Die 10 Gebote des Yoga: Ohne Ethik kein Yoga

Yamas und Niyamas Yogaphilosophie
Die Yamas und Niyamas aus dem Yogasutra des Patanjali bilden nicht umsonst die ersten beiden Stufen des achtgliedrigen Übungsweges: Im klassischen Yoga gelten die 10 Gebote des Yoga als die Basis der gesamten Praxis. Wir erklären dir, warum das so ist und wie du deine eigene Ethik definierst.

Text: Max Strom / Titelbild: Jeremy Thomas via Unsplash

Richtig oder falsch? Wenn das so einfach wäre! Ethische Fragen durchziehen unser gesamtes Leben – und mangelnde Ethik ist die Wurzel vieler kleiner Konflikte und großer Probleme. Im Yoga gilt: Ohne Ethik kein spirituelles Wachstum. Trotzdem gehen wir mit dem Thema oft ziemlich lässig um. Warum eigentlich? Und wie ließe sich das ändern? Sehen wir uns erst einmal die 10 Gebote des Yoga an: Yamas und Niyamas.

Yamas – “Zügelungen”, Regeln für gutes Handeln

Diese fünf Regeln bezeichnet Patanjali als Mahavratam, das “große Gelübde”, denn sie sollen bedingungslos und universell gültig sein.

  1. Ahimsa – Nicht-Verletzen, Nicht-Schädigen, Gewaltlosigkeit
  2. Satya – Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit
  3. Asteya – Nicht-Stehlen, im weiteren Sinn Nicht-Begehren
  4. Brahmacharya – sexuelle Enthaltsamkeit oder allgemein Maßhalten
  5. Aparigraha – Nicht-Besitzergreifen, Nicht-Horten

Kurz erklärt: Was sind Patanjali und der achtgliedrige Pfad?

Niyamas – “Disziplinen”, Regeln für eine gute Praxis

  1. Sauca – innere und äußere Reinheit oder Reinigung
  2. Samtosha – Zufriedenheit, Genügsamkeit oder Gleichmut
  3. Tapas – Askese oder Feuereifer in der Praxis
  4. Svadhyaya – eigenes Studium oder Selbsterforschung
  5. Ishvara Pranidhana – Hingabe an Gott oder allgemein Hingabe

Auch wenn wir es nicht so nennen: Wir reden ziemlich gerne und viel über Ethik, vermutlich sogar jeden Tag, und zwar meistens in Form von Klagen. Wir sprechen nämlich sehr viel lieber über die (mangelhafte) Moral der anderen als über unsere eigene. Das Thema ist uns einerseits sehr wichtig, andererseits aber offenbar unangenehm ist. Wir können den innerlichen Widerstand gegen das Thema vermutlich ganz einfach auflösen, indem man ein anderes Wort benutzt: Werte, Güte oder Menschlichkeit vielleicht. Dann fällt es leichter, sich dem Thema zuzuwenden und herauszufinden, welche Prinzipien einem wichtig sind und nach welchen Leitlinien man sein Leben ausrichten möchte.

Lies auch: 10 wichtige Tugenden für unsere Zeit

Welche Art Mensch möchte ich sein?

Die Kraft der Ethik reicht aber noch viel weiter: Die meisten von uns würden gerne die Welt verändern. Es gibt so vieles, was falsch läuft, was wir als unrecht empfinden und gerne anders hätten, friedlicher, gerechter. Wir wissen, dass ein großer Teil der globalen Probleme auf einer mangelhaften Ethik beruht. Der Teil der Welt, auf den wir den meisten Einfluss haben, sind wir selbst. Das müsste unser Ausgangspunkt sein: Wenn wir uns eine friedlichere Welt wünschen, müssen wir selbst friedlicher werden. Wenn wir Gerechtigkeit fordern, müssen wir in unserem eigenen Verhalten deutlich machen, was Gerechtigkeit überhaupt heißt.

Lies auch: Yamas und Niyamas in der Yogapraxis

Ethische Überzeugungen abhängig von Stimmung

In Wirklichkeit ist unsere persönliche Moral oft sehr fließend. Die wenigsten Menschen haben ihre Leitlinien und Maßstäbe klar definiert. Kannst du deine Ethik ad hoc in ein paar Sätzen beschreiben? Wahrscheinlich nicht. Ohne dass man es sich klar macht, scheint es bei den meisten Menschen sogar so zu sein, dass zwei verschiedene Sätze an ethischen Werten zum Einsatz kommen: Der eine wenn man sich friedlich und glücklich fühlt, zum Beispiel nach einer Yogastunde – wer wäre da nicht hilfsbereit, milde und verständnisvoll? Aber da gibt es auch einen zweiten, der zum Vorschein kommt, wenn wir aufgebracht oder gekränkt sind, oder auch nur hungrig und müde: Dann sagen und tun wir manchmal Dinge, die wir sonst niemals von uns geben würden.

Dieses Phänomen wurde schon in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen unter die Lupe genommen. Sie zeigen allesamt, wie abhängig unsere ethischen Überzeugungen, vor allem aber unser Verhalten von der jeweiligen Stimmung sind. Das hat Folgen, denn wenn du freundlich gestimmt bist, dann gibst du diese Freundlichkeit weiter und dieses positive Verhalten kann sich theoretisch wie eine Kettenreaktion durch die ganze Stadt fortsetzen.

Genauso breitet sich aber auch deine Aggression aus, wenn du grob zu jemandem bist.
Um das zu vermeiden, muss man sich über diese Mechanismen erst einmal bewusst werden und auch wahrnehmen, was einen vielleicht gerade triggert. Noch wichtiger finde ich es aber, dass man nicht damit aufhört, sich über die eigene Ethik Gedanken zu machen, sie klar zu definieren und sich innerlich so an ihr auszurichten, dass sie auch in schwierigen Momenten noch greifen kann. Vielleicht beginnst du damit, einmal aufzuschreiben, wie du von anderen behandelt werden möchtest – und zwar so genau wie möglich. Jetzt musst du das Ganze nur noch umdrehen und andere Menschen genau so behandeln.

Wasser Tropfen Ethik
Wie ein Tropfen der ins Wasser fällt und Wellen schlägt: Dein eigenes Verhalten überträgt sich auf deine Mitmenschen. Foto: Herbert Goetsch via Unsplash

Herausforderungen der eigenen Ethik

Die persönliche Auseinandersetzung mit Ethik führt dazu, dass wir darüber nachdenken, welche Art Mensch wir sein möchten. Wie möchtest du in Erinnerung bleiben? Wir entscheiden, wer wir sein wollen. Und wir schaffen uns einen Code an ethischen Grundsätzen, damit wir uns daran halten können. Das ist zugegebenermaßen nicht einfach, denn wir kommen immer wieder in Situationen, in denen unsere Ethik auf eine harte Probe gestellt wird. Und fast immer gibt es einen Grundsatz, mit dem man besonders zu kämpfen hat. Das hat ganz verschiedene Gründe. Einer davon besteht darin, dass wir zur Vereinfachung neigen.

Sich über die eigenen Grundsätze klar werden

In der Yoga-Community hört man zum Beispiel sehr häufig: “Ich glaube an Gewaltlosigkeit.” Klingt plausibel, aber man könnte sich sehr schnell ein paar Situationen ausdenken, die diesen Grundsatz auf die Probe stellen. Etwa so: Du siehst, wie ein Kind erschlagen wird. Du hast einen Knüppel und könntest den Täter mit einem Schlag stoppen. Würdest du das tun? Ich denke, die meisten Menschen müssten zugeben, dass sie nicht an Gewaltlosigkeit unter allen denkbaren Umständen glauben, sondern dass dieses Prinzip für sie an Bedingungen geknüpft ist. Das ist auch völlig in Ordnung.

Es ist aber wichtig, sich darüber im Klaren zu sein – und zwar am besten bevor man in eine solche Situation gerät. Das ist eines der Dinge, die uns die Beschäftigung mit Ethik schenken kann: Wir entscheiden schon im Vorfeld, von welchen Grundsätzen wir uns leiten lassen. Auf diese Weise wird das Leben klarer. Denn in vielen Situationen haben wir schlicht nicht die Zeit, lange über das richtige Verhalten nachzudenken. Wenn zum Beispiel Gewalt im Spiel ist, springen sofort Reflexe an: Flucht oder Kampf? Wenn ich mir schon zuvor im Klaren darüber bin, dass ich zwar an Gewaltlosigkeit glaube, unter ganz bestimmten Umständen aber selbst Gewalt anwenden würde, dann hilft mir das, in einer solchen Situation schnell und entschlossen zu handeln, anstatt innerlich zu erstarren und mich auf eine Weise zu verhalten, für die ich mich später schämen müsste.

Lies auch: Was bedeutet Ahimsa?

Das ethische Dilemma

Ein weiteres Feld, in dem einem solche Szenarien bei der Klärung helfen können, ist das ethische Dilemma. Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Geschichte von Anne Frank: Nehmen wir an, sowohl Gerechtigkeit als auch Ehrlichkeit gehören zu deinen ethischen Werten, was würdest du tun, wenn du das Versteck der Familie Frank in Amsterdam kennst und von der Gestapo danach gefragt würdest? Da du an Gerechtigkeit glaubst, müsstest du die Familie vor dem sicheren Tod schützen. Weil du dir aber geschworen hast, unter keinen Umständen zu lügen, müsstest du die Frage wahrheitsgemäß beantworten und die Franks ausliefern. Mit anderen Worten: Zwei starke ethische Werte stehen in direktem Konflikt und du musst dich für einen von beiden entscheiden. Glücklicherweise kommen nur sehr wenige von uns je in eine so dramatische Situation, aber im Grunde kannst du das gleiche Dilemma auch schon erleben, wenn deine Freundin fragt: “Sehe ich gut in diesem Outfit aus?”

Gerade diese beiden Werte – Ehrlichkeit und Freundlichkeit – stehen in einer engen Beziehung, in meinen Augen sollte man immer gemeinsam über sie nachdenken. Dabei kannst du einiges über dich lernen: Neigst du eher dazu, zu lügen, um Konflikte zu vermeiden? Oder benutzt du deine Wahrheitsliebe vielleicht sogar insgeheim, um den einen oder anderen Konflikt zu schüren? Wie stimmungsabhängig ist das? Und wie gut bist du in der Lage, zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Ton zu treffen?

Ethisches Verhalten erfordert Selbstbeobachtung

Es reicht also nicht, sich für einen bestimmten Wertekatalog zu entscheiden und sich vorzunehmen, sich daran zu halten: Ethisches Verhalten erfordert eine ständige Selbstbeobachtung und ein Abwägen von Grundsätzen, Motiven und besonderen Zusammenhängen. Es ist – genau wie Yoga – ein Übungsweg. Dabei geht es nie um ein starres Korsett aus Regeln. Viel eher sollten wir Ethik als die Form verstehen, die unsere Liebe annimmt – der Ausdruck unserer Liebe in die Welt hinein. Es ist leicht zu sagen “ich liebe”, aber wie entfaltet sich diese Liebe in der Menschheit und der Biosphäre? Wie drückst du dich aus in Worten und Taten? Und wie bringst du sie auch dann noch zum Ausdruck, wenn schwierige Umständen dich fordern? Das ist die Grundlage der Ethik und der Grund, warum Ethik das vielleicht wichtigste Thema unserer Zeit ist.


Als der amerikanische Yogalehrer, Autor und Keynote-Speaker Max Strom vor Jahren in Washington einen Workshop mit dem Titel “Ethik” anbot, kamen fünf Teilnehmer*innen. Beim nächsten Mal nannte er das Seminar “Skandal, Tugend und das Freudenfeuer unserer Eitelkeiten”. In kürzester Zeit erreichten ihn 50 Anmeldungen. Dieser Text beruht auf einem Vortrag, den Max Strom im Herbst 2018 während eines Workshops in Nürnberg hielt. Mehr Info unter maxstrom.com und auf Instagram @maxstromofficial

Wie Yoga deine Beziehung verbessert

Yoga wirkt als holistisches System auf Körper, Geist und Seele. Eine regelmäßige Praxis beeinflusst, wie wir uns selbst wahrnehmen und unsere Beziehungen führen. Das gilt auch für die Beziehung zu unserem Partner oder unserer Partnerin. Warum das so ist, erklären wir dir hier.

Text: Pia Haas / Titelbild: Kampus Production via Pexels

Yoga geht weit über den Mattenrand hinaus und besitzt das Potenzial, unsere Lebensqualität ganzheitlich zu verbessern. Der wohlbekannte “Yogi-Glow”“ kommt weniger von den festeren Oberarmen (die kommen ganz von alleine) als viel mehr von einer inneren Einstellung heraus, die sich in einer strahlenden Santosha (Zufriedenheit) Ausstrahlung manifestiert. Schaffen wir es, die Prinzipien, die wir auf der Matte leben, auch off the mat zu festigen, können diese unsere Beziehung verbessern.

Die innere Transformation, die eine regelmäßige Praxis mit sich bringt, besitzt die Kraft, unsere Beziehung auf eine gesündere und glücklichere Ebene zu heben. Allem voran deswegen, weil wir begreifen, dass das Glück ausschließlich in uns liegt. Der Partner oder die Partnerin ist nicht an unserer Seite, um uns “glücklich zu machen”.

Der Fokus: Focus on the good

Wer Yoga praktiziert, lernt sich zu fokussieren. Ob als essentieller Bestandteil der Meditation, bei der Ausrichtung auf die selbstgewählte Intention während der Asanapraxis oder beim Beobachten unseres Atems bei einer Pranayama-Einheit. Während wir selbstbewusst im Krieger 1 stehen, erinnert uns unsere Yogalehrperson an unser “Drishti” – den Blick/Fokus, der hierbei stets entschlossen nach vorne gerichtet werden soll und entspannt in Savasana liegend, wird die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt gelenkt.

Die Macht über unseren Fokus

Der Fokus schenkt uns Stabilität und gibt die Richtung an: “Where focus goes, energy flows”. Ebenso entscheidet der Fokus oftmals über die Qualität unserer Praxis: Zerstreute Gedanken führen nicht selten zu einem unbefriedigenden Meditationserlebnis oder einem ziemlichen Gewackel in Vrikshasana (Baum-Pose). Dasselbe gilt für unsere Beziehung: Ein positiv ausgerichteter Fokus ist die Basis einer guten Beziehung. Wie alles andere, ist der Fokus reine Energie. Dinge, auf die wir uns konzentrieren, können grenzenlosen Raum einnehmen. Gedanken, auf die wir unseren Fokus richten, bleiben. Gedanken, von welchen wir unseren Fokus abziehen, lösen sich auf. Das, was uns Yoga beibringt, ist, dass wir die Macht über unseren Fokus selbst in der Hand haben.

Dein*e Partner*in besitzt Ecken und Kanten und ist dennoch ein vollkommenes Wesen. Ein Fokus auf die Dinge, die dich stören, bedeutet auf lange Sicht unweigerlich eine unglückliche Beziehung. Leider unterliegen wir Menschen dem Negativity Bias, was bedeutet, dass wir Dingen negativer Natur grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit schenken als positiven oder neutralen. Der Ursprung dieses Effekts könnte darin liegen, dass die erhöhte Aufmerksamkeit auf negative und somit teilweise lebensbedrohliche Umstände, evolutionär betrachtet, oftmals eine notwendige Bedingung fürs Überleben darstellte.

Fokus auf das Positive trainieren

Solche Denkmuster sind zwar aus entwicklungspsychologischer Sicht fest in unseren kognitiven Strukturen integriert, dienen uns allerdings schon längst nicht mehr. The good news: Der Fokus auf das Positive lässt sich kultivieren und wie ein Muskel trainieren. Besonders nach einigen Jahren Beziehung neigen wir dazu, uns auf die Eigenschaften zu versteifen, die uns an unserem Partner oder unserer Partnerin nerven, die er oder sie nicht hat und uns fehlen. Essentiell ist hier die Erkenntnis, dass niemand perfekt ist und es auch in einer Beziehung mit jedem anderen Punkte geben würde, die einen stören. Bevor unser Fokus dahin abdriftet, dass der neue Kollege unserem Ideal vom “Mister Perfect” sicherlich noch einen Tick näherkommen würde, sollte dieser auf all die Eigenschaften gerichtet bleiben, weshalb wir unseren Partner lieben.

Die rosarote Brille

Es geht nicht darum, störende Verhaltensweisen des Partners wegzuignorieren, diese nie zur Sprache zu bringen und spiritual-bypassing-like Beziehungen aufrecht zu erhalten, die nicht guttun. Allerdings verschiebt sich der Fokus in langfristigen Beziehungen, die grundsätzlich total harmonisch sind, oftmals auf kleinere Lappalien, die somit zu viel Raum einnehmen und unausweichlich zu einer unausgeglichenen Partnerschaft führen – wie ein wackeliger Krieger 3. Die Konsequenz ist nicht selten eine Trennung, gekoppelt an die Illusion, dass der nächste Partner sicherlich “mehr” zu bieten hat. Die rosarote Brille vom Anfang deiner Lovestory ist nichts anderes als ein “Focus-on-the-good-Filter” – und da ganz allein du über deinen Fokus entscheidest, ist es dir überlassen, ob du sie jemals abnehmen möchtest.

Practice what you preach: Die Praxis abseits des Mattenrandes fortführen

Wenn der Partner sich auf eine Art und Weise verhält, die unseren Erwartungen nicht gerecht wird, sinkt das Stimmungsbarometer. Hier kommt ein friendly reminder: Dein Partner ist ein Individuum, welches seinen physischen Körper geschenkt bekommen hat, um seinen persönlichen Lebensweg zu bestreiten. Häufig werden Yogaklassen von wunderschönen, tiefgründigen Mantren begleitet, die wir getrost mitchanten. “Lokah samastah sukhino bhavantu” zu Beginn einer Yogastunde geht runter wie Öl und ja, die Bedeutung dieses weitverbreiteten Sanskrit-Mantras ist uns wohl bekannt: “Mögen alle Lebewesen überall glücklich und frei sein. Mögen meine Taten, Gedanken und Worte zum Glück und Freiheit aller beitragen.”

Freue dich über das Glück deines Partners

Tiefenentspannt triffst du deinen Partner im Anschluss an die Yogastunde in der Küche an und er erzählt dir von einem geplanten Trip mit den Jungs nach Mallorca. “Ne, das geht gar nicht!”, denkst du dir sofort. Moment, innehalten. Die richtige Kommunikation und der aufrichtige Wunsch nach dem Glück des Partners bilden hier die Schlüsselelemente. Gemeinsame Wünsche, Träume und Ziele in einer Partnerschaft sind schön und bereichernd. Die Erkenntnis, dass der Partner allerdings auch Wünsche, Pläne und Ziele hat, die nichts mit den Eigenen zu tun haben, sollte keine Desillusion, sondern Erleichterung auslösen. Denn auch du darfst deine ganz persönlichen Lebensträume ausleben, ohne, dass dich eine Partnerschaft daran hindert.

Die Einschränkung der Freiheit des Liebsten sollte gegen deine yogischen Prinzipien sprechen. Dennoch scheinen viele eine Partnerschaft mit dem Durchsetzen der eigenen Ansichten (beispielsweise: ein Party-Männer/Frauen-Trip ist unangebracht in einer Partnerschaft) und dem Aufzwingen der eigenen Interessen zu verwechseln. Frage dich öfter, was dein Partner braucht, um glücklich und frei zu sein. Sidenote: Nein, Freiheit ist an dieser Stelle nicht gleichzusetzen mit Untreue und Rücksichtlosigkeit. Sich bei dieser Frage mal ganz selbstlos aus dem Kalkül zu ziehen, stellt gleichermaßen eine Herausforderung, die eine gesunde Portion Selbstreflexion (sind das meine oder die Bedürfnisse meines Partners?) abverlangt, sowie die Basis bedingungsloser Liebe dar. Ebenso dient die tiefe Bauchatmung, die jedem Yogi vom Anfang der Yogastunde bestens bekannt ist, Deeskalations-Zwecken oder auch der Verzicht auf das Rechthaben beim nächsten Streit. Einfach des Frieden Willens: om shanti, shant shanti und so.

Change the perspective

Gewisse Asana-Kategorien, wie Umkehrhaltungen oder Twists spielen mit der emotionalen Komponente des Perspektivwechsels. Einige Minuten im Schulter- oder Kopfstand können dahingehend wahre Wunder bewirken, als das wir im Anschluss an die Praxis möglicherweise gar kein Problem mehr sehen, wo vorher noch eins war. Wir stellen einmal alles auf den Kopf, ändern buchstäblich unsere Perspektive und erlauben uns damit, die Dinge von einem anderen Winkel heraus zu betrachten. In all unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, einschließlich in unserer Partnerschaft, kann ein mentaler Perspektivwechsel ebenso wertvoll sein. Einmal von dem eigenen Standpunkt abzurücken, die Perspektive des anderen einzunehmen und sich zu fragen, wie der andere die Situation wahrnimmt – gerade dann, wenn die Meinungen nicht weiter voneinander entfernt sein könnten – hat immer schon geholfen.

Raus aus der Ego-Komfortzone

Wir Yogis kennen das Prinzip des Perspektivwechsels und wenden es dennoch ungerne an. Wieso? Weil das Beharren auf die eigene Meinung gemütlicher für unser Ego ist. Die Einsicht, dass jeder seine ganz eigene Wahrheit hat und es im seltensten Fall darum geht, die ultimativste unter ihnen zu finden, sind Aspekte, die dazu beitragen, sich bei der nächsten Diskussion gelassener zurückzulehnen. Oft geht es doch einfach nur darum, gesehen werden zu wollen. Ein “Ich sehe deinen Standpunkt” funktioniert ohne ein “aber meiner ist ganz anders” oft wesentlich besser und führt schneller zum Versöhnungs-Busserl.

Stay on your mat: Keine Vergleiche ziehen

Es spielt keine Rolle, ob deine Freundin tiefer in die Vorwärtsbeuge kommt oder deine Mattennachbarin sich im Gegensatz zu dir in den Handstand schwingt, als wäre es das einfachste der Welt – im Yoga werden wir immer wieder zu folgendem angehalten: Bleib bei dir auf der Matte und ziehe keine Vergleiche. Dieses Motto stellt nicht nur in unserer Praxis eine Herausforderung dar, sondern auch in unserer Beziehung. Gekonnt ausgelebt führt es aber in beiden Lebensbereichen zu mehr Seelenfrieden.

“Tom und Melanie sind ständig on tour, wir hingegen verbringen so viel Zeit auf der Couch”, “Marlon bringt Nadine regelmäßig Blumen mit, das fände ich auch schön”, “unsere Nachbarn scheinen sich wirklich nie zu streiten”. Unwichtig. Wir sehen immer nur kleine Ausschnitte der Realität und werden nie die Gesamtheit aller Facetten einer Beziehung greifen können. Das Erkennen und Aufspüren solcher undienlichen Vergleichsprozesse ist die halbe Miete. Das gilt für Vergleiche mit anderen Paaren ebenso wie der Vergleich zwischen deinem Partner und einer anderen Person.

Vergleiche sind Energieverschwendung

Wir können kaum verhindern, dass sie einsetzen, zumal uns solche Triggerpunkte mehr Aufschluss darüber bieten, was wir uns selbst wünschen und daraufhin aktiv in die eigene Beziehung integrieren können. Gesamtheitlich betrachtet ist es jedoch sinnvoll, von Vergleichen jeglicher Art abzusehen und sich, wie im Yoga, die wertvolle Energie, die einem hierbei verloren geht, “auf der eigenen Matte” zunutze zu machen. Das Feiern der Individualität der eigenen Beziehung steht hier an erster Stelle, denn jede Beziehung ist so einzigartig, wie es die Partner selbst sind. Du bist genau richtig, dein Partner ist genau richtig, ihr als Team seid genau richtig. Es besteht keine Notwendigkeit, nach Regularien oder Maßstäben Ausschau zu halten.

Self-love Baby! Lebe die Selbstliebe

Yoga verhilft uns zu einer tieferen Beziehung zu uns selbst. Wir lernen mit uns in Verbindung zu treten, zuzuhören, uns besser kennen und letztendlich – lieben. “Bedanke dich bei dir, dass du dir heute die Zeit für deine Praxis genommen hast” – was? Bedanken bei mir selbst? Mit der fortschreitenden, liebevollen Praxis wird der Kontrast zum gemeinen und harten Umgangston deutlich, den man sich regulär selbst gegenüber pflegt. Es stellt sich ein Shift ein zu mehr Selbstverständnis und Anerkennung. Die Zeit mit sich alleine wird wertvoll und höchst geschätzt, schlussendlich wird man zu einer Version, mit der man selbst gerne Zeit verbringt. Anders als andere, oftmals ablenkende Tätigkeiten, ist Yoga immer wieder wie ein Date mit sich selbst.

Somit festigt die regelmäßige Yogapraxis die essentiellste aller Säulen einer bereichernden Partnerschaft: die Liebe zu sich selbst. Denn auch, wenn der Begriff der Selbstliebe so en vogue ist, dass er fast schon wieder abgedroschen klingt, ist es nicht weniger wahr, dass die Qualität der Liebe, die du imstande bist, jemand anderem entgegenzubringen, von der Liebe abhängt, die du dir selbst schenkst. Die Disbalance in deiner Beziehung zu dir selbst, wird sich immer in einer Unzufriedenheit in deiner Partnerschaft manifestieren.

Trust: Hab Vertrauen

Letztendlich schult uns Yoga auch im Vertrauen. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die eigene Intuition und das Leben. Es gilt dieses Vertrauen auf die eigene Beziehung zu übertragen. Dieses geht Hand in Hand mit dem Commitment für unseren Partner. Der feste Glaube daran, dass der Partner, genau der Richtige für einen ist (Obacht: nicht der, der die meisten Checkpoints auf der Liste erfüllt, sondern derjenige, der dir vom Universum zugesandt wurde und gerade durch seine Ecken und Kanten Raum für Wachstum bietet) bewahrt vor einer unsicheren Ich-weiß-nicht-ob-das-passt-Haltung, die auch der Partner unterbewusst spürt und bildet den Grundstein für eine tiefgründige Bindung.

Wie auch das Vertrauen in unsere Fähigkeiten, in das Leben und in sonstige Bereiche, ist das Vertrauen in die Partnerschaft keine Konstante, die, einmal aufgebaut, stetig erhalten bleibt. Sie ist wie eine Pflanze, die gepflegt werden möchte und dessen Nährboden die Liebe ist. Gleichermaßen ist das Vertrauen darin, dass man selbst genau die Richtige für seinen Partner ist (Stichwort Selbstliebe) der ultimative Eifersuchts-Blocker. So unromantisch es klingen mag: Höchstwahrscheinlich kann man mit mehr als einem unter knapp 8 Milliarden Menschen glücklich werden. Runtergebrochen sind es gar nicht so viele Faktoren, die es für eine erfüllende Beziehung braucht. In jedem Fall das Teilen gemeinsamer Werte und die Liebe, die nun wirklich niemand erzwingen kann. Was deinen Partner zu “dem Einen” macht ist der Glaube daran.

Enjoy the journey: Weniger denken, mehr fühlen

Schlussendlich stellt die Beziehung zu einem Partner oder einer Partnerin ebenso wie eine regelmäßige Yogapraxis einen lebenslangen, wunderbaren Prozess dar, der für seine Individualität und Variabilität gefeiert und bewusst erlebt werden möchte. Lass das Herz öfter über den Verstand siegen (viele Asanas liefern hierfür den physischen Anstoß), freu dich über all die Erkenntnisse, Abenteuer und Wachstumchancen, die dir dieser Prozess beschert und sei erfüllt von tiefer Dankbarkeit – denn Liebe zu teilen, ist mit Sicherheit die schönste Erfahrung des menschlichen Seins.


Pia Neuburger über Yoga und Liebe
Foto: Laura Schleich

Autorin Pia Haas schrieb diesen Artikel für uns noch während ihres Studiums der Kommunikationswissenschaft und Psychologie in München. Ihr Wissensdurst in den Bereichen persönliche Weiterentwicklung und Spiritualität mündete in einer tiefen Liebe zum Yoga. Heute hat sie ihre Berufung in der Begleitung von Frauen rund um die Themen Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft gefunden. Mehr Infos unter studiokokon.de und auf Instagram @yogawith.pia

Porträtbild: Laura Schleich www.lauraschleichphotography.de

Wir feiern 100 Ausgaben YOGAWORLD JOURNAL! Titelthema “Gemeinschaft”

Wir haben was zu feiern: 100 Ausgaben YOGAWORLD JOURNAL! Viele Hunderte oder gar Tausende Artikel, Bilder und Geschichten liegen hinter uns. Und da auch dieses Heft ein Gemeinschaftswerk ist, liegt es nahe, dieses Thema mal genauer zu beleuchten: Gemeinschaft. Das 100. YOGAWORLD JOURNAL ist ab sofort im Handel und in unserem Online Shop erhältlich

Titelthema “Gemeinschaft”

Warum wir zusammen stärker sind – und wie wir gut in Verbindung kommen

Was macht gutes Miteinander aus? Worin liegt seine Kraft? Worauf gilt es zu achten, um im wohligen “Wir-Gefühl” nicht unsere Individualität zu verlieren – oder umgekehrt: vor lauter Selbstfindung die wechselseitige Verbundenheit aus den Augen zu verlieren? 

Foto: Nela König

Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir viele verschiedene Menschen zu Wort kommen lassen, darunter einen spirituellen Lehrer, eine Soziologin, Yogaübende und -lehrende, auch ein paar unserer Kolleginnen …

Wir freuen uns, dass wir zusammen mit euch tatsächlich eine kleine “Yogawelt” aufgebaut haben. Und wenn’s nach uns geht, dann ist das Abenteuer noch lange nicht vorbei. Wie immer wünschen wir euch viel Freude beim Lesen und Praktizieren und halten uns an dieser Stelle mit unserem Schlusswort ganz kurz:

DANKE!
Eure YogaWorld Redaktion

Außerdem in dieser Ausgabe:

  • 100 AUSGABEN YOGAWORLD: Ein Blick zurück in Dankbarkeit. Plus: Jubiläums-Verlosung im Heft!
  • BESSER GEMEINSAM: Wie das “Ich” im “Wir” Halt finden kann
  • FLIESSEN UND SCHWEBEN: Ein spielerischer Flow für einen lebendigen Sommer – von Nela König
Alena Erbslöh zeigt euch diesen Summer Flow. Sequenz & Foto: Nela König
  • KRAFT UND BEWEGLICHKEIT: Wie Yoga bei Skoliose helfen kann – von Gül Ruijter
  • ASANA & MUDRA: So verbindest du Körperhaltungen mit energetischen Gesten – von Susanne Mors
  • JETZT ERST RECHT! Macht Meditieren die Welt wirklich besser?
  • GEBÜNDELTE KRAFT: Wunderschöne Heilkräutersträuße

… und vieles mehr.

Die YOGAWORLD JOURNAL Online Ausgabe

Das neue YOGAWORLD JOURNAL gibt es auch als Online-Ausgabe. Ganz einfach, ohne Papier, ohne langes Warten und ohne Versandkosten, direkt in unserem Online Shop. Lade dir einfach und bequem deine Wunsch-Ausgabe herunter – egal ob alt oder neu:

Entspannt durch den Sommer – Yogasequenz mit Timo Wahl

Vitalität und Gelassenheit haben viel damit zu tun, wie wohl wir uns in unserem Körper fühlen. Diese kraftvoll fließende Sequenz aktiviert alle für deine Haltung verantwortlichen Körperregionen. Sie hilft dir, Verspannungen zu lösen und Stabilität zu finden, damit dein System energieschonend arbeiten kann.

Sequenz: Timo Wahl / Fotos: Anja Schnell

Bevor du beginnst:

Wärme dich mit ein paar Runden des dir bekannten Sonnengrußes auf. Auch die einzelnen Abschnitte der Sequenz kannst du jeweils dynamisch über einen kleinen Sonnengruß miteinander verbinden.

Versuche dabei, Bewegung und Atmung zu synchronisieren:
Einatmung (EA): hebe im Stand die Arme // Ausatmung (AA): Vorwärtsbeuge //
EA: strecke Rumpf und Beine (halbe Vorwärtsbeuge) // AA: herabschauender Hund // EA: Planke // AA: Bauchlage // EA: Kobra // AA: herabschauender Hund //
EA: richte dich auf in den Stand

1. Krieger 1 mit gehobener Verse

Krieger 1 Timo Wahl

Setze aus dem herabschauenden Hund den rechten Fuß nach vorn zu den Händen und richte dich auf. Lass dabei die Füße hüftbreit und den Schritt so lange, dass dein vorderes Bein rund 90 Grad beugen kann. Die Kraft kommt aus Beinrückseite und Gesäß des vorderen Beins. Hebe das Schambein, bis sich das Becken für einen langen Rücken aufrichtet. Strecke das hintere Bein nur so weit, wie diese Aufrichtung möglich ist. Gehe dann ohne Seitenwechsel über zum Krieger 2.

2. Krieger 2

Krieger 2 Timo Wahl

Drehe den Oberkörper zum langen Mattenrand und senke die Arme seitlich auf Schulterhöhe. Das vordere Bein bleibt rund 90 Grad gebeugt. Drehe den hinteren Fuß ein wenig ein und aktiviere spürbar beide Beine, um mehr Stabilität zu erfahren. Auch hier richtest du das Becken so auf, dass dein Atem vorne und hinten im Brustraum ankommt. Dabei hältst du Arme und Nacken möglichst entspannt.

3. Gestrecktes Dreieck

Gestrecktes Dreieck, Timo Wahl

Bewege aus dem Krieger 2 das vordere Bein Richtung Streckung und strecke dich lang über dieses Bein. Dabei gehst du nur so weit in die Seitbeuge, wie der Rücken gerade bleibt. Lege die untere Hand locker am Schienbein oder am Boden ab, verlangsame deine Ausatmung und löse die Kraft. Dann setzt du beide Hände auf die Matte und findest den Weg zurück in den herabschauenden Hund.

4. Seitstütz

Seitstütz, Timo Wahl

Verlagere das Gewicht im Hund auf die rechte Hand. Schiebe dich aktiv aus der Schulter heraus, um dem Gelenk Raum zu geben, und lege den rechten Fuß auf seine Außenkante. Schiebe mit dieser Kante fest gegen den Boden und strecke Beine und Rumpf, bis du die Kontrolle über deine Balance spürst. Als Variante kannst du das obere Bein abheben oder aber den oberen Fuß zur Stabilisierung vor dem unteren Bein abstellen.

Wechsle zurück in den herabschauenden Hund und wiederhole Übung 1–4 auf der zweiten Seite.

5. Gedrehter Krieger 1

Gedrehter Krieger 1, Timo Wahl

Aus dem Hund (oder nach einem weiteren Sonnengruß bis zum Hund) ziehst du erneut den rechten Fuß nach vorn und richtest dich auf zum Krieger 1 (siehe Übung 1). Spüre die Aktivität der Beine und hebe noch etwas deutlicher das Schambein, um den Rücken vollständig aufzurichten. Dann drehst du dich mit einer Ausatmung nach rechts und senkst die Arme auf Schulterhöhe.

6. Gedrehtes Dreieck

Gedrehtes Dreieck, Timo Wahl

Bring das vordere Bein im gedrehten Krieger bis knapp vor die Streckung und strecke den Oberkörper lang nach vorne in Richtung Waagrechte. Dabei legst du die rechte Hand an die rechte Schulter und setzt die linke senkrecht darunter auf den Boden oder erhöht auf einen Block. Strecke dich mit der Einatmung lang und schmiege dich ausatmend in die Drehung.

7. Seitstütz, Variante

Seitstütz Variante, Timo Wahl

Löse dich aus der Drehung und komme über den Hund noch einmal in den Seitstütz auf der rechten Hand. Allerdings schiebst du in dieser Version die Innenkante des oberen Fußes gegen den Boden. Wenn du dich dabei stabil und in deiner Kraft fühlst, kannst du das untere Bein sogar ganz vom Boden lösen.

Anschließend wiederholst du ausgehend vom herabschauenden Hund oder nach einem weiteren Sonnengruß Übung 5–7 auf der zweiten Seite.

8. Das einbeinige Boot

Boot, Timo Wahl

Nachdem du den Seitstütz auch links absolviert hast, kommst du zum Sitzen. Stelle deine Füße parallel auf und hebe das linke Bein. Stabilisiere dich kraftvoll aus deiner Mitte, strecke die Arme auf Schulterhöhe nach vorn und versuche, das linke Bein im Bezug aufs Becken um etwa 90 Grad zu heben. Achte dabei darauf, den Rücken möglichst gerade zu halten.

9. Tiefer Ausfallschritt

Tiefer Ausfallschritt, Timo Wahl

Ziehe den linken Oberschenkel aus dem Boot dicht an den Rumpf, verlagere dein Gewicht auf den rechten Fuß, setze die Fingerspitzen am Boden auf und bewege den linken Fuß in einen weiten Ausfallschritt nach hinten. Lass das Becken sinken und spüre die Dehnung an der Vorderseite des hinteren Beins. Diese intensivierst du, indem du Schambein und Oberkörper hebst. Wenn du möchtest, streckst du die Arme nach oben und kommst in eine leichte Rückbeuge. Wichtig: Lass das Schambein gehoben und vertiefe deine Einatmung.

Wiederhole 8 und 9 auf der zweiten Seite.

10. Heuschrecke

Heuschrecke, Timo Wahl

Komme auf deine Weise in die Bauchlage. Verbinde Schambein und Beine bewusst mit dem Boden, aktiviere deine Körpermitte und verschränke die Hände hinter dem Körper mit möglichst gestreckten Armen (dabei hilft dir ggf. ein Gurt). Hebe nun mit einer Einatmung Oberkörper und Arme soweit es dir möglich ist.

11. Bogen

Bogen, Timo Wahl

Wenn du noch intensiver in die Rückbeuge gehen möchtest, beugst du nun beide Beine und greifst die Unterschenkel oder Füße. Bewege mit einer Einatmung die Schultern nach oben/ hinten, hebe den Oberkörper und die Beine und schiebe sanft mit den Füßen gegen die Hände. Spüre, wie dein Brustraum sich weitet. Vielleicht möchtest du dich anschließend einige Atemzüge lang in der Stellung des Kindes entspannen.

12. Janu Shirshasana

Janu Shirshasana, Timo Wahl

Strecke im Sitzen das linke Bein und lege die rechte Fußsohle an die Innenseite des linken Oberschenkels. Stütze dabei ggf. das rechte Knie mit einem Block oder Kissen. Richte einatmend den Oberkörper lang auf, drehe ihn ausatmend gerade nach vorn und lehne dich von den Hüftgelenken ausgehend zum linken Bein. Dabei greift die rechte Hand das Schienbein oder den Fuß. Lass dir etwas Zeit für diese Dehnung, dann wechsle behutsam zur zweiten Seite.

13. Vorwärtsbeuge aus dem Langsitz

Vorwärtsbeuge, Timo Wahl

Strecke im Langsitz beide Beine oder halte sie alternativ leicht gebeugt, in jeden Fall aber aktiv. Richte die Wirbelsäule auf und lehne dich wieder von den Hüftgelenken ausgehend lang gestreckt nach vorn, bis du Widerstand spürst. Dann lass die gesamte Spannung los und erlaube dem Körper, 2–3 Minuten lang passiv der Schwerkraft folgend nach vorn zu sinken.

14. Shavasana

Shavasana, Timo Wahl

Rolle dich behutsam aus der Vorwärtsbeuge wieder zum Sitzen auf und komme ebenso achtsam zum Liegen. Das Nacharbeiten des Körpers nach der intensiven Vorwärtsbeuge braucht Zeit. Bleibe daher mindestens 3–5 Minuten lang bewegungslos liegen und gib dein Gewicht möglichst vollständig an den Boden ab. So kann sich die Spannung abbauen.


Timo Wahl unterrichtet Yoga seit über 25 Jahren und gehört wohl zu den profiliertesten Lehrern und Ausbildern Deutschlands. Du findest ihn in seinem Studio in Frankfurt am Main oder online unter: timowahl.de


Zwei interessante Podcast-Episoden mit Timo Wahl über indische Philosophie findest du hier:

9 Übungen für eine heilende Atmung – von Dr. Ronald Steiner

Eine tiefe, bewusste Atmung beruhigt nicht nur die Nerven, sie kräftigt auch die Muskulatur. Sie entlastet die gerade Rückenmuskulatur, reduziert den Druck auf die Wirbelsäule und führt bei Rückenschmerzen rasch zu Linderung – gut für die Haltung, gut für den Rücken, gut für die Psyche! Hier zeigen wir dir 9 Übungen für eine heilende Atmung.

Text: Dr. Ronald Steiner / Titelbild: Vlada Karpovich via Pexels / Praxisbilder: Philipp Wulk

Der Atem ist das vielleicht kraftvollste Heilmittel, das wir besitzen: Er durchdringt Körper und Psyche, die beteiligten Muskeln halten den Rumpf stabil und entlasten die Wirbelsäule. Wenn du deinem Atem mit der richtigen Technik Raum verleihst, entstehen Kraft, Flexibilität und Gesundheit zugleich. Die folgenden Übungen helfen dabei.

1. Atemraum Oberbauch: Bauchmuskeln

Du kannst diese Übung im Stehen oder Sitzen machen, wichtig ist nur, dass sich deine Wirbelsäule locker in ihrer natürlichen S-Form aufrichten kann. Lege eine Faust auf den Unterbauch und die andere Hand direkt unter den Rippenbögen flach auf den Oberbauch. Atme langsam ein. Dabei hältst du den unteren Bauch aktiv innen, während sich der obere Bauch vorwölbt. Mit der Ausatmung ziehst du den Oberbauch kraftvoll nach unten, innen Richtung Bauchnabel. Beobachte, wie sich die Spannung in den Faszienschichten des Unterbauches umverteilt, dieser Teil des Bauchs jedoch innen bleibt. Setze diese Übung einige ruhige und kraftvolle Atemzüge lang fort.

EFFEKT: Diese Übung kräftigt das Zwerchfell (Diaphragma), unseren wichtigsten Atemmuskel. Bei der Einatmung kommt außerdem der innere schräge Bauchmuskel (M. Obliquus Abdominis Internus) und bei der Ausatmung der äußere schräge Bauchmuskel (M. Obliquus Abdominis Externus) zum Einsatz. Wenn du genau hinspürst, kannst du die Atemdynamik auch in den tiefsten Rückenmuskeln (Mm. Multifidii) im Lendenwirbelsäulenbereich wahrnehmen.

2. Atemraum Flanken: Zwerchfell

Lege deine Hände seitlich auf die unteren Rippenbögen und atme so vollständig aus, dass sich die Fingerspitzen berühren. Bei der Einatmung nutze wie in Übung 1 die Stabilität aus dem Unterbauch, atme aber weiter, nachdem sich der Oberbauch hebt. Dadurch fächern sich die Rippen langsam zu den Seiten auf und die Fingerspitzen entfernen sich voneinander. Um dabei allerdings nicht in die thorakale paradoxe Atmung zu fallen, achte darauf, dass sich zuerst der Oberbauch hebt. Das zeigt die Aktivität des Zwerchfells an. Dann bleibt der Oberbauch außen und das Zwerchfell zieht die Flanken nach oben. Bei der Ausatmung ziehst du wie in Übung 1 die Rippenbögen schräg nach unten Richtung Bauchnabel. Diese Abfolge wiederholst du einige tiefe und langsame Atemzüge lang.

EFFEKT: Wenn die Bauchmuskulatur bei der Atmung beteiligt ist, werden die Flanken durch die Aktivität des Zwerchfells bewegt. Das kräftigt diesen wichtigsten Atemmuskel und entlastet damit auch die Wirbelsäule.

3. Atemraum Rücken: Mobilisieren

Erneut gehen wir aus von der vertieften Atmung der beiden vorigen Übungen. Lege eine Hand locker zwischen die Schulterblätter. Dann leite die Welle des Einatmens über Oberbauch und Flanken bis in den Rücken. Der Bereich zwischen den Schulterblättern wölbt sich dadurch in eine leichte Rundung. Die Ausatemwelle lasse wie zuvor in der Körpermitte, dem Oberbauch, beginnen. Dann ziehe die Rippenbögen kraftvoll nach innen, der Rücken streckt sich wieder. Wiederhole auch diese Übung mehrere Male.

EFFEKT: Der tiefe Atem unterstützt und mobilisiert die Wirbelsäule von innen. Du kannst spüren, wie sie mit jedem Atemzug lang gezogen wird. Bei Blockaden der Wirbel oder Rippen kann das Wunder wirken.

4. Atemraum Brustbein: Zwischenrippenmuskeln

Vertiefe nun ausgehend von den vorherigen drei Übungen den Atem noch weiter. Dazu legst du zwei Finger auf dein Brustbein. Nun fließt die Welle des Einatmens von Oberbauch, Flanken und Rücken bis hin zum Brustbein. Dieses hebt sich nach vorne oben. Auch die Ausatmung beginnst du analog zu den bekannten Übungen von der Körpermitte. Oberbauch, Flanken, Rücken und schließlich das Brustbein ziehen nach innen.

EFFEKT: Diese Übung bringt die Zwischenrippenmuskeln noch stärker zum Einsatz. Damit erfährt die Brustwirbelsäule weitere Unterstützung.

5. Impulsatmung in die vier Atemräume

Wenn dir diese vier Übungen vertraut sind, kannst du dich an einem weiteren Impuls versuchen: Dabei unterteilst du die Einatmung in vier voneinander getrennten Stöße in die vier Atemräume. Die Ausatmung lasse wie zuvor langsam und kontinuierlich fließen.

EFFEKT: Diese Übung mobilisiert alle Atemräume. Sie hilft, Blockaden zu lösen und fördert die Flexibilität von Rumpf und Wirbelsäule.

6. Katzenbuckel mit Atmung

Komme in einen Vierfüßlerstand, bei dem die Hände etwa senkrecht unter den Schultern und deine Knie senkrecht unter den Hüften stehen. Runde den Rücken so weit wie möglich nach oben und atme tief in den Atemraum von Flanken und Rücken ein. Bei der Ausatmung ziehe den Atemraum Oberbauch und Brustbein aktiv nach innen.

EFFEKT: Bei dieser Atmung erfährt die Wirbelsäule mehr Länge in der Rundung.

7. Katzenrückbeuge (Kuh) mit Atmung

Bewege dich nun, ausgehend von der vorigen Übung in eine deutliche Rückbeuge. Achte dabei darauf, deine Halswirbelsäule harmonisch in die Bewegung mit einzubeziehen und nicht zu überstrecken. Lenke die Einatmung bewusst in den Atemraum Oberbauch und Brustbein. Bei der Ausatmung ziehst du kraftvoll den Atemraum Rücken und Flanken nach innen.

EFFEKT: Hier kommt die Wirbelsäule mit jedem Atemzug tiefer in eine harmonische und zugleich lange Rückbeuge. Dies schafft Flexibilität und wirkt entlastend.

8. Dynamische Katze / Katze-Kuh

Nun verbindest du die beiden vorigen Übungen mit dem Atemrhythmus: Ausatmend bewegst du dich in den Katzenbuckel, einatmend in die Rückbeuge. Lenke dabei den Atem bewusst in die vorderen Atemräume (Oberbauch und Brustbein). Nach einer Weile drehst du die Atmung um – das mag sich zunächst sehr ungewohnt anfühlen: Atme aus, während du in die Rückbeuge gehst, und ziehe dabei kraftvoll die hinteren Atemräume (Flanken und Rücken) nach innen. Atme ein, während du in den Buckel gehst, und fülle dabei ebenfalls ganz bewusst die hinteren Atemräume. Wiederhole auch diese Atembewegung.

EFFEKT: Diese Übung erweitert die Atemräume. Damit steigt die Vitalkapazität der Lungen. Zugleich erfährt die Wirbelsäule eine vom Atem gestützte Mobilisierung.

9. Herabschauender Hund – Einstieg in eine weitere Praxis

Schiebe dich aus dem Vierfüßlerstand mit dem Becken voran nach hinten oben in den herabschauenden Hund. Lasse deine Arme von den Schulterblättern aus lang in den Boden wachsen und beuge deine Knie leicht, um deiner Wirbelsäule ihre natürliche S-Form zu geben. Atme hier, vom Oberbauch beginnend, tief über Flanken, Rücken und Brust durch die vier Atemräume ein und in der gleichen Reihenfolge wieder aus. Nutze diese Atemaktion, um in der Haltung mehr Länge in der Wirbelsäule zu erfahren.

EFFEKT: Ausgehend von dieser Übung kannst du die tiefe Atmung und die daraus entstehende freie Bewegung und Länge in der Wirbelsäule mit in deine weitere Yogapraxis nehmen. Bewege dich dazu besonders langsam und achte auf den beschriebenen Atem.


Unser Autor Dr. RONALD STEINER ist Sportmediziner, Wissenschaftler und einer der bekanntesten Ashtanga Yogis. Die von ihm begründete AYI-Methode steht für traditionelles Ashtanga-Yoga und innovative Yogatherapie. Sein Ziel: Körper und Geist zueinander in eine harmonische Balance führen. Mehr Infos unter AshtangaYoga.info

Übrigens: Unser Model, die Münchnerin Kaija Marx, ist nicht nur Yogalehrerin, sondern auch Physiotherapeutin. Beides kombiniert sie in ihrem Konzept “Vibrant Body”.


Podcast mit Dr. Ronald Steiner anhören…

Prana im Yoga: Die Lebensenergie verstehen & aktivieren – von Rod Stryker

Einer der Gründe, warum Yoga es immer wieder schafft, dass man sich kraftvoll, mobil, entspannt und rundum wohl fühlt, heißt Prana. Das yogische Konzept von Lebenskraft und Vitalität steht im Zentrum fast aller Yogastile. Hier liest du, warum es so wichtig ist und wie es funktioniert.

Text: Rod Stryker / Titelbild: Becca Tapert via Unsplash

Mittlerweile gibt es Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Yogastile. In manchen kuschelt man sich bei Kerzenlicht sanft in warme Decken und lässt den Körper in eine von Hilfsmitteln gestützte Haltung sinken. Bei anderen treiben sich schweißüberströmte Yogis zu lauter, rhythmischer Musik an die Grenzen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit. Manche achten pingelig genau auf minutiöse Alignment-Regeln, andere wollen vor allem vom Herzen und der Intuition her üben. Man könnte noch endlos viele Beispiele für diese Unterschiede und die Vielfalt der modernen Yogapraxis aufzählen. Dennoch haben alle diese Formen und Stile etwas gemeinsam: Sie funktionieren. Nur aus diesem Grund üben Menschen auf der ganzen Welt Yoga. Sie alle machen eine ähnliche Erfahrung. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, dass man sich nach dem Üben besser fühlt als davor. Die Frage ist, warum? Und wie genau funktioniert das?

Die Wirkung von Yoga auf das Nervensystem

Ein häufig genannter Grund für dieses Yoga-Wohlgefühl ist die Tatsache, dass das Dehnen und Kräftigen der Muskulatur im Zusammenspiel mit einem tiefen, gleichmäßigen Atem den Parasympathikus stimuliert. Das ist jener Teil des vegetativen Nervensystems, der der Erholung dient und die körpereigenen Reserven aufbaut. Der so genannte Ruhenerv regt die Muskeln an, sich zu entspannen, er verbessert die Verdauung und das Immunsystem und sorgt für guten Schlaf. Ist der Parasympathikus am Werk, normalisiert sich der Blutdruck und die Herzfrequenz sinkt. Damit wirkt man vielen Stress-Symptomen entgegen und kann die unguten Nebenwirkungen unseres modernen, schnell getakteten und auf Effizienz getrimmten Lebensstils mit mehr Ruhe und Gelassenheit abpuffern.

Lies dazu auch: “Vagus – der Wunder-Nerv”

Prasarita Padottanasana Prana Energie
Foto: © Liveology Yoga Magazine via Unsplash

Allerdings: In Wahrheit tun viele der heute beliebten Yogastile gar nicht so viel für den Parasympathikus, wie man gerne annimmt. Dazu müssten nämlich Asanas im Vordergrund stehen, die eine tiefe Entspannung fördern, zum Beispiel Vorwärtsbeugen und Übungen zur Hüftmobilisierung. Man müsste weniger Stehhaltungen praktizieren und mehr Haltungen im Sitzen und Liegen. Außerdem wäre es wichtig, länger in den einzelnen Haltungen zu verweilen und mehr Zeit darauf zu verwenden, eine langsame, vollständige Atmung zu entwickeln. Temporeiches Vinyasa, Rückbeugen, Handstand und andere armgestützte Haltungen wirken dagegen eher anregend und kräftigend, sie stimulieren kaum den Parasympathikus. Demnach können bei weitem nicht alle positiven Effekte der Yogapraxis der beruhigenden Wirkung auf das Nervensystem zugeschrieben werden.

Die Antwort lautet: Prana

Aber was ist es dann, was dazu beiträgt, dass du dich besser fühlst? Die Antwort lautet: Lebenskraft. Fast alle heute üblichen Stile von Hatha Yoga erhöhen den Fluss von Prana im Körper. Mit diesem Sanskrit-Begriff wird etwas beschrieben, das in der chinesischen Kultur und Medizin als Chi bekannt ist – Tai Chi, Qi Gong und Akupunktur beruhen genau so auf Chi, wie Yoga auf Prana. Gemeint ist die Lebensenergie, jene ursprüngliche Kraft, die alles Leben durchfließt, antreibt und erhält. Prana ist der Lebenshauch, der ein totes Objekt von wachsender und wieder vergehender Materie unterscheidet. Auch der Atem von Mensch und Tier heißt im Sanskrit Prana. Daher nennen wir die yogischen Atemübungen Pranayama (Atemregeln).

Prana Blick auf Berge und Sonnenuntergang
Foto: © Sage Friedman via Unsplash

Nach yogischer Vorstellung ist Prana aber noch mehr als der physische Lebensatem: Der intelligente Einsatz von Prana ist auch der Schlüssel zu spirituellem Erwachen. “Jener, welcher den Ursprung […] und das Wirken von Prana im Körper erfasst, erlangt Unsterblichkeit”, heißt es schon in dem antiken Quellentext Prashna Upanishad. Oder anders ausgedrückt: Die wichtigsten Ziele der körperlichen und der spirituellen Praxis lassen sich realisieren, wenn man Prana wahrnimmt und klug damit umzugehen weiß.

Mit der Asana-Praxis Lebensenergie freisetzen

Prana hat im Hatha Yoga (zu dem bekanntlich jede moderne Form des körperlichen Übens zählt) immer eine entscheidende Rolle gespielt. Antike tantrische Texte wie die Hatha Yoga Pradipika und die Gheranda Samhita nennen eine Reihe von Techniken, die helfen sollen, diese Lebensenergie aufzubauen, zu lenken und zu regulieren. In diesen Schriften werden Asanas als die Basis für die tiefer reichenden Praktiken beschrieben. Der Grund: Die Körperhaltungen sind leicht zugänglich und sie helfen, Lebensenergien auf unkomplizierte und effektive Weise freizusetzen und in Fluss zu bringen. Indem man eine Asana statisch hält und “durch sie hindurch atmet”, kann man Prana-Blockaden auflösen. Dabei setzen verschiedene Haltungen die Lebenskraft auf unterschiedliche Weise frei. Vorwärtsbeugen beispielsweise fördern beruhigende, erdende Arten von Prana, während Rückbeugen eher Prana-Kräfte freisetzen, die vitalisierend wirken.

Eine bewusste Yogapraxis ist das Ziel

Der wichtigste Grund, warum du dich nach dem körperlichen Yogaüben besser fühlst, ist also die Tatsache, dass die Praxis deine Lebenskraft in Bewegung gesetzt hat. Und das nicht einfach irgendwie, sondern im besten Fall auf eine ausgewogene, umfassende und möglichst gut auf deine momentanen geistigen und körperlichen Bedürfnisse zugeschnittene Weise. Daher ist es eines der wichtigsten Ziele einer bewussten Yogapraxis, diese Wirkweisen genau zu beobachten und zu erforschen.

Sowohl in der Hatha-Tradition als auch in den Lehren des Ayurveda finden sich dazu eine Menge wertvoller Hinweise. Je genauer wir diese Lehren kennen und praktisch umsetzen, desto besser werden wir verstehen, warum eine bestimmte Asana zu einem bestimmten Zeitpunkt was bewirkt. Aber es geht auch schon viel einfacher: Wenn du zum Beispiel bemerkst, dass eine bestimmte Übung (oder ein Übungsstil), die/der dir lange gut getan hat, immer weniger dieser positiven Effekte zeigt, dann ist das ein wichtiger Hinweis, deine Praxis abzuwandeln, neue Herangehensweisen auszuprobieren und dabei zu beobachten, welche Auswirkungen das auf energetischer Ebene hat.

“Die ultimative Form der Kraft ist Prana-Kontrolle”

Srimad Bhagavatam

Je mehr du deine Lebensenergien kontrollieren und ausbauen kannst, desto mehr kannst du mit der Yogapraxis erreichen – und zwar auf allen Ebenen. “Die ultimative Form der Kraft ist Prana-Kontrolle”, heißt es in der Srimad Bhagavatam, einer der heiligen Schriften des Hinduismus. Das bewusste Üben der Asanas im Einklang mit dem Atem ist dabei nur der Anfang. Der aufmerksame Umgang mit diesen Lebensenergien wird dich – weiter verfeinert in Pranayama und Meditation – immer deutlicher erkennen lassen, dass das wahre Potenzial dieser Praxis keine Grenzen kennt.


Rod Stryker

ROD STRYKER ist einer der bekanntesten Yoga- und Tantralehrer der USA. Mehr zu Rod und ParaYoga unter www.parayoga.com.

Oder lies dir dieses Interview durch, das wir mit Rod Stryker zum Thema Tantra und ParaYoga geführt haben.


Probiere diese Yogapraxis von Rod Stryker aus und erlebe die Kraft des Tantra:

“Yoga ist Verbundenheit” – doch wie verbunden sind wir wirklich?

freunde halten sich in den armen

“Yoga ist Verbundenheit” – ist das eine schlichte Feststellung, ein Versprechen oder eher so etwas wie ein Arbeitsprogramm? Und was meinen wir überhaupt mit dem Begriff? Fest steht: ein Gefühl von Verbundenheit ist eine tiefe menschliche Sehnsucht – erst recht in Zeiten, in denen Einsamkeit und Spaltung zunehmen.

Text: Stephanie Schauenburg / Titelbild: Helena Lopes via Unsplash

Was ist Yoga?

Eine der vielen möglichen Antworten hört man immer wieder: Yoga ist Verbundenheit. Es beginnt schon beim Wort: “Yoga” stammt von der Sanskrit-Wurzel yuj ab, genau wie das deutsche Wort Joch oder das englische Verb to join. Daraus lässt sich schließen: Es geht darum, etwas zusammenzufügen, zu verbinden. Und genau das tun wir ja in der Yogapraxis: “Sobald wir auf unsere Yogamatte kommen und beginnen, uns auf unseren Atem zu konzentrieren”, schreibt die US-amerikanische Yoga-Pionierin Cyndi Lee auf yogajournal.com, “werden wir erinnert an unsere Verbindung zu etwas, das größer ist als wir selbst. Wir spüren Einheit mit anderen Menschen, mit anderen Wesen, mit allem, was ist. Diese universelle Verbindung zu spüren, ist ein natürlicher Auswuchs des Verbindens mit uns selbst.”

Das klingt nicht nur wunderschön, es ist auch unglaublich wohltuend. Ziemlich sicher hast auch du das beim Yoga schon so empfunden und es genossen, dich so angebunden, aufgehoben und gehalten zu fühlen. Die Sehnsucht nach diesem Gefühl von Verbundenheit ist uns Menschen tief eingeschrieben. Vielleicht beginnt sie schon in dem Moment, wo wir geboren werden, wo der eigene Körper plötzlich nicht mehr Teil des mütterlichen ist und wir zum ersten Mal getrennt werden. Dieser Gegensatz zwischen Verbundenheit und Abgrenzung begleitet uns ein Leben lang – und so balancieren wir auch immer aufs Neue zwischen dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und dem Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung.

Gruppe von Freunden rennt gemeinsam Verbundenheit Freiheit
Foto: Jed Villejo via Unsplash

Trennungsschmerz

Allerdings leben wir in einer Kultur, die das Individuelle und Trennende viel mehr betont als das Verbindende. “In unseren modernen westlichen Industrienationen strebt offenbar alles in die Vereinzelung”, schreibt auch Anna Trökes in ihrem wunderbaren Buch “Yoga der Verbundenheit”. Noch nie haben so viele Menschen von sich gesagt: “Ich bin einsam.” Und obwohl wir im Schnitt deutlich sicherer und wohlhabender leben und sehr viel mehr Freiheiten genießen als frühere Generationen, fühlen sich viele von uns verunsichert, zerstreut und haltlos. Die Komplexität des modernen Lebens wirkt überfordernd und beängstigend. Viele ziehen sich in eine kleine soziale Blase zurück oder in virtuelle Welten. Isolation, Dissoziation oder Depression sind Themen, die gesellschaftlich immer relevanter zu werden scheinen.

„Lebendigsein heißt, dass unser eigenes Sein aufs Innigste mit dem anderer verbunden ist.“

– Anna Trökes

Der Autor und spirituelle Berater Marc Nepo drückt es in seinem Bestseller “More Together Than Alone” so aus: “In einer Gesellschaft, die so sehr darauf aus ist, alles zu biegen, zu brechen und zu konsumieren, bringen wir enorme Energien dafür auf, uns sowohl persönlich als auch kollektiv übermäßig zu schützen. Mit dieser ständigen Wachsamkeit, laugen wir uns aus.” Verhärtung und Misstrauen sind seiner Meinung nach überall auf dem Vormarsch, sei es nun im Privaten, oder beispielsweise in der Diskussion über Flucht und Migration, in Diskriminierung, Ausgrenzung oder Polarisierung: “Wir lassen nichts mehr herein: andere Menschen nicht und auch nicht die Welt. (…) Dabei haben uns alle großen spirituellen Lehrer dazu aufgefordert, die Welt durch unsere Herzen hindurchgehen zu lassen – mit einem Wort: Liebe.

Entfremdung als Wurzel globaler Krisen

Auch wenn man sich unsere drängendsten politischen und ökologischen Probleme ansieht, wird man den Eindruck nicht los, dass sie ihre tieferen Wurzeln in dem Gefühl von Trennung und Entfremdung haben, in einem Mangel an Liebe. Denn es ist klar: Würden wir kollektiv mehr Verbundenheit empfinden, könnten wir gar nicht so unerbittlich gegeneinander kämpfen und uns gegenseitig und die Natur so rücksichtslos ausbeuten, wie wir es nach wie vor tun.

Mehrere Händen halten Baumstamm, Yoga und Verbundenheit
Foto: Shane Rounce via Unsplash

Der Naturphilosoph Andreas Weber spricht in unserem Interview mit ihm, sogar von einer “toxischen Gewaltwelt”. Aber was machen wir nun mit dieser Diagnose? Was könnte helfen, individuell und vielleicht auch gemeinsam mehr Verbundenheit zu leben? Yoga? Yoga ist schließlich Verbundenheit! Vielleicht ahnst du es: Ganz so einfach ist es natürlich nicht mit der “Alles ist eins”-Yogaphilosophie, die wir so gerne als instagramtaugliche Kalendersprüchlein vor uns her tragen. Daher an dieser Stelle ein kurzer Überblick darüber, von welchen philosophischen Konzepten eigentlich die Rede ist, wenn gesagt wird, dass Yoga Verbundenheit sei.

Yoga-Philosophie erklärt: Tat Twam Asi

Am berühmtesten und wirkmächtigsten für die Vorstellung vom Yoga der Verbundenheit sind sicher die Zeilen aus der Chandogya beziehungsweise der Brihadaranyaka Upanishad: tat twam asi (“Das bist du”) und aham brahmasmi (“Ich bin Brahman”). Dahinter steht die Überzeugung, dass all die Millionen und Milliarden Lebewesen, Dinge und Phänomene, aus denen unsere Welt besteht, von einem einzigen kosmischen Wirkprinzip ausgehen – und auch untrennbar mit ihm verbunden bleiben: Brahman. Wir alle sind Brahman, ich und du, jede Blume, jeder Vogel und jede Wolke im Frühlingshimmel. Wir mögen uns verlieren in Gedanken, Ängsten, Aggressionen und Spekulationen, aber das alles geht ebenso vorbei wie unsere irdische Existenz. Was bleibt, ist das Unendliche, Ewige, das Eine, dem wir nicht nur alle angehören, sondern das wir selbst sind: tat twam asi, das bist du …

Ausgehend von dieser Philosophie des Advaita-Vedanta gibt es mächtige Traditionslinien, unter anderem im Buddhismus und Tantrismus, die die Alles-in-Einem-Idee des antiken Indien bis in die heutige Zeit hineingetragen haben. Die früheren Yogis setzten sich auf unterschiedliche Art mit diesen philosophischen Konzepten auseinander. Je nach Richtung verstanden sie Yoga als Zustand der Einheit oder als den Weg des Verbindens, wobei sie, wie die Londoner Forscher James Mallinson und Mark Singleton in ihrem Buch “Roots of Yoga” erläutern, durchaus verschiedene Vorstellungen davon hatten, was hier genau mit was verbunden wird: das individuelle mit dem höheren Selbst, der Körper mit dem Geist, verschiedene Ebenen der Realität oder gar die Überwindung jeglicher Dualität …

Alles eins – aber nicht einerlei

Hände halten Verbundenheit
Foto: Joe Yates via Unsplash

Selbst im großen “Alles ist eins” ist also offenbar nicht alles einerlei. Dabei ist in der klassischen Yogaphilosophie noch nicht einmal ausgemacht, dass Yoga überhaupt Verbundenheit bedeutet. Es könnte bei der Yogapraxis auch genau um das Gegenteil von Verbundenheit gehen: um haarscharfe Unterscheidung, um die Trennung zwischen dem geistigen Prinzip (Purusha) und der materiellen Natur (Prakriti). Der Kronzeuge für diese Definition ist ausgerechnet derjenige Text, den wir im modernen Yoga am allermeisten rezipieren: Patanjalis Yogasutra. Dort lautet das Ziel nicht Verbundenheit, sondern: Kaivalya, was übersetzt werden kann als Abgesondertheit, Losgelöstheit oder sogar Isolation. Gemeint ist die ultimative Befreiung, die darin liegt, sich von allen Verhaftungen und Bedingtheiten zu lösen. Und zwar alleine.

Diesen scheinbaren Widerspruch zwischen der Verbundenheit mit dem All-Einen und dem Ziel der Befreiung durch Loslösung kann man auf philosophischer Ebene auflösen (sofern man sich für solche intellektuellen Abenteuer interessiert). Aber wahrscheinlich ist das an dieser Stelle gar nicht so wichtig. Denn spiegelt sich in den alten indischen Weisheitslehren nicht auf wunderbare Weise wider, was wir auch aus der modernen Psychologie wissen: dass der Wunsch nach Verbundenheit in uns ebenso tief angelegt ist wie der nach Autonomie? Es geht nicht darum, sich für das eine oder das andere zu entscheiden, sondern darum, eine Balance, eine Synthese herzustellen.

Podcast-Tipp: Auch wir YogaWorld-Redakteurinnen haben uns mit dem Thema Verbundenheit auseinandergesetzt:

Warum wir heute mehr Verbundenheit brauchen

Dabei ist die Situation für uns heute und hier wie gesagt grundlegend anders als noch für unsere Großmütter: Wir sind kaum noch eingebunden in eine Religion, eine Sippe, eine gesellschaftliche Rolle. Wir genießen diese Freiheit und leiden zugleich an ihr. Viele von uns spüren: Wir brauchen mehr Verbundenheit – und Yoga könnte ein Weg dorthin sein. Aber nur weil wir alle paar Tage ein paar Sonnengrüße machen, werden wir da nicht unbedingt hinkommen. Und selbst wenn es so wäre, würden sich aus bewusster, erlebter Verbundenheit nicht automatisch Harmonie, Frieden, Erfüllung ergeben – so sehr wir uns das natürlich wünschen.

Glückliche Yogaklasse in Natur
Foto: Marea Wellness via Unsplash

Sich ein kuscheliges rosa Wolkenkuckucksheim der Verbundenheit zu erträumen, hat mehr mit Bedürfnissen und Erwartungen zu tun als mit tatsächlicher Verbindung. Anna Trökes beschreibt in ihrem Buch Yoga der Verbundenheit als einen facettenreichen Übungsweg, beginnend mit intensiver Selbsterforschung. Sie beschloss, ihren “Fokus nicht nur im Alltag, sondern auch in der Übungspraxis ganz auf die Entfaltung von Verbundenheit auszurichten” – und bemerkte schon bald, dass Yoga so eine deutlich andere Wirkung entfaltete: Sie wurde nicht nur selbst immer “weicher, durchlässiger, freundlicher”, sie erkannte auch, wie sehr die von trennenden Kräften geprägten gesellschaftlichen Normen uns alle in unserem Denken und Handeln beeinflussen.

Wissenschaft trifft Spiritualität: Alles Leben ist verbunden

Diese trennenden Kräfte sind eine Realität – aber genauso real ist die schon von den antiken indischen Weisen des Advaita Vedanta erkannte Verbundenheit allen Lebens: Man muss es nicht Brahman nennen, man kann sich, wenn einem das näher ist, auch an die modernen Naturwissenschaften halten, die mehr und mehr darüber herausfinden, wie alles Leben aufeinander bezogen und verbunden ist.

Das beginnt schon bei unserem Atem, über den wir ein Leben lang in Austausch sind mit der uns umgebenden Welt. Ähnliches gilt für den Stoffwechsel: Am Ende unseres Lebens wird sich unser gesamter Körper viele Male komplett umgebaut und erneuert haben. Alle Zellen werden unablässig durch neue ersetzt, bestehend aus neuen Bausteinen, die wir über Atmung und Nahrung aufnehmen und wieder ausscheiden, bevor sie an anderer Stelle wieder zu Leben werden.

Das sind nur ein paar wenige Beispiele aus der menschlichen Biologie. Die universelle Verwobenheit findet sich auch in Botanik, Physik, Chemie, Astronomie – ein riesiges, unfassbar komplexes Netzwerk aus Ökosystemen, Mikro- und Makrokosmen, in dem alles mit allem verbunden ist. Es wandelt sich unablässig, ist in seiner Grundstruktur aber unveränderlich und ewig. Und all das bist auch du: Tat twam asi.

Vom Verstand in die Erfahrung

Faszinierend? Sicher, aber viel wichtiger noch ist es, Verbundenheit auch zu spüren, zu erfahren. Die Yogapraxis bietet dazu viele Gelegenheiten: Beim Meditieren, Atmen und körperlichen Üben verbinden wir uns mit uns selbst und daraus kann sich, wie Cindy Lee es ausgedrückt hat, auch eine Verbindung entwickeln zu dem, was “größer ist als wir selbst”. Auf dieser spirituellen Ebene können wir erfahren, dass wir eigentlich gar nichts verbinden müssen, weil wir längst verbunden sind. Damit lösen wir die verschiedenen kleinen und großen Konflikte, Dissonanzen und die Gefühle des Abgetrenntseins nicht unmittelbar, geschweige denn vollständig auf. Aber die Erfahrung von grundlegender Verbundenheit hilft uns, dem Dissonanten besser zu begegnen. Wir erkennen zum Beispiel: Auch im Streit, auch in der völligen Verschiedenartigkeit von Wesensart, Kultur oder Meinung gibt es noch einen verbindenden Urgrund.


Hier findest du einige praktische Tipps, um Verbundenheit bewusst zu erfahren:


Alleine auf der Yogamatte, dem Meditationskissen werden wir Verbundenheit nicht verwirklichen. Man muss immer wieder auch aus seiner eigenen Bubble und seiner Komfortzone heraus, die schützenden Hüllen abstreifen und sich auf andere Menschen, andere Wesen, auf dieses ganze verrückt komplizierte Leben einlassen – oder, wie Marc Nepo es ausgedrückt hat, “die Welt durch unsere Herzen hindurchgehen lassen”. Auch Patanjali stellt vor die Loslösung in Kaivalya erst die praktische Ethik der Yamas und Niyamas – und dann das Einüben der auch im Buddhismus so zentralen vier heilsamen Geistesqualitäten (Bhavanas): Maitri (Wohlwollen, Güte), Karuna (Mitgefühl), Mudita (Mitfreude), Upeksha (Nachsicht) – alles Qualitäten der Verbundenheit.

Lesetipp: Erfahre hier noch mehr über die Grundbegriffe des Buddhismus: “Auf Buddhas Spuren: Die Parallelen zwischen Yoga und Buddhismus von Timo Wahl

Resonanz statt Rückzug

Dass diese Qualitäten nicht nur eine persönliche, sondern auch eine gesellschaftliche Relevanz haben, hat der Soziologe Hartmut Rosa mit seinem Buch über Resonanz aufgezeigt. Dass Resonanz etwas völlig anderes ist als eine harmonisierende Selbstbestätigung, ein rosa Wolkenkuckucksheim, darauf hat er unter anderem in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hingewiesen: “Eigentlich verstehe ich unter Resonanz, bereit zu sein, sich irritieren und verändern zu lassen.” So sehr wir uns also danach sehnen, uns in der Verbundenheit zugehörig und geborgen zu fühlen, so sehr müssen wir auch bereit sein, uns einzulassen, uns aufzumachen – und möglicherweise zu verändern.

„Alle großen spirituellen Lehrer haben uns dazu aufgefordert, die Welt durch unsere Herzen hindurchgehen zu lassen – mit einem Wort: Liebe.“

– Marc Nepo


Das Zitat von Marc Nepo hat YOGAWORLD JOURNAL Chef-Redakteurin Stephanie Schauenburg besonders inspiriert: Sie versucht, die Welt jetzt öfter “durch ihr Herz hindurchgehen zu lassen” – leicht bei einer sonnig-sanften Frühlingsbrise, schwieriger, wenn gerade ein Heft in die Druckerei muss …


Noch mehr zum Thema Verbundenheit und Verbindlichkeit liest du hier:

Sommerlicher Yoga Flow für mobile Hüften und gute Laune – mit Nela König

Jetzt ist die perfekte Zeit, um die Energie der Sonne in deine Yogapraxis einzuladen. Wärme und Licht machen es dir leichter, deine Flexibilität und Beweglichkeit zu erkunden, etwas Neues auszuprobieren und die positive Energie des Sommers in deinen Alltag zu bringen. Dieser kreative Flow mit Nela König ist eine ideale Sequenz für Flexibilität, mobile Hüften und gute Laune.

Text, Sequenz & Fotos: Nela König

WARM-UP:

Wärme deinen Körper gründlich auf, zuerst mit kleinen kreisenden Bewegungen von Fußgelenken, Knien, Schultern und Wirbelsäule und anschließend mit 5 Sonnengrüßen.

1. Flankendehnung im Sitzen

Gomukhasana-Flow, Nela König, Flankendehnung im Sitzen

Richte dir einen lockeren Schneidersitz ein, gerne auch mit einem Kissen, sodass du die Wirbelsäule entspannt aufrichten kannst. Lege die linke Hand auf dein rechtes Knie und hebe den rechten Arm. Dehne dich dich Richtung vorderer linker Mattenkante, so dass du eine intensive Dehnung in deiner rechten Flanke spüren kannst. Bleibe etwa 5 Atemzüge lang in der Haltung.

2. Schulterdehnung

Gomukhasana-Flow, Nela König, Schulterdehnung

Kreuze dann den rechten Arm über den linken und halte dich mit der rechten Hand am linken Knie fest. Ziehe den Bauchnabel nach innen, runde deinen Rücken nach hinten und bewege dein Kinn Richtung Brustbein. Spüre die intensive Dehnung zwischen deinen Schulterblättern und atme etwa 5 Atemzüge lang in sie hinein.

3. Adler-Arme

Nela König, Adler-Arme

Behalte die überkreuzte Armhaltung bei und richte dich auf. Lege die Handrücken oder Handflächen aneinander. Senke deine Schultern und schiebe deinen Ellenbogen zuerst nach vorne, bevor du Arme und Blick hebst und deine Brustwirbelsäule in eine sanfte Rückbeuge finden lässt. Bleibe auch hier 5 Atemzüge lang.

Wiederhole Übung 1–3 seitenverkehrt.

4. Hüftmobilisierung

Nela König, Hüftmobilisierung

Finde als nächstes in einen Vierfüßler und kreuze dein rechtes Bein vor das linke. Die Füße nimmst du, wenn möglich, mattenbreit. Beginne dann, dein Becken kreisen zu lassen. Diese Bewegung kann sich am Anfang ungewohnt anfühlen, aber lass dich darauf ein, etwas Neues auszuprobieren. Vielleicht fällt es dir leichter, wenn du deine Hände etwas weiter nach vorn setzt. Wähle einen Abstand, in dem du die Bewegung von Becken und Wirbelsäule schön rund machen kannst. Atme dabei bewusst in die Dehnung in deiner rechten Hüfte hinein.

5. Überkreuzter Hund

Nela König, überkreuzter Hund, herabschauender Hund, Gomukhasana-Flow

Behalte die überkreuzte Beinhaltung bei und schiebe dich vom Vierfüßler in den herabschauenden Hund. Auch das mag sich zuerst ungewohnt anfühlen, aber lass dich auf diese neue Form ein: Erkunde bewusst die Dehnung in Beinen und Hüfte und strecke deine Wirbelsäule kraftvoll in die Länge, ohne in den Schultern nachzugeben. Lass dir dafür 5 tiefe Atemzüge lang Zeit.

6. Wellenbewegung Hund-zu-Planke mit überkreuzten Beinen

Nela König, Welle 1

Aus dem überkreuzten Hund rundest du deinen Rücken nun nach oben und fließt mit einer Einatmung nach vorn, bis deine Schultern senkrecht über den Händen angekommen sind. Beuge dann die Knie, versuche, die Brustwirbelsäule nach unten zu runden und schiebe dich mit der Ausatmung wieder zurück in den herabschauenden Hund mit überkreuzten Beinen. Wiederhole diese Wellenbewegung 5 Mal und versuche, sie mit jeder Wiederholung weicher und geschmeidiger werden zu lassen. Dabei helfen dir vielleicht Blöcke unter den Händen.

Nela König, Welle 2

7. Halber Spagat

Nela König, halber Spagat

Löse die Überkreuzung deiner Beine und fließe durch ein Vinyasa. Hebe dann dein rechtes Bein in den dreibeinigen Hund und platziere den rechten Fuß mit der nächsten Ausatmung vorne zwischen deinen Händen. Verlagere das Gewicht nach vorn auf deinen rechten Fuß und hebe zugleich dein linkes Bein. Beuge das gehobene Bein und weite deine linke Hüfte. Wenn du möchtest, streckst du das Standbein und ziehst den Oberkörper dichter ans Bein, um die Beindehnung zu intensivieren. Wenn du den Boden mit den Fingerspitzen nicht erreichst, helfen dir Blöcke. Bleibe wieder 5 Atemzüge lang in der Haltung.

8. Gedrehte Vorwärtsbeuge

Nela König, gedrehte Vorwärtsbeuge

Senke das linke Bein wieder und platziere dabei den linken Fuß hinter dem rechten. Strecke den Oberkörper mit einer Einatmung etwas nach vorn und wandere mit den Fingerspitzen (oder deinen Blöcken) nach rechts. Ausatmend lässt du dich in eine tiefe Vorwärtsbeuge sinken. Der Kopf darf sanft hängen, während du 5 Atemzüge lang in die Rückseite deiner Beine und in deine linke Flanke hinein atmest.

9. Flankendehnung im Stehen

Nela König, Flankendehnung im Stehen

Behalte auch hier wieder die überkreuzte Beinhaltung bei, beuge beide Knie und richte dich aus der Kraft von Beinen und Bauch behutsam auf. Dann beugst du nur dein rechtes Bein und schiebst den linken Fuß mit gestrecktem Bein nach außen. Halte den linken Fuß ganz aktiv, wenn du ihn hier auf die Außenkante setzt. So kann das Sprunggelenk stabil bleiben. Greife dann mit der rechten Hand um dein linkes Handgelenk, beuge dich sanft nach rechts und spüre 5 Atemzüge lang die intensive Flankendehnung auf der linken Seite.

10. Adler

Gomukhasana-Flow, Nela König, Adler

Das rechte Bein bleibt dein Standbein. Lass es tief gebeugt und lege dein linkes Bein möglichst weit oben darüber. Den linken Fuß kannst du auf einem Block absetzen oder hinten um das Standbein legen. Halte deine Wirbelsäule lang, wenn du nun deinen rechten Ellenbogen über deinen linken legst und die Handrücken oder -flächen aneinanderlegst. Senke dein Becken noch etwas tiefer ab und stabilisiere dabei den unteren Rücken mit deinem unteren Bauch. Richte deine Ellenbogen vor dem Körper auf Schulterhöhe aus und spüre dabei die Dehnung im oberen Rücken und zwischen den Schulterblättern. Bleibe auch hier 5 ruhige Atemzüge lang.

11. Hoher Ausfallschritt

Nela König, hoher Ausfallschritt

Richte dich aus dem Adler wieder auf, löse das linke Bein und führe es nach hinten in einen weiten Ausfallschritt. Das vordere Bein bleibt tief gebeugt, das hintere streckt und du stabilisierst dich, indem du den vorderen Oberschenkel etwas tiefer ins Hüftgelenk ziehst. Breite deine Arme zum Himmel aus, strecke und weite deinen Oberkörper. Spüre die Kraft deiner Beine und Körpermitte und die Weite im Brustraum und bleibe 5 tiefe Atemzüge lang in der Haltung.

Fließe durch ein Vinyasa und wiederhole den gesamten Flow (Übung 4–11) nun mit dem linken Bein vorn.

12. Überkreuztes Boot

Nela König, überkreuztes Boot

Finde dann ins Sitzen und schlage wieder zuerst den rechten Fuß über den linken. Ziehe beide Knie dicht an den Oberkörper und greife mit der linken Hand um die Innenkante des linken Fußes. Wenn du möchtest, kannst du stattdessen einen Gurt verwenden. Hebe beide Beine und versuche sie zu strecken. Wichtig: Halte dabei deine Wirbelsäule lang und stabilisiere die Position aktiv mit deinen Bauchmuskeln. Als letztes streckst du den rechten Arm. Freue dich auch hier daran, eine ungewohnte Variante der Asana auszuprobieren, und verbinde dich mit deinem Atem.

13. Kuhkopf-Sitz

Gomukhasana Flow, Nela König, Kuhkopf Sitz

Lass den rechten Fuß über dem linken, wenn du aus dem Boot kommend beide Knie beugst und die Füße seitlich neben deinen Hüften ablegst. (Alternativ löst du das Boot auf, setzt dich auf ein Kissen oder längs auf ein Bolster und richtest die Sitzhaltung dort ein.) Richte deine Knie direkt übereinander aus und schiebe deine Füße nur so weit zu den Seiten, dass du eine deutliche Dehnung der Hüften spürst, die Knie aber friedlich bleiben. Richte deinen Oberkörper auf und lass die Hüften einige Atemzüge lang bewusst sinken. Wenn dir diese Haltung leicht fällt, kannst du nun mit den Fingerspitzen etwas nach rechts wandern und deinen Oberkörper rechts von den Knien sanft und allmählich in eine Vorwärtsbeuge sinken lassen.

Nach 10 Atemzügen wiederholst du Boot und Kuhkopf auf der linken Seite.

14. Ausgleich

Lege dich auf den Rücken, breite die Arme locker zu den Seiten aus und stelle deine Füße etwas breiter als hüftbreit auf. Lass die Knie zuerst eine Weile zueinander sinken und bewege sie dann sanft schaukelnd hin und her. Danach legst du deine Beine ab und entspannst einige Minuten lang in Shavasana.


Nela König ist ein Yoga-Multitalent: Sie inspiriert uns mit ihrer kreativen, anmutigen Praxis ebenso sehr wie mit den tollen Yogafotos, die sie oft auf ihrer Lieblingsinsel Mallorca aufnimmt. Weitere Infos zu ihrer Person und ihrer Arbeit gibt es auf ihrer Website nelakoenig.com und auf Instagram @nelakoenig.photography


Mehr von Nela König findest du hier: