute leben können.

Texte: Anna Trökes / Titelbild: Dmitry Rukhlenko via Canva

Was Tantra ausmacht – und warum er so wichtig für unser Verständnis von Yoga ist

Egal ob du Sivananda-Yoga übst, Iyengar, Ashtanga, Vinyasa, Yin Yoga oder einen der unzähligen anderen Stile und Schulen, die wir modernen Yogi*is kennen: Sobald du Asana übst und Yoga über deinen Körper erfährst, praktizierst du eine Form von Hatha-Yoga. Und sobald du Hatha-Yoga übst, stehst du in der Tradition von Tantra. Auch wenn es dir bisher vielleicht nicht bewusst war: Ohne die revolutionären Ideen, die wir unter dem Namen Tantra zusammenfassen und die ab etwa 600 nach Christus die indische Philosophie und Spiritualität buchstäblich vom Kopf auf die Füße stellten, ist Yoga, wie wir es heute kennen, eigentlich undenkbar.

Bislang lagen diese Zusammenhänge und überhaupt die Ursprünge von Hatha-Yoga weitgehend im Dunkeln. Erst in den letzten drei Jahrzehnten haben die Forschungen zu diesem Thema in bisher ungekanntem Maß zugenommen. Maßgeblich für viele neue Erkenntnisse waren die Recherchen des 2015 an der University of London (SOAS) gegründeten “Hatha Yoga Project”. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, viele noch unbekannte Quellentexte zu sichten, zu übersetzen und zu veröffentlichen. Das dabei gesammelte Wissen kann uns nun helfen, einen neuen Blick auf Tantra und Hatha-Yoga zu werfen und besser zu verstehen, worin Hatha-Yoga gründet und worum es bei seinen traditionellen Konzepten und Übungswegen eigentlich geht. Mir selbst jedenfalls hat es noch einmal einen völlig neuen Blick auf Yoga eröffnet.

Was bedeutet Tantra?

Wie viele Begriffe der indischen Spiritualität entzieht sich auch dieser einer exakten Übersetzung und bleibt vieldeutig:

• Zunächst ist Tantra ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Schriften (die ebenfalls Tantra genannt werden). Gleichzeitig werden aber auch die Konzepte und Methoden als Tantra bezeichnet, die sich ab 600 n. Chr. entwickelten und die in diesen Schriften festgehalten wurden.

• Der Begriff selbst wird meist als “Mittel” (tra) zur “Ausdehnung” (tan) des Bewusstseins übersetzt. Damit ist gemeint, dass mithilfe seiner Methoden all das, wodurch wir unser Bewusstsein einengen und begrenzen, nach und nach aufgelöst wird.

• Noch eine zweite Übersetzung hat sich durchsetzen können: Demnach bedeutet Tantra “Netz” oder “Gewebe”. Das gibt einen Grundgedanken tantrischen Denkens wieder: dass im Universum vom Makro- bis in den Mikrokosmos alles mit allem zusammenhängt.

Tantrische Strömungen

Shiva Shakti Tantra Statue
“Ich bin Körper – nur durch ihn erfahre ich das Absolute”, das ist die vielleicht revolutionärste Idee des Tantra. In dieser mittelalterlichen indischen Skulptur eines Liebespaares aus dem Museum Rietberg (Zürich) wird sie sichtbar. Foto: Stephanie Schauenburg

Shivaismus

Eine der wichtigen Erkenntnisse ist dabei die Bedeutung des Shivaismus: In den Anfängen der tantrischen Bewegung war die Verbindung von Yoga und Asketismus von zentraler Bedeutung – und der Gott Shiva galt als Prototyp eines Yogis und Asketen. Er soll nach indischer Überlieferung den Menschen den Weg des Yoga offenbart und sie in seinen Methoden unterwiesen haben. So sollte Yoga es dem Menschen ermöglichen, das in ihm ruhende Bewusstsein in seinem tiefsten Wesenskern zu erfahren.

Die Forschungen der letzten Jahre machen deutlich, dass diese shivaitisch-tantrischen Traditionen nicht nur sehr weit verbreitet waren, sondern auch prägend für das indische Mittelalter, also vom 5. bis 13. Jahrhundert. David Gordon White, ein Religionswissenschaftler, der maßgeblich in das Hatha-Yoga Project eingebunden war, geht sogar davon aus, dass diese tantrischen Traditionen bis heute den Mainstream des indischen Denkens bilden. Wie auch die anderen Forscher des Projekts betont er, “dass der Yoga des mittelalterlichen Shivaismus vor allem ein tantrischer und esoterischer Yoga war, der heute unter dem Sammelbegriff Hatha-Yoga bekannt und verbreitet ist.”

Shaktismus

Es gab zu dieser Zeit aber noch eine zweite für die Entwicklung des Hatha-Yoga wichtige tantrische Strömung: die weibliche Linie des Shaktismus. Sie speist sich aus den uralten, auf der ganzen Welt zu findenden Kulten der Großen Mutter: Neuere Forschungen über die Göttinnentraditionen des Hinduismus zeigen, dass viele zentrale Elemente des Tantra in der Verehrung der Göttin Shakti wurzeln. Das gilt auch für den klassischen Hatha-Yoga, wie vor allem der Leiter des Forschungsprojekts, James Mallinson gezeigt hat. In der SOAS-Veröffentlichung “Übungswissen in Yoga, Tantra und Asketismus des frühen indischen Mittelalters” heißt es:

“Insbesondere Visualisierungen der esoterischen Anatomie (Kundalini- und Chakra-System) sowie die Meditation über den inneren Laut (Laya- und Nada-Yoga) entstammen mit großer Wahrscheinlichkeit dem Shakti-Milieu. (…) So entstand im Shaktismus des Shaiva-Zeitalters das yogische Übungswissen, das später in dem Werk Hathayogapradīpikā (ca. 1450 n. Chr.) mit traditionellen yogischen Übungen (Asana, Pranayama) und Techniken (Mudra) kombiniert wurde.”

Später wurde dieses Übungswissen “demokratisiert” – Hatha-Yoga war nun nicht länger den Asket*innen und religiösen Virtuos*innen vorbehalten, sondern wurde zunehmend auch von Laien praktiziert.

Die Entdeckung der Körperlichkeit

Eines der Konzepte des Tantra, das in der spirituellen Geschichte als wirklich revolutionär gilt und das ganz besonders für die Entwicklung von Yoga zentral wurde, ist das des Körpers. In allen früheren Yogatraditionen wurde der Körper ausschließlich oder zumindest überwiegend als etwas angesehen, was den Übenden in die Zerstreuung führt und ihn mit seinen Trieben und Begierden vom “wahren Weg” ablenkt – denn dieser “wahre Weg” war ein rein geistiger. Im Tantrismus nun werden Körper und Geist als voneinander abhängig gesehen: Sie durchdringen sich gegenseitig. Was das bedeutet, erläutert uns eine Stelle aus dem Hevajra Tantra, die Herbert Guenther in seinem Buch “Tantra als Lebensanschauung” zitiert:

“Wie gäbe es Seligkeit, wäre der Körper keine Wirklichkeit? Unmöglich von Glückseligkeit dann zu sprechen. Glückseligkeit umschließt die lebenden Wesen, sodass das Umschließende selbst das Umschlossene ist. Wie der Wohlgeruch einer Blume nicht duften würde ohne die Blume, so wäre nicht wirklich Glückseligkeit, wären Form und dergleichen nicht Wirklichkeit.”

Weiblicher Körper Tantra Statue
Das Weibliche wird in der indischen Kultur nicht überall gewürdigt – im Tantra aber spielt es eine zentrale Rolle. So wie auf dieser Skulptur aus dem Musée Guimet in Paris. Foto: Stephanie Schauenburg

Man kann kaum unterschätzen, welche Wucht dieses neue Denken hatte – und bis heute hat: Im Tantra wandelt sich die Ansicht, dass ich einen Körper habe zu der, dass ich eben dieser Körper bin. Mein Körper ist meine Welt, und die ist – wie er auch – einzigartig. “Mein Körper ist der einzige, in dem ich völlig unmittelbar die Selbstverkörperung meines seelischen Lebens, das heißt ein Empfinden, Fühlen, Einordnen, usw. erfahre”, schreibt Herbert Guenther in dem oben genannten Buch. Der Körper wird also nicht nur als der Träger der Seele angesehen, sondern vielmehr als ihr Ausdruck. In ihm und mit ihm haben wir teil am Sein an sich, am Leben in all seiner Kraft. Die tantrische Praxis weist uns einen Weg, der uns hilft, zu erkennen, dass diese Lebenskraft, Prana, uns ausmacht, dass die damit einhergehende Bewusstseinsenergie einem strahlenden Licht gleicht – und dass dieses Licht nur darauf wartet, durch uns hindurch zu strahlen.

In dieser Podcast-Folge spricht Anna Trökes noch detaillierter über den Körper als Ort der Erfahrung:

Mikrokosmos und Makrokosmos

Die Wertschätzung des Körpers fällt im Tantrismus also zusammen mit der Wertschätzung der Schöpfung. Weil alles, was je erschaffen wurde, aus dem Absoluten entspringt, trägt es das Absolute eben immer auch in sich. Und da alles, was Teil der Schöpfung ist, ein Ausdruck dieser einen Bewusstseinsenergie ist, findet sich die tiefe Grundschwingung des Absoluten (Spanda) gleichermaßen im Kleinsten – in jedem Atom – und im Größten – dem Universum.

Mikrokosmos und Makrokosmos wurden nun lediglich als unterschiedlich erfahrbare Dimensionen der einen Bewusstseinsenergie angesehen und es wurde angenommen, dass in allem Erschaffenen, von Kleinsten zum Größten und von Gröbsten zum Feinsten dieselben ordnenden Strukturen wirken: sichtbar geworden gleichermaßen in den “Bauplänen” der Schöpfung wie auch in ihren Systemen, mit denen sie aus sich selbst immer wieder das Leben hervorbringt, es organisiert und reguliert.

Die Tantras sagen, dass unser Körper denselben Gesetzen folgt wie der Kosmos. Wer den inneren Kosmos des Körpers verstehen lernt, wird damit folglich auch die Gesetze des äußeren Kosmos verstehen lernen, denn “wie innen – so außen!” Das bedeutet, dass die Welt und Ich nicht als getrennt angesehen werden. Stattdessen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: “Ich bin die Welt!” und damit ein Bestandteil des großen Netzes (eine der Wortbedeutungen von Tantra), in dem alles zusammengewebt ist und alles in Beziehung aufeinander existiert.

Aufgehen in den 5 Sinnen

Ausgehend von diesen Gedanken ist es eigentlich naheliegend, dass im Tantra die Sinne geehrt werden – im Gegensatz zu vielen frühen Yogaformen, die den Menschen rieten, sich von ihren Sinneswahrnehmungen so vollständig wie möglich emotional zu lösen, da die Sinne immer die Neigung haben, den Geist abzulenken (man denke nur an den Duft von gutem Essen!). Das Vijnana Bhairava Tantra, eine Schrift aus dem Umfeld des kaschmirischen Shivaismus, rät uns sogar, uns ganz auf unsere Sinne einzulassen: Wir sollen ganz und gar im Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken aufgehen. Wenn wir das tun, werden wir erleben, dass unser Geist dann von dem Sinneseindruck absorbiert wird.

Shiva Nataraja Statue
Shiva spielt im Tantrismus eine zentrale Rolle. Hier siehst du ihn in der bekannten Form des Shiva Nataraja. Foto: Dmitry Rukhlenko via Canva

Und genau darum geht es: um die bewusste Erfahrung, dass wir uns von etwas vollkommen absorbieren lassen können. Und zwar nicht nur in irgendwelchen spirituellen Kontexten, sondern auch und vor allem im Alltag! Wenn wir rausgehen und bewusst kalte, klare Luft einatmen. Wenn wir in der Erfahrung aufgehen, dass uns die Sonne aufs Gesicht scheint, wenn die Sonnenstrahlen, das Licht und die Wärme die Haut berühren. Lassen wir uns ganz auf diese Erfahrung ein, dann wird der Geist mit allen seinem Denken dahinein absorbiert und geht in der Erfahrung des Spürens auf.

Noch mehr praktische Impulse dazu findest du in dieser Podcast-Folge mit Tantrika Sandra von Zabiensky:

Dabei unterziehen wir unseren Geist einem Training: Er wird trainiert, sich kontinuierlich – für eine kurze Dauer – von alltäglichen Sinneseindrücken absorbieren zu lassen und entwickelt damit Fähigkeiten, die uns sehr zugute kommen auf der Yogamatte, beim Erkunden unserer inneren Räume und Welten und vor allem in der Meditation. Umgekehrt nehmen wir damit eine entscheidende Qualität der Yogapraxis aber auch mit in unser alltägliches Leben: die Achtsamkeit. Dadurch verschwimmen die Grenzen zwischen dem alltäglichen Erleben und dem (scheinbar besonderen) Yoga-Erleben – und auch das ist eines der Anliegen des Tantra: Alltägliche Praxis und spirituelle Praxis sollen miteinander in Beziehung treten, sollen sich mehr und mehr verschränken.

Teil des “Großen Ganzen” sein

Wenn alles, was ist, der einen göttlichen Quelle entspringt, die durch Shiva (Bewusstsein / Ruhe) und Shakti (Energie / Dynamik) symbolisiert sind, bricht jeder Versuch in sich zusammen, Hierarchien zu erschaffen, in denen das eine besser oder höherwertiger ist als das andere. Wenn alles der einen Quelle entspringt, ist alles gleichwertig und von gleicher Bedeutung für die Gesamtheit der Schöpfung. Das bedeutet, wenn ich mich darum kümmere, dass es mir in körperlicher, geistiger und seelischer Hinsicht gut geht, tue ich gleichzeitig der Schöpfung etwas Gutes. Wenn ich in dem, was ich esse, womit ich mich kleide, wohin ich mich bewege und wie ich mich verhalte, achtsam und fürsorglich bin, dann profitiert nicht nur mein näheres Umfeld davon, sondern – wenn auch vielleicht in einer kaum vorstellbaren Dimension – die ganze Welt.

Wenn ich achtsam und fürsorglich mit mir umgehen und dieselbe Bewusstheit und Energie meinem Wirkungskreis zugutekommen lasse, dann werde ich zur Shakti, die die Schöpfung schützt, nährt und in ihrer Entwicklung unterstützt. Wird ein solches Verhalten zu meiner Devise, wird mich das respektvoll, wertschätzend, dankbar und dadurch friedvoll machen. Im Tantra geht es nie darum, etwas aus sich zu machen (denn man ist ja schon alles). Es geht vielmehr darum, das, was ist, als Teil des “Großen Ganzen” anzuerkennen und zu würdigen.

Tantra: Ein Weg in die Freude

Ich gehe auf die Yogamatte, übe Asana und würdige, dass ich diesen Körper bekommen habe, der es mir ermöglicht, Erfahrungen zu machen. Ich erfahre mein Atemgeschehen als Ausdruck meiner Teilhabe am Lebendigen und meine Sinne als wertvolle Mittel, die Welt zu erkunden. Wenn ich mit dieser inneren Einstellung übe, muss ich nichts erreichen, muss nichts darstellen und niemanden (auch nicht mir) etwas beweisen. Ich übe, atme, entspanne mich und meditiere, weil es gut ist für mich und meine Welt. Ich bin dankbar für alles, was mir schon an Fähigkeiten und Einsichten gegeben ist und erfreue mich daran.

Tantra ist ein Weg in die Freude. Eine Freude, die aus Wertschätzung und Dankbarkeit entspringt.


Foto: Nela König

Anna Trökes ist als Ausbilderin, Lehrerin und Autorin sicher eine der prominentesten Yoginis hierzulande. Mehr Info unter prana-yogaschule.de

Einige Passagen dieses Artikels stammen aus ihrem Buch “Die kleine Yogaphilosophie” (O.W. Barth Verlag).

Auch im YogaWorld Podcast haben wir mit Anna Trökes über die Magie des Tantra gesprochen. Hier kannst du dir die Folge anhören:

Was ist eigentlich Progressive Muskelentspannung (PME)?

pme savasana

Sicher hast du schon mal von der alternativen Heilmethode Progressive Muskelentspannung gehört. Doch woher kommt sie, wie wirkt sie und für wen sie geeignet? Und vor allem: wo liegen die Grenzen der PME? Wir klären auf…

Text: Dr. Cornelia Löhmer / Titelbild: Natalie Bond via Pexels

Woher kommt die Progressive Muskelentspannung (PME)?

Der amerikanische Arzt und Physiologe Edmund Jacobson (1888-1983) entwickelte die Progressive Muskelentspannung Anfang des 20. Jahrhunderts in den Laboratorien der Harvard-Universität. Nach 20-jähriger Forschungstätigkeit veröffentlichte er die Ergebnisse seiner Arbeit 1929 in einem Buch, das sich an Ärzte und Ärztinnen wandte. Man schlug Jacobson daraufhin vor, seine Ideen auch für Nichtfachleute zu formulieren. So erschien 1934 das Buch “You Must Relax” – die deutsche Ausgabe heißt “Entspannung als Therapie“. Die Progressive Muskelentspannung (PME) nach Edmund Jacobson ist seit 1987 Bestandteil der psychosomatischen Grundversorgung in allen gesetzlichen und privaten Krankenkassen.

Wie wirkt die PME?

Bei der PME handelt es sich um ein Muskelentspannungs-Training. Dabei werden systematisch einzelne Muskelgruppen angespannt und wieder entspannt. Die Aufmerksamkeit ist auf die jeweiligen Muskelgruppen gerichtet. Es gilt, die Unterschiede zwischen dem Körpergefühl der angespannten Muskulatur und dem der entspannten Muskulatur genau wahrzunehmen. Nach einiger Übungszeit können beginnende Verspannungen frühzeitig erkannt und aktiv gelöst werden. Sogar noch bevor es zu Spannungsschmerzen oder Verkrampfungen kommt.

Seelische Anspannung bewirkt muskuläre Verspannung

Doch nicht nur die Körperfunktionen sind beeinflussbar. Jacobson entdeckte in seinen Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen seelischen Spannungen und einem körperlich erhöhten Muskeltonus. Wer unter psychischen Unsicherheiten und Angstzuständen leidet, dessen Muskeln sind angespannt. Wird die Spannung auf der körperlichen Seite gelöst, verringert sich auch die psychische Anspannung. Die Gehirnaktivität wird schwächer. Der Mensch kann wieder geistig abschalten und er wird ruhiger und gelassener. Das Ruhegefühl wiederum bewirkt eine zunehmende Muskelentspannung, die ihrerseits ein noch stärkeres Ruhegefühl hervorruft. Auf diese Weise kann eine körperlich-seelische Ausgeglichenheit erreicht werden, die wir mit dem Begriff “Wohlspannung” bezeichnen.

Weniger stressanfällig durch PME

Da Muskeln lernfähig sind, wird der gesamte Prozess durch regelmäßiges Üben beschleunigt. Schon nach etwa vier Wochen erinnern sich die Muskeln daran, wie sie ihre Grundspannung reduzieren können. Menschen, die die Muskelentspannung regelmäßig praktizieren, sind in der Lage, sich innerhalb von Sekunden in den Zustand der Wohlspannung zu versetzen. Sie sind nachweislich weniger stressanfällig, verfügen über stärkere körperliche Abwehrkräfte und sind insgesamt ausgeglichener.

Vielfältig als Therapie einsetzbar

Die Progressive Muskelentspannung ist eine Methode, in der es viele Indikationen und keine absoluten Kontraindikationen gibt. Bereits Jacobson empfiehlt die Progressive Muskelentspannung als Therapie bei hohem Blutdruck, Magen- und Darmgeschwüren, Herz- und Gefäßkrankheiten, Verdauungsstörungen und Colitis, bei nervösen und psychischen Störungen, bei Schlafstörungen, bei Erschöpfung, bei nervlicher und geistiger Überlastung, bei ständiger Unruhe, häufiger Erschöpfung und bei Angst. Die Muskelentspannung hat eine positive Wirkung auf alle Störungen und Erkrankungen, die mit den Muskeln, dem Nervensystem oder dem Kreislauf zu tun haben.

Darüber hinaus wirkt sich die Progressive Muskelentspannung ganz generell positiv auf das Allgemeinbefinden, auf die Immunabwehr und die Regenerationsfähigkeit aus. Und es gibt noch einen weiteren Vorteil: Selbst wenn du die Progressive Muskelentspannung unvollständig oder unsystematisch ausführst, wenn du darüber einschläfst oder über einen längeren Zeitraum nicht übst, führt dies höchstens dazu, dass du keine oder nur wenig Entspannung erreichst – ein “Schaden” kann nicht entstehen.

Für wen ist PME geeignet?

Die Progressive Muskelentspannung ist eine alltagstaugliche Methode zur Stressbewältigung. Prinzipiell kann jeder Mensch die PME erlernen, der in der Lage ist, willentlich seine Muskeln anzuspannen und zu lösen. Einschränkungen in der Anwendung gibt es, wenn Menschen nicht, noch nicht oder nicht mehr in der Lage sind, die Anleitungen zu verstehen und umzusetzen. Dies gilt insbesondere für kleine Kinder und für Menschen mit einer psychischen oder altersbedingten Reduzierung ihrer geistigen Fähigkeiten.

In welchem Zusammenhang steht PME mit der Yogapraxis?

Durch die Progressive Muskelentspannung werden Menschen geschult, die jeweiligen -körperlichen Zustände wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten. Damit werden sie in ihrer Achtsamkeit sensibilisiert für das, was “Jetzt” ist – eine ideale Hinführung zur Yoga- und Meditations-Praxis.


Die Autorin dieses Artikels, Dr. Cornelia Löhmer, arbeitete seit 1990 selbstständig als Seminarleiterin, Trainerin, Ausbilderin für achtsamkeitsbasierte Verfahren und Buchautorin von 1990 bis zum kompletten Ausstieg aus der Seminararbeit 2020. Seitdem lebt und arbeitet sie auf dem Biobauernhof  “Weidehüpfer” im Vogelsberg.

In der Praxisreihe unseres YogaWorld Podcast findest du eine angeleitete Progressive Muskelentspannung mit Tina Beitinger. Probiere es gleich aus:

Yoga bei Parkinson: Tipps & Stuhlyoga-Übungen für Stadium 2–3

Nach Alzheimer ist Parkinson die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Hier zeigen wir beispielhaft, wie eine Praxis für die Stadien 2–3 der Erkrankung aussehen könnte. Mehr darüber, wie Yoga bei Parkinson grundsätzlich helfen kann und was es für die einzelnen Stadien zu beachten gibt, liest du hier im Intro-Artikel.

Text & Übungen: Lena Braun und Daniel Völker / Illustrationen: Anthony Walker

Allgemeine Tipps für die Yogapraxis bei Morbus Parkinson

• Jede Praxis an die momentanen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Schwierigkeiten anpassen.

• Immer auf die Aufrichtung des Oberkörpers achten und Übungen zur Herzöffnung einbauen.

• Große Bewegungsamplituden wirken gegen Bewegungsarmut und Antriebslosigkeit.

• Rhythmisches Üben und Klang fördern eine dynamische Bewegung und bündeln die Aufmerksamkeit.

• Lieber direkt auf einem harten Boden oder nur mit einer dünnen Matte üben, das gibt mehr Stabilität.

• Wand, Stuhl oder Hocker unterstützen bei Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht und geben Sicherheit.

• Das Einüben eines Asana-Flows oder gegenläufige Armbewegungen tragen zur kognitiven Förderung bei. Gleichzeitig sind aber auch Routinen sehr wichtig.

Yoga auf dem Stuhl: Sequenz für Parkinson Stadium 2–3

Hier zeigen wir beispielhaft, wie eine Praxis für die Stadien 2–3 der Erkrankung aussehen könnte. Und auch wenn du nicht von Parkinson betroffen bist, kann Yoga auf dem Stuhl manchmal eine sinnvolle Alternative sein.

Beachte: Im Vordergrund stehen immer die individuellen Bedürfnisse jedes und jeder Einzelnen. Das heißt, jede Asana darf angepasst werden, genauso die Dauer, die Anzahl der Wiederholungen und die Intensität der Durchführung.

1. Göttinnen-Haltung

Yoga bei Parkinson, Yogapose  Göttinnen-Haltung Illustration

Ausgangsposition: Sitze aufrecht und möglichst ohne dich anzulehnen und öffne mit der Einatmung nacheinander die Beine und die Arme zu den Seiten – etwa wie ein Buch, das aufgeschlagen wird. Halte den Blick nach unten auf einen fixen Punkt gerichtet.

Durchführung in zwei Variationen:
a) Stabile Beine, die Arme gehen mit der Ausatmung zusammen und mit der Einatmung wieder auseinander.
b) Stabile Arme, die Beine gehen mit der Ausatmung zusammen und mit der Einatmung wieder auseinander.

2. Krieger I

Illustration Yogapose Krieger I auf dem Stuhl

Ausgangsposition: Drehe dich mit der Einatmung so zu einer Seite, dass nur eine Gesäßhälfte auf dem Stuhl bleibt. Das vordere Knie ist etwa um 90 Grad gebeugt, das hintere lässt du Richtung Boden sinken, während du dich über beide Füße und Beine stabilisierst. Der Blick ist nach vorn gerichtet auf einen stabilen Punkt.

Durchführung: Mit der Einatmung werden die Arme gehoben, mit der Ausatmung wieder gesenkt. Anschließend wiederholst du die Übung auf der zweiten Seite.

3. Krieger II

Illustration Yogapose Krieger II auf dem Stuhl

Ausgangsposition: Strecke aus dem Krieger I das hintere Bein und wende Oberkörper und hinteren Fuß wieder in dieselbe Richtung wie die Sitzfläche des Stuhls. Strecke die Arme auf Schulterhöhe locker zu den Seiten. Verwurzle wieder beide Füße fest am Boden und stabilisiere dich mit deinem Blick über die vordere Hand.

Durchführung: Mit der nächsten Einatmung versuchst du, mit der vorderen Hand die Wand oder einen Gegenstand vor dir zu erreichen. Dabei verlagert sich (bei gleichbleibend stabilem Fuß-Boden-Kontakt) dein Gewicht nach vorn. Ausatmend kehrst du zurück in die Ausgangsposition. Auch hier übst du beide Seiten.

4. Friedvoller Krieger

Illustration Yogapose friedvoller Krieger, Yoga bei Parkinson

Ausgangsposition: Hebe aus dem Krieger II einatmend den vorderen Arm und lege die hintere Hand auf den Oberschenkel. Der Oberkörper neigt sich behutsam zur Seite, die Beine bleiben stabil, der Blick ist nach vorn, unten gerichtet.

Durchführung: Mit jeder Ausatmung kehren beide Arme in die Waagerechte zurück (Krieger II). Mit jeder Einatmung gehst du wieder in den Friedvollen Krieger. Auch diese Übung wiederholst du seitenverkehrt.

5. Seitlicher Winkel

Illustration Yogapose seitlicher Winkel auf dem Stuhl, Yogapraxis bei Parkinson

Ausgangsposition: Aus dem Krieger II legst du den vorderen Ellenbogen auf den vorderen Oberschenkel und gehst in eine Seitneigung. Dann streckst du den zweiten Arm in Verlänge- rung von Oberkörper und hinterem Bein. Dabei bleibt das ausgestreckte Bein aktiv und stabil. Der Blick ist in Richtung des oberen Arms oder nach unten zum Boden gerichtet.

Durchführung: Mit jeder Einatmung wird die Dehnung der Flanken verstärkt. Mit jeder Ausatmung lässt du etwas nach. Übe auch hier die zweite Seite.

6. Drehsitz

Illustration Yogapose Drehsitz auf dem Stuhl, Yogapraxis bei Parkinson

Ausgangsposition: Richte einatmend noch einmal bewusst die Wirbelsäule auf. Mit der nächsten Ausatmung drehst du dich nach rechts. Lege den rechten Arm an die Stuhllehne und die linke Hand auf eines deiner Knie oder an den Sitz. Nimm den Kopf nur behutsam mit in die Drehung und spüre sie stattdessen in der Brustwirbelsäule.

Durchführung: Richte dich mit jeder Einatmung bewusst auf und schmiege dich ausatmend in die Drehung. Alternativ kannst du auch dynamisch üben und dich einatmend zurück zur Mitte drehen und ausatmend wieder zur Seite. Dabei kannst du beim Wechsel jeweils die Arme heben. Anschließend drehst du auf dieselbe Weise nach links.

7. Fisch auf dem Stuhl

Illustration Yogapose Fisch auf dem Stuhl, Yoga bei Parkinson

Ausgangsposition: Klemme eine gerollte Decke oder ein Bolster längs zwischen Lehne und Rücken. Die Hände liegen entweder stützend auf den Oberschenkeln oder du drehst sie zu den Seiten auf. Weite bewusst deine Brust und hebe deinen Blick etwas, achte aber darauf, die Halswirbelsäule nicht zu überstrecken.

Durchführung: Beobachte deinen Atem und nimm wahr, wie sich die Körpervorderseite weitet.

8. Chandra Bedhana – Mondatmung

Ausgangsposition: Lege den rechten Daumen sanft an das rechte Nasenloch und den Ringfinger an das linke Nasenloch. Die linke Hand kann den rechten Ellenbogen stützen.

Durchführung: Schließe das rechte Nasenloch mit dem Daumen. Atme langsam und tief durch das linke Nasenloch ein. Spüre die kühle und beruhigende Energie der Einatmung. Schließe das linke Nasenloch mit dem Ringfinger und atme vollständig und sanft durch das rechte Nasenloch aus. Wiederhole diesen Vorgang so lange, wie es dir angenehm ist, am besten mehrere Minuten.


Lena Braun ist Physiotherapeutin (M.Sc. Neuroorthopädie), Yogalehrerin und Yogatherapeutin in Ausbildung. In ihrem Münchner Studio ana.akazi unterrichtet sie Menschen mit körperlichen Einschränkungen.

Daniel Völker ist Physiotherapeut, Medizinpädagoge und Heilpraktiker. Er unterrichtet in Berlin Physiotherapeuten im Fachbereich Neurologie, Psychiatrie und Bewegungstherapie und gibt therapeutische Yogastunden.

Tipp: Gemeinsam haben Lena Braun und Daniel Völker ein Buch über Grundlagen und Didaktik von therapeutischem Yoga geschrieben. Es beschreibt, wie Yoga bei Erkrankungen wie MS, Long COVID, Parkinson oder HWS-Syndrom Beschwerden lindern und die Lebensqualität verbessern kann. Therapeutisches Yoga. Evidence based practice und Assessments in Neurologie, Orthopädie und Innerer Medizin (Elsevier, 55 Euro)


Ausführlichere Informationen, wie Yoga bei Parkinson helfen kann, findest du hier im Intro-Artikel:

Einatmen, ankommen, lange leben – was Longevity wirklich bedeutet

Longevity Retreats mit NEUE WEGE REISEN

“Longevity” – kaum ein Begriff wird derzeit so oft genannt, wenn es um Gesundheit, Selbstfürsorge und ein langes Leben geht. Biohacking, Superfoods, Kältetherapie, doch zwischen all den Buzzwords und Trends stellt sich eine tiefere Frage: /anzeige

Was bedeutet es wirklich, lange und gesund zu leben?

Longevity Retreats mit NEUE WEGE REISEN

Bei NEUE WEGE ist Longevity kein neuer Hype, sondern gelebte Philosophie. Seit jeher begleiten sie die Weisheiten des Ayurveda, die achtsame Praxis des Yoga und das tiefe Vertrauen in natürliche Regeneration. “Langlebigkeit ist für uns kein Ziel, sondern ein Weg. Ein Weg, der durch bewusste Atemzüge, inneres Gleichgewicht und liebevolle Selbstfürsorge führt.”

Das Gleichgewicht im Fokus

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Die Grundlage für Gesundheit und Vitalität ist im Ayurveda das Gleichgewicht der drei Doshas Vata, Pitta und Kapha. Dieses Gleichgewicht kann durch äußere Einflüsse wie Stress, unpassende Ernährung oder unregelmäßige Lebensweisen gestört werden. Folgen sind oft Müdigkeit, innere Unruhe oder körperliche Beschwerden. Der Ayurveda begegnet dem mit einem ganzheitlichen Ansatz: individuell abgestimmte Ernährung, achtsame Routinen, Heilpflanzen, Massagen und bewusste Lebensführung bringen Körper und Geist wieder in Einklang.

Ernährung als Quelle von Lebensenergie

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Im Ayurveda wird Ernährung als direkte Quelle von Lebensenergie verstanden. Eine typgerechte, frische und warme Ernährung stärkt das Verdauungsfeuer (Agni) und unterstützt die körperliche und geistige Balance. Gewürze und Kräuter wie Kurkuma, Ashwagandha oder Brahmi können gezielt eingesetzt werden um Resilienz, Klarheit und Vitalität zu fördern.

Yoga: mehr als Bewegung

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Yoga tut gut das wissen wir. Aber warum genau? Regelmäßige Yogapraxis stärkt nicht nur Muskeln und Gelenke, sondern beeinflusst auch Herz-Kreislauf-System, Hormonhaushalt, Immunsystem und sogar die Zellalterung. Das reduziert Stresshormone, fördert die Verdauung und verbessert die Schlafqualität, alles Faktoren, die nachweislich das Leben verlängern.

Doch Yoga wirkt nicht nur auf körperlicher Ebene. Atemtechniken, Meditation und Achtsamkeit stärken das emotionale Gleichgewicht, reduzieren Stresshormone und fördern die Ausschüttung von Glücksbotenstoffen wie Serotonin und Dopamin. Das Nervensystem kommt in Balance – ein Schlüsselfaktor für ein langes, gesundes Leben.

Breathwork: Atme dich frei

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Atemarbeit, wie Nadi Shodhana, Box Breathing oder Bauchatmung, ist eine hochwirksame Methode, um das autonome Nervensystem zu balancieren, Stress zu lindern und emotionale Resilienz aufzubauen. In der Yogaphilosophie ist der Atem Träger des Prana, der Lebensenergie und moderner gesehen: ein Schlüssel zu mehr Klarheit, Balance und innerer Kraft.

Leben im Rhythmus der Natur

Der Ayurveda empfiehlt einen Lebensstil im Einklang mit dem Tages- und Jahreszeitenrhythmus. Wer ausreichend schläft, sich regelmäßig bewegt, die Natur bewusst erlebt und soziale Beziehungen pflegt, legt die Basis für ein langes und erfülltes Leben. Dankbarkeit, Achtsamkeit und eine positive innere Haltung sind laut Ayurveda essenzielle Bausteine für echtes Wohlbefinden.

Longevity Retreats: Eine Reise zur Langlebigkeit

Die NEUE WEGE Retreats rund um Yoga, Ayurveda & Detox laden dich ein, Longevity zu leben. In Stille und Achtsamkeit, in Bewegung und Verbundenheit findest du Räume, in denen dein Körper regeneriert und deine Seele aufatmet. Ob wohltuende Ayurveda-Kur, Atem-Retreat oder Yogareise am Meer: Hier geht es nicht um Selbstoptimierung, sondern um echte Regeneration, neue Leichtigkeit und bewusste Lebenszeit. Lass dich inspirieren von Orten, die deinen Rhythmus respektieren.

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Inspiration für deinen Rückzugsort:

  • Prakriti Shakti, Kerala (Indien): Naturheilkunde und Yoga inmitten der tiefgrünen Bergwelt Keralas
  • Kamalaya, Koh Samui (Thailand): Ganzheitliches Wellbeing mit Detox, Yoga, Meditation und außergewöhnlicher und gesunder Küche
  • SwaSwara, Goa (Indien): Ruheoase am Om Beach – Ayurveda, Yoga und Kunst an einem Ort der Stille

Zurück zu dir

Wirkliche Gesundheit beginnt nicht mit dem nächsten Trend – sondern mit einem bewussten Moment. Ayurveda, Yoga und Breathwork zeigen: Vitalität und innere Ruhe sind kein fernes Ziel, sondern eine tägliche Entscheidung – für Selbstfürsorge und deine Balance.

Neugierig geworden? Hier findest du alle Longevity-Reiseinspirationen von NEUE WEGE – das Team berät dich gerne persönlich! Mehr Info auf neuewege.com

Yoga gegen Asthma

Dass einem mal vor Schreck der Atem stockt oder die Atemwege während einer Erkältung „zu“ sind, das kennen wir wohl alle. Aber was, wenn das Gefühl, keine Luft zu bekommen, ein ständiger Begleiter ist? Hier liest du, was Asthma mit der Atmung macht und wie Yoga und Atemtechniken helfen.

Text: Nici Tannert / Titelbild: Science Photo Library via Canva

Die Nacht vom 19. auf den 20. Juni 2022 war wohl die schlimmste meines Lebens. Ich wurde von akuter Atemnot aus dem Schlaf gerissen, habe mich ins Bad geschleppt und mein Notfallspray in mich gepumpt. Wieder und wieder. Dabei weiß ich eigentlich, dass es mir nur bei leichteren Beschwerden hilft. Normalerweise sitze ich die schweren Anfälle einfach aus und nach einer halben Stunde wird es allmählich besser. Dieses Mal nicht. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Nach vier Stunden war mir klar, dass ich die Nacht nicht überleben würde, wenn ich es nicht schaffte, Hilfe zu holen. Also mit dem Notarzt in die Klinik. Drei Wochen später die nächste Attacke. Wieder nachts. Wieder ins Bad geschleppt. Aber dieses Mal bin ich nach nur zwei Minuten bewusstlos zusammengeklappt. CO2-Narkose durch einen stark erhöhten Kohlendioxid-Gehalt im Blut. Wäre mein Freund nicht zufällig da gewesen, könnte ich jetzt nicht davon erzählen.

Danach bin ich in ein Erdgeschoss gezogen und habe meine Tür nicht mehr abgeschlossen, damit man mich gegebenenfalls schneller finden und retten kann. Noch heute traue ich mich kaum, ohne einen vorbeugenden Stoß Kortisonspray einzuschlafen. Zu tief sitzt die Erfahrung dieser beiden Nächte. Die Angst vor dem Tod, Abhinivesha, ist laut Patanjalis Yoga Sutra eines der fünf Leiden (Klesha), die das Gleichgewicht unseres Bewusstseins stören. Sie ist instinktiv und die subtilste Form von Leid. Ich will aber nicht ängstlich sein. Angst lähmt. Ein weiteres Klesha ist die Unwissenheit, Avidya. Sie ist der Nährboden aller anderen Leiden. Für mich hieß das: Wenn ich die Furcht überwinden will, muss ich mehr über die Ursachen von Asthma erfahren, über die Abläufe im Körper. Und ich muss lernen, wie ich mir selbst helfen kann.

Was wir über Asthma wissen

Der Begriff kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Atemnot oder Beklemmung. Medizinisch steht er für Asthma bronchiale, eine chronische Entzündung der Atemwege mit dauerhafter Überempfindlichkeit, die anfallartig zu Atemwegsverengung, vermehrter Schleimsekretion und einer Verkrampfung der Bronchialmuskulatur führt. Hierzulande leiden laut dem Gesundheitsatlas des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) etwa 3,5 Millionen Menschen an Asthma. Bei uns liegt es in der Familie, zudem bin ich im DDR-Chemiedreieck Leuna-Buna-Bitterfeld aufgewachsen. Die Frage „Warum ich?“ habe ich mir daher nie gestellt. Inzwischen weiß ich, dass aber nicht nur die Gene und die Luft, sondern auch die Art und Weise, wie wir atmen, einen wichtigen Einfluss auf die Beschwerden haben kann. Dazu später mehr.

c: nordic Nordic von Pexels via Canva, Symbolbild, Asthma
Foto: nordic Nordic von Pexels via Canva

Das Risiko von Notfall-Medikamenten

Was ich auch lernen musste: Die Notfall-Medikamente, die ich bis dahin bedarfsmäßig inhalierte, haben die richtig schlimmen Asthmaanfälle wahrscheinlich erst ausgelöst. Wie viele Asthmatiker*innen hatte ich immer ein Reliever-Spray (SABA) dabei, das die Atemwege kurzzeitig erweitert. Und wie so viele habe ich es zeitweise überbenutzt. Mir war einfach nicht bewusst, dass das gefährlich sein könnte. Dabei steht es ganz klar in den Versorgungsleitlinien der Bundesärztekammer: „Da der häufige Gebrauch von SABA die Symptome des Asthmas kaschiert, ohne die Entzündung zu behandeln, erhöht sich das Risiko für Exazerbationen“, also plötzlichen Verschlechterungen. Darauf haben mich leider weder mein Haus- noch mein Lungenarzt aufmerksam gemacht. Ich musste es erst selbst erleben.

Dr. Timothy McCall geht in seinem Buch „Yoga as Medicine“ sogar so weit zu vermuten, dass die zunehmende Häufigkeit von tödlichen Asthma-Attacken neben Faktoren wie Luftverschmutzung, Stress oder einem schwachen Immunsystem auch mit der Medikation zusammenhängen könnte. Statt auf SABA setzt man heute eher auf Kortisonsprays, weil sie entzündungshemmend wirken. Wenn einem buchstäblich die Luft ausgeht, sind solche Sprays zwingend notwendig, als Dauermedikation sind auch sie aber nicht ideal. Was also können wir tun, um vorzubeugen? Bewusst atmen.

Das Wunder der Atmung

Eigentlich ist es ja ganz einfach: Atmung erfolgt automatisch. Je nach ph-Wert, Sauerstoff- und vor allem Kohlendioxid- Gehalt im Blut gibt das Atemzentrum im Hirnstamm den Impuls zur Ein- oder Ausatmung und steuert die Tiefe des Atemzuges. Die Einatmung erfolgt, wenn sich die Muskulatur der unteren Rippen weitet und sich die Doppelkuppel des Zwerchfells Richtung Bauchraum zurückzieht. Das vergrößert das Volumen im Brustraum und dehnt die Lungenflügel, die selbst keine Muskulatur haben. Es entsteht ein Unterdruck, wodurch frische Luft eingesaugt wird. Beim Ausatmen entspannt sich das Zwerchfell wieder nach oben, die Brusthöhle verkleinert sich also und damit der Raum für die Lunge. Die verbrauchte Atemluft wird herausgedrückt. Das wiederholt sich bei einem gesunden Menschen im Ruhezustand etwa 6 bis 14 Mal pro Minute.

c: Eva Bronzini von Pexels via Canva, Symbolbild, Atmung
Foto: Eva Bronzini von Pexels via Canva

Atmung bei Asthmatikern

„Die Atemfrequenz bei Asthmatikern ist zwei- bis dreimal höher“, erzählt mir der Atem-Trainer Patrick McKeown, der als einer der führenden Experten auf dem Gebiet gilt: „Weil ihre Atemwege verengt sind, haben sie das Gefühl, zu wenig Luft zu bekommen und atmen daher schneller und heftiger. Oft durch den Mund, wodurch die kalte, trockene und ungefilterte Luft die Atemwege noch mehr verengt.“ Bei einer chronischen Hyperventilation wird ständig zu viel Kohlendioxid (CO2) ausgeatmet. Ein ausgewogener CO2-Spiegel ist aber wichtig, damit das Hämoglobin in den roten Blutkörperchen den Sauerstoff zu unseren Körperzellen transportieren kann. Ist der Spiegel zu hoch, dann bindet das Hämoglobin den Sauerstoff nicht. Ist der Spiegel zu niedrig, dann klebt der Sauerstoff am Hämoglobin wie ein Kaubonbon und kann von den Körperzellen nicht aufgenommen werden. Der Körper ergreift dann drastische Maßnahmen, um das CO2 zu halten: Er verengt die Atemwege. Die Muskeln verkrampfen sich rund um die Atmungsorgane und es werden Schleim und Histamine produziert, die die Atemwege anschwellen lassen.

Das macht die Ausatmung praktisch unmöglich und erklärt, warum mir wie vielen Asthmatiker*innen bei einem Anfall besonders die Ausatmung so schwerfällt. So kann aus einer Überatmung mit zu viel CO2-Ausstoß letztendlich sogar ein CO2-Überschuss in der Lunge und im Blut entstehen, der – wie bei mir – bis zur Bewusstlosigkeit führt.

Asthmaanfällen vorbeugen

„Kohlendioxid ist eben nicht nur ein Abfallprodukt,“ betont Patrick McKeown. „Es ist sogar notwendig für die Sauerstoffversorgung und es öffnet die Atemwege.“ Er ist selbst seit seiner Jugend von Asthma betroffen. Ein Zeitungsartikel über den russischen Arzt Konstantin Buteyko veränderte Ende der 1990er-Jahre sein Leben. Buteyko hatte herausgefunden, dass man Asthmaanfällen vorbeugen kann, indem man die Atmung verlangsamt. McKeown probierte es aus und die schnelle, positive Wirkung der Methode nicht nur auf seine verstopften und verengten Atemwege sondern auch auf seinen Schlaf, seine Konzentration, seine Ausgeglichenheit und Leistungsfähigkeit haben ihn so verblüfft, dass er alles darüber erfahren wollte. Er ließ sich von Buteyko ausbilden und hat inzwischen selbst vielen Menschen dabei geholfen, ihre Atemgewohnheiten hin zu mehr Gesundheit und Lebensqualität zu verändern.

Yoga gegen Asthma – Atmung üben

Test und Übung zugleich:

Die Kontrollpause

So geht’s: Atme eine Weile ruhig durch die Nase ein und aus. Halte dann nach einer Ausatmung die Nase zu und time, wie lange du den Atem halten kannst, bis du den Impuls verspürst, wieder (ruhig!) einzuatmen. Im Yoga kennen wir diese „leere“ Atempause als Bahya Kumbhaka.
Darum geht’s: Eine Atempause von 40 Sekunden ist Zeichen für ein hervorragend funktionierendes Atmungssystem. Davon sind anfangs selbst völlig Gesunde noch weit entfernt. Menschen mit Atemwegserkrankungen kommen oft nur auf 10 bis 15 Sekunden. Erstes Ziel ist eine Kontrollpause von mehr als 20 oder 25 Sekunden. Durch regelmäßiges Üben – auch der verlangsamenden Pranyama-Techniken – kannst du die Dauer erstaunlich schnell steigern.

Pranayama und das Nervensystem

Weniger, langsamer, bewusster atmen – als Iyengar-Yogalehrerin kannte ich das natürlich aus dem Pranayama. Das Üben und übrigens auch das Unterrichten von yogischen Atemtechniken haben meine Atembeschwerden jahrelang ganz gut unter Kontrolle gehalten. Dass sie 2022 noch einmal so heftig zum Vorschein kamen, hing wohl mit den besonderen Umständen dieser Zeit zusammen: Besonders starker Pollenflug, eine große Hitzewelle und der recht plötzliche Tod meines Vaters machten mir damals zu schaffen. Denn nicht nur Stress, auch Trauer schwächt die Lungen. Bis zu dieser Krise hatte ich instinktiv die Pranayama-Techniken am liebsten und häufigsten geübt, die mein Atemsystem auch aus Sicht der Buteyko-Methode braucht: Ujjayi mit verlängerter Ausatmung, Anuloma Viloma mit unterbrochener und damit ebenfalls verlängerter Ausatmung und Bahya Kumbhaka, also die Atempause nach der Ausatmung. Außerdem hatte ich im Pranayama geübt, meinen Atem so fein werden lassen, dass er fast nicht mehr wahrnehmbar ist.

All diese Übungen haben bekanntermaßen eine sehr beruhigende Wirkung, denn die Ausatmung steht in Verbindung zum parasympathischen Teil des vegetativen Nervensystems. „Die Möglichkeit, über die Atmung zur Ruhe zu kommen, sollte sich aber nicht nur auf die Zeit beschränken, in der wir auf der Yogamatte sitzen“, meint Patrick McKeown. „Wir sollten das, so gut wir können, auf den Alltag übertragen, indem wir durch gezielte Atemübungen die CO2-Toleranz erhöhen.“ Das bedeutet, dass das Bedürfnis, unbedingt einatmen zu müssen, erst etwas später einsetzt und sich so unser Atemmuster allmählich verlangsamt, ruhiger und leichter wird.

c: Seasonal via Canva, Symbolbild, Atmung
Foto: Seasonal via Canva

Die Vorteile der Nasenatmung

Bei regelmäßiger Übung stellen sich schnell Fortschritte ein – und die sind sogar messbar: Die sogenannte Kontrollpause (siehe Infokasten) gibt Aufschluss über den aktuellen Zustand der Lunge und trainiert gleichzeitig die Atemwege. „Wer die Kontrollpause regelmäßig praktiziert, wird seinen Score bald erhöhen und außerdem seine Atemfrequenz senken“, verspricht Breathwork-Experte McKeown. „Als Asthmatiker kannst du dein Leben wirklich verbessern, wenn du dir angewöhnst, durch die Nase zu atmen und weniger zu atmen. Wenn jemand mit Asthma zu uns kommt, können wir innerhalb von zwei Wochen seine Symptome bis zu 50 Pozent reduzieren. 50 Prozent! Dazu vesuchen wir als erstes, die Kontrollpause auf mehr als 20, 25 Sekunden zu bekommen.“ Um die Atemregeln nicht nur auf ein paar achtsame Momente zu beschränken, gibt es sogar Mouth Tapes, also Pflaster für den Mund, um auch im Schlaf durch die Nase zu atmen.

Durch die Nasenatmung wird die Luft nicht nur aufgewärmt, befeuchtet und gefiltert, sondern zudem mit Stickstoffmonoxid angereichert, das in den Nasennebenhöhlen gebildet wird. Es weitet die Gefäße, fördert die Durchblutung und damit auch die Sauerstoffaufnahme. Können solche Atemtechniken jeden Asthmatiker, jede Asthmatikerin kurieren? „Nein, wahrscheinlich nicht. Aber jeder, der seine Atemgewohnheiten verbessert, hat sein Leben lang etwas davon.“

Asanas und Atmung

Ich konzentriere mich vor allem beim Üben von Yogahaltungen gern auf die Atmung. Beim Iyengar-Yoga bleiben wir oft minutenlang in den Asanas. Viel Zeit zum Erspüren und Verlangsamen, während der Brustkorb in vielen Haltungen zusätzlich gehoben und geöffnet wird. Oder indem die Wirkung der Schwerkraft buchstäblich auf den Kopf gestellt wird: In Umkehrhaltungen bewegt sich das Zwerchfell bei der Einatmung gegen die Schwerkraft, während es sich bei der Ausatmung mit der Schwerkraft leichter zurück entspannt. Das ist ein gutes Training für die Atemmuskulatur und eine Erleichterung für alle, denen das Ausatmen oft schwerer fällt. Der große Werkzeugkasten der Asana- und Pranayama-Praxis kombiniert mit Buteykos Erkenntnissen haben mir in den letzten zwei Jahren enorm geholfen, wieder Vertrauen zu meinem Körper zu gewinnen. Und ruhiger zu schlafen.

Patrick McKeown

Atem-Tipps von Patrick McKeown


FÜR JEDEN TAG
· Atme immer durch die Nase ein und aus:
Im Ruhezustand, während des Schlafes und möglichst auch beim Yoga oder Sport!

· Die Kontrollpause (siehe Infokasten oben): Wenn du die Übung zum Beispiel in deine Morgenroutine einbaust, wird sich die Atempause bald verlängern.

· Übe, weniger zu atmen, also nicht nur langsamer (geringere Atemfrequenz), sondern auch mit weniger Volumen. Das öffnet die Atemwege, verbessert die Sauerstoffaufnahme und stimuliert den Vagusnerv. Zugleich erhöht es den Kohlendioxid-Gehalt im Blut und verbessert mit der Zeit deine Kohlendioxid-Toleranz. Dazu dient die 4-Minuten-Übung:

Lege eine Hand auf die Brust, die zweite oberhalb des Bauchnabels.
Atme 4 Minuten lang nur zu etwa 70 Prozent deines möglichen Volumens ein und sanft und entspannt wieder aus, bis du leichten Lufthunger verspürst. Wann immer es anstrengend wird, atme ein paar Atemzüge normal.
Wichtig: Während der Schwangerschaft keine verlängerten Atempausen üben!

BEI EINEM ASTHMA-ANFALL
Sobald du die ersten Anzeichen spürst, führst du deinen Atem auf folgende Weise: Atme durch die Nase ein und wieder aus und halte dann die Nase 3–5 Sekunden lang zu. Wiederhole das mehrmals. Wenn du früh genug damit anfängst, kannst du den Anfall häufig abwenden und die Symptome zum Abklingen bringen.
Wichtig: Setze nicht selbstständig deine Medikamente ab. Solltest du sie weniger brauchen, besprich mit deinem Arzt eine neue Einstellung der Medikation.


Unsere Autorin, die Iyengar-Yogalehrerin Nici Tannert, bietet online „Yoga gegen Asthma“-Klassen an, in denen sie ihre eigenen Erfahrungen und Wege aus der Atemnot vermittelt. yogakraftwerk.de

Du möchtest noch mehr Übungen zur Atmung ausprobieren? Dann schau doch mal hier:

Intuition: Lerne, deine innere Stimme zu hören – und ihr zu folgen

Ganz egal ob du eine wichtige Entscheidung treffen musst oder darum ringst, etwas zu verstehen: Frag dein Inneres und experimentiere mit dem Rat, den es dir erteilt. Die folgende Meditation kann dir helfen, die tieferen Schichten deines Selbst zu hören und ihre Botschaften zu verstehen.

Text: Sally Kempton / Foto: David Martinez

Sakshatkara – intuitives Erkennen

Eine wirkliche Entsprechung zum Wort “Intuition” scheint es in den Quellenschriften des Yoga nicht zu geben. Häufig wird der Sanskrit-Begriff Sakshatkara genannt. Eigentlich bedeutet er “Wahrnehmung” oder “für die Augen sichtbar gemacht”, “offensichtlich”. Er wird sowohl für die mit den Sinnen gewonnene Erkenntnis verwendet als auch für die übersinnliche oder intuitive Art des Erkennens.

Übung: So verbindest du dich mit deiner Intuition

1. Nimm dir genügend Zeit, um dir über deine Frage klar zu werden und sie in einem Satz zu formulieren. Schreib diesen Satz auf. Das ist ein wichtiger Schritt, er hilft dir möglichst klar und konkret zu sein. Für deine ersten Versuche kannst du zum Beispiel um Hilfe bei einem kreativen Problem bitten, um die Klärung einer problematischen Beziehung oder einer konkreten Lebenssituation. Vielleicht fragst du aber auch nach mehr Bewusstsein in deiner Yogapraxis oder nach der Bedeutung einer inneren Tendenz, die dich irritiert.

2. Nimm eine bequeme Sitzhaltung ein. Achte darauf, dass die Wirbelsäule aufgerichtet, der Rücken aber nicht verkrampft oder verhärtet ist. Schließe deine Augen. Hol die Frage in dein Bewusstsein und formuliere sie einige Male im Stillen. Welche Gefühle steigen dabei in dir auf? Welche Gedanken hast du spontan dazu? Gibt es Widerstand gegen den Prozess? Wenn dir etwas davon wichtig erscheint, kannst du es rasch notieren.

3. Nutze den Rhythmus deiner Atmung als Anker. Hefte deine Aufmerksamkeit so lange auf den Atem, bis dein Geist sich entspannt und ruhiger wird.

4. Dann lass dich etwas tiefer sinken. Das erreichst du zum Beispiel, indem du dich auf dein Herzzentrum in der Mitte der Brust konzentrierst. Oder auf dein Nabelchakra (etwa drei Fingerbreit unterhalb des Nabels, tief im Bauch gelegen). Vielleicht hilft dir auch eine Visualisierung: Stell dir dich selbst vor, wie du eine Treppe in einen warmen, stillen Keller hinabsteigst. Geh Stufe um Stufe hinab, bis du völlig von Stille umgeben bist.

5. In dieser Stille bittest du die Weise, den Weisen, jene wissende Instanz in deinem innersten Wesenskern, jetzt präsent zu sein. Vielleicht gibt es auch eine bestimmte Gottheit oder einen Lehrer, an die du dich wenden möchtest. Oder du hast das Gefühl, deine Frage am liebsten an das Universum, das Tao, die Quelle allen Seins richten zu wollen. Es kommt nur darauf an, dass du weißt: Es ist genug, jetzt um die Anwesenheit dieser inneren Weisheit zu bitten.

Die Antwort liegt im Zentrum deines Seins: Du weißt, wer du bist, und du weißt, was du willst.

Laotse

6. Stell deine Frage noch einmal. Dann sitz einfach still – ohne Erwartung, ohne Entmutigung, schau nur, was auftaucht. Erinnere dich daran, dass Einsicht nicht immer in Gestalt von Worten erscheint. Es kann auch ein Gefühl sein, ein Bild, die Erinnerung an etwas, das eine andere Person gesagt hat. Außerdem kann es sein, dass es nicht in dem Moment geschieht, wo du danach fragst. Die Intuition folgt ihrer eigenen Zeit. Bleib wachsam, ganz besonders in den nächsten 24 bis 48 Stunden, nachdem du den Samen deiner Frage gesät hast. Die Antworten werden kommen.

7. Sobald du eine oder mehrere Antworten erhalten hast, schreibst du sie auf. Halte sie eine Weile in deinem Bewusstsein und lass es sprudeln: Was steigt dazu in dir auf? Welche Gefühle sind damit verbunden? Vielleicht bist du versuchst, die Einsichten zu interpretieren, es kann aber genügen, sie ganz einfach in deinem Bewusstsein zu halten – allein das wird schon Veränderungen herbeiführen. Allerdings: Wenn die Botschaft einen wertenden Charakter hat, wenn sie sich wie eine Strafe oder eine Schuldzuweisung anfühlt, dann stammt sie sehr wahrscheinlich nicht aus deiner tiefsten Quelle.

8. Denk zum Schluss darüber nach, wie du deine Einsicht in eine Handlung übersetzen könntest. Hier beginnt das eigentliche Experiment. Doch der einzige Weg, wie du lernst, dich wirklich deiner inneren Führung anzuvertrauen, besteht darin, es auszuprobieren – und dann aufmerksam auf die Resultate zu achten.


SALLY KEMPTON zählte international zu den wichtigsten Lehrer*innen für Meditation und Yogaphilosophie. Sie schrieb viele Jahre für das YOGA JOURNAL und hat mehrere (Audio-)Bücher verfasst. Mehr Infos unter sallykempton.com


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